Mehrere verschwommene Wohnwagen stehen auf dem Strich, davor befinden sich Stühle.

"Die Freier können mit dir alles anstellen"

Stand: 30.05.2023, 19:16 Uhr

Sexarbeit auf der Straße ist in Deutschland legal. Sperrbezirke machen es Prostituierten aber in einigen Städten NRWs schwer, ihrer Arbeit nachzugehen. Ihre Sicherheit ist dadurch gefährdet.

Von Maria Bravo, Esra Schotte, Berit Kalus und Ilias Hamdani

Ein kleines Café, ein Friseur, ein Supermarkt. Die Charlottenstraße in Düsseldorf wirkt auf den ersten Blick wie viele andere Straßen. Tagsüber deutet nichts darauf hin, dass hier abends Prostituierte zu Freiern ins Auto steigen.

Arbeit im Verborgenen

Die Frauen hier müssen ständig aufpassen, dass Mitarbeiter des Ordnungsamts nichts von ihrer Arbeit mitbekommen. Das berichtet Anna, eine ehemalige Sexarbeiterin, die ihren wahren Namen lieber für sich behält: „Wenn sie dich erwischen, egal ob du da stehst oder einsteigst, fahren sie sogar hinterher, warten so lange, bis du dein Geld kassierst und dann kommen sie ran.“

Ein Straßenschild zeigt die Charlottenstraße in Düsseldorf an.

Die Charlottenstraße liegt im Sperrbezirk.

Denn Prostitution ist auf der Charlottenstraße offiziell verboten - sie liegt im sogenannten Sperrbezirk. In einem solchen von der Kommune festgelegten Gebiet ist Prostitution nur eingeschränkt erlaubt oder sogar komplett verboten. Der Düsseldorfer Sperrbezirk erstreckt sich über den Großteil der Innenstadt.

Prostitutionsverbote in mindestens 23 Städten in NRW

Kommunen können Sperrbezirke einrichten, wenn sie davon überzeugt sind, dass durch die Ausübung von Prostitution eine Gefährdung der Jugend oder des sogenannten „öffentlichen Anstandes“ droht. Eine NRW-weite Abfrage des WDR zeigt, dass es landesweit in mindestens 23 Städten Sperrbezirke gibt (Stand April 2023). Viele Prostituierte leiden darunter.

Warum – das lässt sich in Düsseldorf beobachten: Wer in der Charlottenstraße dabei erwischt wird, sexuelle Dienstleistungen zu verkaufen, dem drohen Platzverweise, Bußgelder oder eine Strafanzeige. Das Problem: Die Charlottenstraße ist als Straßenstrich bekannt – unter Freiern, Prostituierten und Sozialarbeiterinnen. Auch wenn die Stadt Düsseldorf die Straße nicht als Strich benennen möchte, kommt hier die Kundschaft hin.

Prostituierte sind Freiern ausgeliefert

Durch ein Brückengeländer hindurch sieht man Container, die im Düsseldorfer Hafen stehen.

Der Hafen in Düsseldorf wird oft von Freiern genutzt.

Prostituierte fahren mit den Freiern dann oft an abgelegene Orte, erzählt Anna. „Die Freier, die können mit dir alles anstellen, was sie wollen – die können dich vergewaltigen, umbringen. Ich wurde am Hafen 2018 fast umgebracht von einem Freier.“ Beim Oralsex habe der Mann sie fest am Kopf gepackt. „Der wollte mir das Genick brechen.“ Unter einem Vorwand konnte sich Anna damals befreien und fliehen, berichtet sie.

Birgit Schmitz leitet eine Düsseldorfer Beratungsstelle für Prostituierte. Auch sie kennt Fälle, in denen es zu Gewalt kommt, weil „die Frauen dort eben alleine mit dem Freier sind und sich keine Unterstützung holen können.“ In ihren Augen machen Sperrbezirke die Arbeit der Prostituierten gefährlich.

Stadt will Anwohner schützen

Ein Wagen des Ordnungsamts fährt eine Straße entlang.

Das Düsseldorfer Ordnungsamt führt regelmäßig Kontrollen durch.

