Ausschreitungen bei Protesten

Nach Urteil gegen Lina E.: Wie groß ist die linksautonome Szene in NRW?

Stand: 01.06.2023, 16:17 Uhr

Nach dem Schuldspruch für die Studentin Lina E. wegen linksextremistischer Gewalttaten gab es Solidaritäts-Kundgebungen in mehreren Städten. Wie groß ist die autonome Szene eigentlich in NRW?

Von Rainer StriewskiRainer Striewski

Die Studentin Lina E. war am Mittwoch zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Dresden sprach die aus Kassel stammende 28-Jährige wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig. Drei mitangeklagte Männer erhielten Strafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten.

Bei Protesten in mehreren Städten kam es anschließend zu Ausschreitungen und Zusammenstößen. Für Samstag hat die linksradikale Szene überregional zur Teilnahme an einem großen "Tag X" in Leipzig aufgerufen. Dort werden auch Teilnehmer aus NRW erwartet.

In Nordrhein-Westfalen gelten insgesamt ca. 1.100 Menschen als Anhänger und Anhängerinnen. Laut Verfassungsschutzbericht besteht die linksautonome Szene hier aus "weitgehend hierarchiefreien Netzwerken mit themen- oder aktionsbezogener Ausrichtung". Ihre Ursprünge reichen bis zur Studentenbewegung der 1968er-Jahre zurück, sie hat aber auch in der "Sponti"-Szene der 1970er-Jahre und der Punk-Subkultur ihre Wurzeln.

Proteste und "enthemmte Gewalt"

Heute definiert die linksautonome Szene ihre Ziele laut Verfassungsschutz vorrangig durch Gegenproteste. "Staatliche Strukturen, insbesondere Hierarchien und das staatliche Gewaltmonopol, werden zugunsten eines 'selbstbestimmten Lebens' abgelehnt", stellt der Verfassungsschutz fest. Die Behörden beobachten aber auch "enthemmte Gewalt gegen Meinungsgegner". Einige Autonome versuchten, diese einzuschüchtern "und gesellschaftliche Diskurse nach ihren Vorstellungen zu steuern."

Keine Steigerung im vergangenen Jahr

Im vergangenen Jahr konnten die Behörden im Vergleich zum Vorjahr keine "Steigerung öffentlich wahrnehmbarer Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen" feststellen. "Das Aktionspotenzial autonomer Akteure und die von diesen ausgehenden Straftaten verblieben auf dem Niveau des Vorjahres", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2022.

Innenministerin Faeser: "Gewalt ist nie ein gutes Mittel"

Dibattito sul porto d'armi in Germania

Faeser kündigt "striktes Vorgehen" an

Auf Bundesebene verzeichneten die Behörden aber eine "zunehmende Gewaltbereitschaft im Linksextremismus", erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag gegenüber dem WDR. "Deswegen müssen wir als Behörden sehr wachsam sein und auch sehr strikt dagegen vorgehen." Faeser appellierte an die Teilnehmer der Protestveranstaltungen, friedlich zu bleiben. "Gewalt ist nie ein gutes Mittel", betonte die Bundesinnenministerin - und kündigte ein hartes Eingreifen an. "Weder Selbstjustiz noch jede Form von Gewalt ist ein legitimes Mittel."

Weniger Präsenz in NRW

Dass die Szene in NRW nicht mehr so präsent ist, zeigt sich zum Beispiel auch rund um AfD-Veranstaltungen. Bereits vor der Corona-Pandemie flauten vor Landesparteitagen die wahrnehmbaren Proteste ab. In den Jahren vor 2019 gab es so gut wie keinen Parteitag, auf dem es nicht zu größeren Störaktionen auf der Anreise kam. Inzwischen laufen die AfD-Landestreffen - anders als Bundesparteitage - dagegen weitgehend problemlos.

Weniger Angriffsflächen in NRW

Ein Grund für die abnehmende Präsenz dürfte auch an dem Abzug vieler Neo-Nazis aus Hochburgen wie Dortmund-Dorstfeld liegen. Die dortige Szene konzentriert sich mangels Erfolg inzwischen eher auf Ostdeutschland, weil ihnen in NRW eine stärkere Verwurzelung wie in Teilen Ostdeutschlands nicht gelungen ist. Zwei ehemalige Neo-Nazi-Kader aus Dortmund zogen 2020 nach Chemnitz. Durch die geschrumpfte Neo-Nazi-Szene bieten sich auch für die Autonomen in NRW damit weniger Angriffsflächen.

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