Kinderärzteverband: Gebühr für Behandlung leichter Erkrankungen im Notdienst gefordert
Stand: 08.08.2023, 18:29 Uhr
Eltern, die mit ihren Kindern den Notdienst wegen leichter Unpässlichkeiten aufsuchen, sollten nach Meinung des Kinderärzteverband-Präsidenten dafür bezahlen. Aber es gibt auch Widerspruch.
Thomas Fischbach will Eltern zur Kasse bitten
Die Forderung nach einer Notdienstgebühr ist nicht neu. Der Präsident des Berufsverbandes Kinder- und Jugendärzte, Kinderarzt Thomas Fischbach aus Solingen hat sie jetzt noch einmal erneuert. Der Grund: Die Kindernotdienste an Krankenhäusern und in Arztpraxen sind völlig überlastet. Daran tragen nach Auffassung von Fischbach die Eltern die Schuld, die bei jedem Unwohlsein mit ihren Kindern zum Notdienst fahren.
Notfallversorgung nicht für "Pickel am Po"
"Die Notfallversorgung muss auf Notfälle konzentriert werden und nicht für Pickel am Po der Kinder, für die Eltern unter der Woche keine Zeit haben und mit denen man dann am Wochenende beim Notdienst aufschlägt", sagte Fischbach in einem Interview. Er will über eine Gebühr Eltern zur Disziplin zwingen.
Bei echten Notfällen könnten die Kosten erstattet werden, das ließe sich mit wenig Aufwand umsetzen. Es sei schade, dass sich die Politik aus Angst vor Gegenwind nicht wirklich an das Thema herantraue, fügte der Pädiater hinzu: "Die knappen Notfall-Ressourcen werden immer und immer wieder von nicht dringend behandlungsbedürftigen Fällen in Anspruch genommen, und damit muss Schluss sein.“
Kinderarzt: Gebühr birgt Gefahren
Alex Gerschlauer ist gegen Notdienst-Gebühren
Doch nicht jeder Kinderarzt hält diese Forderung für richtig. Zwar sehe auch er die Überlastung, aber eine Gebühr berge viele Gefahren, sagt Kinderarzt Axel Gerschlauer. Er hat eine Praxis in Bonn und repräsentiert die Kinderärzte im Landesverband NRW. "Stellen Sie sich vor, Sie haben Geldsorgen, Ihr Kind hat Fieber, und dann denken Sie, oh Gott, oh Gott, vielleicht muss ich Geld zahlen, bleibe ich lieber zu Hause."
Das Risiko sei viel zu groß, sagt Gerschlauer. "Und dann hat das Kind dann doch mal eine Hirnhautentzündung, also wirklich eine lebensbedrohliche Erkrankung. Das ist das, wovor ich Angst habe."
Gerschlauer fordert stattdessen mehr in die Ausbildung von Kinder- und Jugendärzten zu investieren. Es fehlten Mediziner.
Notdienst-Nummer 116117 sollte erste Wahl sein
Außerdem sollte die Notdienst-Nummer 116117 mit gut geschultem Personal besetzt werden. "Dass da wirklich sinnvoll vorselektiert werden kann, wer braucht einen Arzt, wer braucht einen Arzt heute und wer geht einfach morgen in die Praxis", sagt Gerschlauer. Der Kinderarzt aus Bonn plädiert zudem dafür, Eltern besser über Kinderkrankheiten und Krankheitsbilder aufzuklären.
Eltern aufzuklären und zu unterstützen, damit sie mit einfachen Erkrankungen umgehen können - das fordert auch Gerald Gaß, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Lange Wartezeiten bei Kinderärzten als Problem
Er sieht aber vor allem strukturelle Probleme als Ursache für die vielen Anrufe mit leichten Erkrankungen bei Notdiensten: Lange Wartezeiten bei Kinderärzten führen seinen Worten zufolge dazu, dass Eltern die Notfallambulanzen aufsuchten, obwohl eine Behandlung in einer niedergelassenen Praxis ausreichend wäre. "Solange diese Defizite bestehen, ist jede Diskussion um Strafgebühren fehl am Platz", sagte Gaß.
Wie realistisch sind diese Gebühren?
Aktuell sieht es nicht danach aus, als würden die geforderten Notdienstgebühren in absehbarer Zeit Realität werden. Eine solche Gebühr für Eltern sei "unethisch", sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Eltern dürften zudem nicht für jahrelange Versäumnisse der Politik zahlen müssen.
Auch in den Vorschlägen zur Reform der Notfallversorgung sei eine "Strafgebühr" nicht vorgesehen, so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums. Eine Expertenkommission hatte im Februar ein Konzept für eine effektivere Notfallversorgung vorgelegt. Darin werden unter anderem neue integrierte Leitstellen vorgeschlagen, die am Telefon eine erste medizinische Einschätzung vornehmen und damit Notdienst-Praxen und Notaufnahmen entlasten sollen.
Hinzu kommt: Erst vor wenigen Monaten hatte Kassenärzte-Chef Andreas Gassen eine Notfall-Gebühr für jene Fälle vorgeschlagen, in denen Patienten direkt in die Notaufnahme gehen, ohne vorher die Leitstelle anzurufen oder ohne akute Beschwerden zu haben. Auch diesem Vorhaben erteilte Gesundheitsminister Lauterbach damals eine deutliche Absage.
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