Ein idyllischer Wintertag. Es ist kalt und die Sonne scheint, als Lucy Frauns mit ihrem Gewehr auf den Hochsitz klettert, die Waffe lädt und durch das Zielfernrohr schaut. Die junge blonde Frau sitzt hier viele Stunden jede Woche. Im Arnsberger Wald bei Warstein jagt sie Wildschweine, Waschbären oder Vögel.
Jägerin Lucy Frauns
Mittlerweile drückt sie auch immer häufiger ab. "Unser Engagement haben wir hochgefahren weil wir vor verschiedenen Herausforderungen im ländlichen Raum stehen”, sagt die Jägerin, die auch für den Landesjagdverband NRW arbeitet.
Das höhere Engagement zeigen auch die Zahlen der offiziellen Jagdstrecken-Statistik des Landwirtschaftsministeriums NRW: Während in der Jagdsaison 2022/23 noch 797.206 Tiere erlegt wurden, waren es in der letzten Saison 2023/24 schon 840.901, also rund 5,5 Prozent mehr.
Mehr Tiere wegen Klimawandel
Rehwild, Waschbär und Co. sehen zwar niedlich aus, doch sie sorgen zunehmend für Probleme in den Wäldern. Durch den Klimawandel können sich die Wildtiere besser fortpflanzen. “Wir haben immer häufiger milde Winter, den auch Jungtiere überleben, und viel Frucht in den Wäldern, also Eicheln und Buchecker. Genug zu Essen für unsere Wildtiere”, sagt Jagdwissenschaftler und Wildtierökologe Jörg Brün von der Universität Bonn.
Rehwild stört beim Umwelt- und Klimaschutz
In ihrem Jagdgebiet arbeitet Jägerin Lucy Frauns eng mit dem Waldbauern Jürgen Schulze-Nieden zusammen. Beide stehen auf einer großen Fläche, wo vor kurzem Triebe gepflanzt wurden. Hier standen Bäume, die die Dürren und Borkenkäfer nicht überlebt haben.
Jetzt werden klimaresiliente Bäume gepflanzt, damit der Wald auch in Zukunft bestehen kann. Aber: “Die Douglasie ist wie Schokolade für das Rehwild”, erklärt der Waldbauer. Sie fressen die Knospen ab und die Bäume können nicht wachsen.
Der Haupttrieb wurde abgebissen.
Das verursacht auch einen wirtschaftlichen Schaden: “Wir sind Forstwirte, wir leben von dem, was wir anbauen. Da ist es natürlich schädlich, wenn das Wild das, was wir anpflanzen, beschädigt oder auch ganz vernichtet”, so Jürgen Schulze-Nieden.
Wildschweine könnten Seuchen verbreiten
Zu viele Tiere bedeuten außerdem ein höheres Risiko für Seuchen. Wildschweine, im Fachjargon “Schwarzwild” genannt, könnten zum Beispiel die hoch ansteckende Afrikanische Schweinepest übertragen. Für Menschen ist sie ungefährlich, aber für Schweine endet sie oft tödlich.
Würden auch Schweine in der Massentierhaltung erkranken, könnten Milliardenschäden entstehen. “Wenn wir jetzt schon präventiv Tiere erlegen und es dadurch weniger werden, können mögliche Infektionsketten schneller abreißen”, so Jägerin Lucy Frauns. In der vergangenen Jagdsaison wurde 40 Pozent mehr Schwarzwild geschossen als im Jahr davor.
Das Landwirtschaftsministerium NRW übernimmt bei den Untersuchungen der erlegten Schweine auf die Afrikanische Schweinepest die Kosten.
Eingeschleppte Tierarten bekämpfen
Ein weiteres Problem sind invasive Tierarten wie der Waschbär. Das Tier ist in Deutschland eigentlich nicht heimisch, findet hier aber gute Bedingungen vor: milde Winter, die Nähe zum Menschen und damit genug zu fressen. Die Waschbärpopulation explodiert daher regelrecht - und damit auch die Zahl der durch Jagd geschossenen Tiere.
Geht es wirklich nur mit Jagen?
Jagdwissenschaftler und Wildtierökologe Dr. Jörg Brün
Rehwild, das junge Baumtriebe frisst, Wildschweine, die Seuchen übertragen, Waschbären, die heimische Arten töten. Hilft da wirklich nur die Jagd? Ja, sagt Wildtierökologe Brün von der Universität in Bonn. Denn die Alternative sehe so aus:
Rückendeckung bekommt er von anderen Jagdwissenschaftlern und Wildtierökologen. Zäune funktionieren nicht überall, eine funktionierende Anti-Baby-Pille gibt es nicht und natürliche Fressfeinde wie der Wolf würden weitere Probleme bringen. Denn um ausreichend Wild zu fressen, müsste ein Vielfaches an Wölfen und Luchsen hier wieder heimisch werden.
Tierschützer will strengere Regeln
Selbst der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) findet die Jagd grundsätzlich notwendig. Aber die Form müsse sich ändern, sagt Christine Thiel-Bender, Referentin für Artenschutz beim BUND in NRW. Oft würden über das gesamte Jagdjahr Tiere erlegt.
Einen Grund sieht sie darin, dass die privaten Jäger unter finanziellem Druck stünden: Die Pacht für das Jagdgebiet oder Strafgelder, wenn sie zulassen, dass Wildtiere zu viel Schaden verursachen, müssten zumindest zum Teil durch den Verkauf von Wildfleisch ausgeglichen werden.
Jäger:innen erlegen deutlich mehr Wildtiere
Aktuelle Stunde . 03.11.2024. 23:52 Min.. Verfügbar bis 03.11.2026. WDR. Von Alexa Schulz.
“Am besten wäre es, wenn die Jagd in Hauptberufshände kommen würde. Das heißt, man könnte die Jagd von den wirtschaftlichen Interessen trennen", sagt Christine Thiel-Bender. Ihr Vorschlag: "Wir könnten wirklich nach der Ökologie des Tieres jagen und dann auch sehr gezielt auf einzelne Tierarten gehen."
Aktuell gibt es in NRW 90 Berufsjäger. Dass sie die Jagd vollständig übernehmen, sei nicht realistisch, so der Bundesverband Deutscher Berufsjäger.
Welche Chancen bieten die Tiere?
Die vielen Tiere bieten auch einen Vorteil: Fleisch. 25.000 Tonnen Wildfleisch verzehren die Deutschen laut Jagdwissenschaftler Brün jedes Jahr. Wer jetzt zur Weihnachtszeit den Rehrücken oder Hasenbraten genießen will, kann sich sicher sein, dass es dieses Jahr genug Wild gibt.
Doch nicht alle Tiere, die gejagt werden, werden auch zu Wildfleisch verarbeitet. Brün fordert zum Beispiel, die Pelze von Waschbären und Füchsen weiterzuverarbeiten. Denn beide werden von den Menschen in Deutschland nicht gegessen. Auch die Massentierhaltung zur Pelzgewinnung könne so zumindest ein kleines Stück eingedämmt werden.
Unsere Quellen:
- Interview mit Lucy Frauns und Jagdverband NRW
- Interview mit Wildtierökologe und Jagdwissenschaftler Dr. Jörg Brün
- Interview mit Wildtierökologe und Jagdwissenschaftler Prof. Thorsten Beimgraben
- Interview mit Wildtierökologe und Jagdwissenschaftler Dr. Michael Petrak
- Interview mit Hermann Wolff, Bundesverband Deutscher Berufsjäger e.V.
- Interview Rudolf Hansknecht, Wald und Holz NRW
- Interview BUND
- Landwirtschaftsministerium NRW