Dennoch will die Stadt daran festhalten, um Anwohner und Passanten zu schützen. Das erklärt Sebastian Veelken, Leiter des Düsseldorfer Ordnungsamts. „All diese Menschen wollen mit Prostitution in der Regel nichts zu tun haben, wollen davon auch nicht mittelbar betroffen werden.“ Die Notwendigkeit für Straßenprostitution besteht aus seiner Sicht nicht – er verweist auf die Möglichkeit, Sexarbeit in Wohnungen oder Bordellen außerhalb des Sperrbezirks zu verrichten.

Sozialarbeiterin Birgit Schmitz gibt aber zu bedenken, dass die Frauen in Räumlichkeiten wie beispielsweise Bordellen Geld bezahlen müssten, um die Zimmer zu nutzen. Das könnten sich nicht alle Prostituierten leisten.

Probleme nicht nur in Düsseldorf

Eine Sexarbeiterin trägt einen Kapuzenpulli, um nicht erkannt zu werden.

"Marie" erzählt von ihrem Alltag auf dem Essener Straßenstrich.

Düsseldorf ist nicht die einzige Stadt in NRW, in der ein Sperrbezirk Prostituierten auf der Straße Probleme bereitet . Auch in Aachen sind die Frauen nach Einschätzung von Mitarbeiterinnen der Hilfseinrichtung „Liane“ darauf angewiesen, die Freier im Sperrbezirk zu treffen und dann in entferntere Gegenden zu fahren. Laut Sozialarbeiterin Nora Gehendges kommt es dann regelmäßig zu Gewalt: „Es ist eine prekäre Situation“.

Zwei Wände schirmen eine Verrichtungsbox auf dem Strich ab, in der Mitte ist der Eingang für die Frauen.

Der Eingang zu einer Verrichtungsbox in Essen.

Dass es auch anders geht, zeigt der Straßenstrich auf einem ehemaligen Kirmesplatz in Essen. Hier arbeitet Marie, die in Wirklichkeit anders heißt. Betonpoller in der Mitte des Geländes helfen ihr und ihren Kolleginnen bei aufdringlichen Freiern: „Wir haben dann halt die Möglichkeit auf den Platz zu gehen, wo die nicht hinterher kommen mit dem Auto – Gott sei Dank.“ Zur Arbeit gehen die Frauen in sogenannte Verrichtungsboxen – direkt vor Ort und durch einen Sichtschutz abgeschirmt.

Städtische Unterstützung für Straßenstrich

Die Stadt Essen hat den Platz bereitgestellt. Er ist zentral gelegen, von der Straße aus nicht sichtbar und befindet sich mitten im Sperrbezirk – ist aber davon ausgenommen. In einem Container versorgen Mitarbeiterinnen eines Sozialträgers die Prostituierten mit Snacks, Beratungsangeboten, Kondomen. Und einem sauberen WC. Marie lächelt: „Das ist hier schon sehr, sehr schön“.

Blick aus dem Container auf den Straßenstrich in Essen.

Blick vom Container auf den Straßenstrich in Essen.

Warum hat die Stadt ein solches Angebot geschaffen? Auf Anfrage des WDR erklärt eine Sprecherin, dass man so Einfluss auf die Akzeptanz des Strichs von verschiedenen Gruppen und auf den Schutz von Jugendlichen und Prostituierten nehmen könne. Ähnliche Konzepte wie in Essen gibt es zum Beispiel auch in Köln und Bonn.

Probleme bleiben ungelöst

Kann sich die Stadt Düsseldorf eine solche Alternative vorstellen? Auf Anfrage des WDR teilt die Stadt mit, dass es aktuell keine Pläne in diese Richtung gebe. Zwar finanziert sie Beratungsangebote für Prostituierte, die Probleme, die viele Sexarbeiterinnen durch den Sperrbezirk haben, löst das allein aber nicht.

Sexarbeit: Straßenstrich und Sperrbezirk

WDR 5 Westblick - aktuell 31.05.2023 05:13 Min. Verfügbar bis 30.05.2024 WDR 5 Von Berit Kalus


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