Menschen in einer Gruppentherapie.

Wartezeiten in der Psychotherapie: Genug Therapeuten, zu wenige Angebote

Stand: 10.05.2023, 16:33 Uhr

Die Nachfrage nach psychotherapeutischen Behandlungen ist in der Corona-Pandemie in NRW deutlich gestiegen. Doch es fehlt an finanzierten Angeboten und Ärzte-Zulassungen.

Von Peter Hild

Birte Rohe kann nicht über zu wenig Arbeit klagen. Sie leitet als psychologische Psychotherapeutin die Fachstelle zur Stärkung psychischer Gesundheit von Kindern der Stadt Düsseldorf. Deren Fallzahlen haben sich im vergangenen Jahr auf mehr als 200 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Die Wartezeiten auf einen Psychotherapie-Platz in NRW betragen im Schnitt fast sechs Monate. "Man fühlt sich manchmal ohnmächtig, weil man den jungen Menschen ja helfen will, aber wir es mit unseren Kapazitäten nicht bei allen schaffen. Auch für viele Kollegen in den Praxen ist das frustrierend", erzählt Rohe.

Mangel an Kassensitzen

Dabei fehlt es in NRW nicht an Psychotherapeuten, im Bereich Nordrhein gab es in den vergangenen zehn Jahren einen Zuwachs von 20 Prozent. Doch es fehlt an Kassensitzen, die Therapeuten inne haben und über die sie Behandlungen mit den Krankenkassen abrechnen können.

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Die Zahl der Kassensitze bemisst sich an einer über 20 Jahre alten Bedarfsplanung, die Ärztevereinigungen, Therapeuten wie Krankenkassen für dringend reformbedürftig halten, weil sie den realen Bedarf schon lange nicht mehr abbildet.

Bei der Bedarfsplanung wurde Ende der 90er Jahre die damalige Zahl an Psychotherapeuten als Soll-Maßstab festgelegt und seitdem immer wieder nur fortgeschrieben, ohne den tatsächlichen Bedarf und dessen Veränderung über die Zeit jeweils wissenschaftlich zu ermitteln. Das hat dazu geführt, dass laut Statistik heute zwar fast alle Regionen in NRW ausreichend oder gar überversorgt sind, es in der Realität aber lange Wartezeiten und zu wenige Behandlungsangebote gibt.

Mehr innovative und passgenauere Behandlungen

Klientin sitzt bei Therapeutin auf der Couch

Krankenkassen und Ärztevereinigungen versuchen mit Modellprojekten neue und passgenauere Angebote für psychisch Betroffene zu schaffen: Zum Beispiel über einen Bezugsarzt, der zu Beginn den konkreten Bedarf ermittelt, um den Patienten dann idealerweise in einem Netzwerk gezielt an das passende Behandlungsangebot weiterzuvermitteln, zum Beispiel eine Gruppentherapie oder eine Abendklinik.

"Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, so dass diese Angebote jetzt in die Regelversorgung überführt werden sollen, aber auch das dauert in Deutschland sehr lange", erklärt Matthias Mohrmann, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg und fordert auch mehr Offenheit und Bereitschaft der Psychotherapeuten, sich in ihren Behandlungsangeboten breiter aufzustellen.

Therapeuten fordern mehr bezahlte Leistungen

"Es fehlt nicht an der Bereitschaft unsererseits, aber die Leistungen müssen auch bezahlt werden", entgegnet darauf Gerd Höhner von der Psychotherapeutenkammer NRW. Ärztevereinigungen und Krankenkassen müssten den Leistungskatalog ausweiten, der den aktuellen Bedürfnissen weit hinterherhinke. Das wird aber oft erst in langwierigen Verhandlungen auf den Weg gebracht.

Alle Seiten fordern mehr niedrigschwellige Angebote und auch mehr Vernetzung und psychotherapeutische Qualifikation von Institutionen außerhalb der Ärzteschaft, etwa in der kommunalen Jugendhilfe, Schulen und Kitas.

Einige Kommuen haben Übergangsangebote geschaffen wie die Fachstelle zur Stärkung psychischer Gesundheit von Birte Rohe in Düsseldorf, um Wartezeiten psychisch Betroffener auf einen Therapieplatz zu überbrücken. Solche Angebote benötigen jedoch Fachpersonal und eine entsprechende Finanzierung, an denen es in NRW jedoch oft fehlt.

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