AfD Kanditat Höcke spiegelt sich.

Keine Zusammenarbeit mit der AfD: Wird der Wählerwille ignoriert?

Stand: 03.09.2024, 15:50 Uhr

In Thüringen und Sachsen soll die AfD nicht regieren - sagen die anderen Parteien. Ignorieren sie damit den Wählerwillen?

Bei den Landtagswahlen am Sonntag ist die AfD mit mehr als 30 Prozent ganz vorne gelandet: In Thüringen ist die Partei stärkste Kraft geworden und in Sachsen hat sie den zweiten Platz erreicht - knapp hinter der CDU.

Alice Weidel

AfD-Co-Chefin Alice Weidel

Aus Sicht der AfD ist klar: "Der Wähler hat uns in Thüringen und Sachsen einen klaren Regierungsauftrag gegeben." Das sagte Co-Parteichefin Alice Weidel am Montag. Doch die anderen Parteien sehen das ganz anders: Sie beharren auf ihrer "Brandmauer" gegen die AfD und wollen mit ihr keine Koalition bilden.

Wird der Wählerwille ignoriert?

Damit kann die AfD in Thüringen mit ihrem Landeschef Björn Höcke auch keine Regierung bilden oder sich in Sachsen an einer beteiligen. Darüber gibt es nun eine Debatte, bei der unterschiedliche Argumente ausgetauscht werden. Es geht dabei unter anderem um die Frage: Wird ein Drittel der Wähler ignoriert, wenn die anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen?

Eine der möglichen Antworten lautet: Ein Drittel ist zwar viel, aber keine Mehrheit. In den Parlamenten in Deutschland geht es darum, dass eine Regierung insgesamt so viele Wählende wie möglich abbildet. Falls sich also in Thüringen die CDU, die SPD, das "Bündnis Sahra Wagenknecht" und "Die Linke" zusammenfinden, dann werden von ihrer Zusammenarbeit mehr Menschen vertreten als von der AfD. Das wäre demokratisch auch legitim: 70 Prozent haben die AfD nicht gewählt.

Politikwissenschaftler: "Kein Anrecht auf Regierungschef"

Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne von der TU Chemnitz sagt: "Es ist mitnichten so, dass die Partei, die die meisten Stimmen hat, ein Anrecht hat, den Regierungschef zu stellen." Die Wähler hätten zudem bereits vor der Stimmabgabe "ziemlich genau" gewusst, dass es nach der Wahl keinen Koalitionspartner für die AfD geben würde.

Es ist zwar ungewöhnlich, dass in Thüringen eine Koalition ohne den Wahlsieger gesucht wird. Trotzdem handelt es sich um einen normalen Vorgang. Das gab es übrigens bereits einmal auf Bundesebene: 1969 bis 1982 stellte die SPD den Kanzler, obwohl die Union in den Wahlen teilweise besser abschnitt.

Sollen Rechtsextreme regieren dürfen?

Mit dem AfD-Wahlsieg in Thüringen hat das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine in Teilen rechtsextreme Partei eine Landtagswahl gewonnen. Deshalb geht es in der aktuellen Debatte auch um die Frage: Ist es legitim, die AfD - die in Thüringen und in Sachsen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird - aus einer Regierung fern zu halten?

Natürlich habe die AfD eine Legitimation von einem Drittel der Wähler erhalten, so die Antwort von Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU Berlin. "Nur braucht Demokratie auch bestimmte Spielregeln. Und das ist die große Sorge, wenn es um die Beteiligung extremer, rechtspopulistischer, rechtsextremer Parteien geht, dass die anfangen, an den Spielregeln zu drehen." Das bedeute eine Gefahr für die Demokratie und ihren Aufbau.

Eine Nachwahlbefragung von Infratest Dimap zeigt außerdem: Eine Mehrheit der Menschen in Thüringen lehnt eine Beteiligung der AfD an der nächsten Landesregierung ab.

AfD-Macht dank "Sperrminiorität"

Doch auch wenn die AfD in Thüringen voraussichtlich nicht den Regierungschef stellen kann, hat sie durch ihren hohen Stimmenanteil durchaus Einfluss. Denn sie hat im Thüringer Landtag erstmals mehr als ein Drittel der Sitze. Sie verfügt damit über eine sogenannte Sperrminorität und muss einbezogen werden.

Das bedeutet: Mit mehr als einem Drittel aller Abgeordneten kann eine Fraktion wichtige Entscheidungen blockieren. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht es in Thüringen für die Änderung der Landesverfassung, die Besetzung des Landesverfassungsgerichts und eine Auflösung des Landtags. Auch die Besetzungen weiterer Gremien sind davon betroffen.

In Sachsen verpasste die AfD die Sperrminorität nur knapp: Zunächst sah es so aus, als hätte die Partei 41 Sitze erreicht, doch dann korrigierte der Landeswahlleiter das Wahlergebnis wegen eines Softwarefehlers um einen Sitz nach unten. Diese Korrektur gab im Netz prompt Anlass für Verschwörungserzählungen.

Unsere Quellen:

  • WDR-Podcast "0630"
  • WDR-Tickr.news
  • Tagesschau-Podcast "15 Minuten"
  • Nachrichtenagentur AFP
  • Infratest Dimap

Der WDR berichtet am 03.09.2024 in der Fernsehsendung "Aktuelle Stunde" über dieses Thema.

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