NRW-Verfassungsschutz: Noch immer zu viele bewaffnete Reichsbürger

Stand: 23.04.2023, 06:00 Uhr

Etwa 3.400 Personen zählt der Verfassungsschutz in NRW zu den Reichsbürgern. Verfassungsschutzpräsident Kayser macht vor allem der militante und waffenaffine Teil der Szene Sorgen.

Von Boris Baumholt, Norbert Dohn und Per Quast

Die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter und die damit einhergehende Bedrohung wächst in NRW. Laut Verfassungsschutzbericht zählen etwa 3.400 Personen dazu, darunter auch Rechtsextremisten. Was die heterogene Szene eint: Sie lehnen die Bundesrepublik Deutschland ab.

Manche weigern sich ein Knöllchen zu zahlen, andere wollen ein eigenes Bildungssystem oder direkt einen eigenen Staat schaffen. Nachdem die Szene sich an den Corona-Protesten beteiligt hatte, ist nun der Krieg gegen die Ukraine und die vermeintliche Unschuld Russlands oft Thema der Proteste.

Reichsbürger-Szene rüstet auf

Allerdings sind die sichtbaren Aktionen auf der Straße nach dem Ende der Corona-Maßnahmen kleiner geworden. Der harte Kern der Bewegung, so die Einschätzung von Beobachtern, radikalisiert sich zunehmend.

Rechtsextremismusforscher Miro Dittrich im Gespräch mit Westpol

Extremismusforscher Miro Dittrich

"Dass wir jetzt weniger Demonstrationen sehen, heißt nicht, dass wir beruhigt sein können", sagt Extremismusforscher Miro Dittrich, "denn diese Menschen dachten zuerst, jetzt käme der große Volksaufstand, man könnte über Demonstrationen oder andere Aktionen diesen Krieg, indem sie sich wähnen, abwehren. Der radikale Teil, der übrig bleibt, denkt, jetzt müsste man mit Waffengewalt agieren."

Leiter des NRW-Verfassungsschutz Jürgen Kayser im Gespräch mit Westpol

Jürgen Kayser, Präsident NRW-Verfassungsschutz

Reichsbürger und deren Waffen beschäftigen den Verfassungsschutz seit Jahren. NRW-Verfassungsschutzpräsident Jürgen Kayser betont im Interview mit dem WDR-Magazin Westpol: "Die Sicherheitsbehörden haben schon in den letzten zwei, drei Jahren sehr stark auf diese Entwicklung reagiert und haben sich insbesondere auch im Bereich des Rechtsextremismus stärker aufgestellt. Das Personal ist in diesem Bereich deutlich verstärkt worden, auch bei uns beim Verfassungsschutz."

Die Behörden versuchen die Szene außerdem zu entwaffnen. Bei Razzien werden illegale Waffen beschlagnahmt, der legale Besitz soll durch den Entzug der Erlaubnisse für Reichsbürger beschränkt werden. Ende 2022 hatten in NRW dennoch mehr als 100 Personen aus der Szene noch immer eine "waffenrechtliche Erlaubnis".

Vorwurf in Großverfahren: Geplanter Staatsstreich

Spätestens nach der beispiellosen Großrazzia gegen eine Gruppe Reichsbürger um Heinrich XIII. Prinz Reuß und eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete, die einen gewaltsamen Sturz des politischen Systems geplant haben sollen, wird die Szene auch in der breiten Öffentlichkeit als Gefahr wahrgenommen. Mittlerweile führt der Generalbundesanwalt Verfahren gegen mehr als 60 Beschuldigte.

Vorher war die Szene trotz großen Waffenfunden bei Razzien, oder Angriffen gegen Polizisten oft belächelt worden. "Lange Zeit wurde über Reichsbürger eher gelacht. Das waren Leute, die einfach nur ihre Steuern nicht zahlen wollten, oder Wirrköpfe. Es wurde sich aber nicht angeschaut, welche Ideen sie verbreiten, welche Gefahr für die Demokratie davon ausgeht", so Extremismusforscher Dittrich.

Alltägliche Konflikte

Im Alltag haben vor allem Gerichtsvollzieher immer wieder Kontakt mit Reichsbürgern. Da diese den Staat nicht anerkennen, lehnen sie es teilweise auch ab, Steuern oder Bußgelder zu zahlen. Gerichtsvollzieher müssen rechtliche Anordnungen oder Urteile gegen sie vollstrecken, dabei kommt es zum Teil zu gewaltsamen Übergriffen.

Frank Neuhaus, Verbandsvorsitzender der Gerichtsvollzieher in NRW im Gespräch mit Westpol

Frank Neuhaus, Verband der Gerichtsvollzieher in NRW

Der Verbandsvorsitzender der Gerichtsvollzieher in NRW, Frank Neuhaus, fordert daher von der Polizei, gewarnt zu werden, wenn Forderungen von einem Reichsbürger eingetrieben werden sollen: "Ich will nicht, dass erst ein Kollege ums Leben kommt. Wir brauchen deswegen Informationen und Schutzausrüstung und das muss jetzt passieren."

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