Mehr Lehrkräfte und Polizei: Stimmt das wirklich?
Stand: 08.05.2022, 08:00 Uhr
Bessere Bildung, mehr Sicherheit – das haben CDU und FDP bei der vergangenen Landtagswahl versprochen. Fünf Jahre später gibt es zwar mehr Stellen, doch noch immer fehlt Personal. Ein Realitäts-Check.
Von Martina Koch und Michael Hoverath
In seiner Heimatstadt Leichlingen ist Innenminister Herbert Reul (CDU) im Moment ganz prominent vertreten. Auf dem Marktplatz und an den Eingangsstraßen stehen riesige Wahlplakate, in denen der CDU-Politiker "Sicherheit" verspricht. Für die Bürger hat die Sache einen kleinen Haken: Ausgerechnet in Leichlingen ist die Polizeiwache seit 2016 geschlossen. Die Wache für Leichlingen ist nun in der Nachbarstadt, 12 Kilometer weiter. Dort laufen die Anrufe auf, von dort werden die Einsätze koordiniert, gleich für drei Städte.
- Sendehinweis: Westpol | 24. November 2024, 19.30 - 20.00 Uhr
In NRW ist die Kriminalität insgesamt zwar gesunken. Doch in Leichlingen wurden zuletzt mehrere Geldautomaten gesprengt. Ist die Polizei also wirklich besser ausgestattet als vor fünf Jahren? "Keine Behörde hat weniger Menschen als vorher", sagt Reul und verweist darauf, dass die Zahl der Polizeivollzugsbeamten während seiner Amtszeit um 600 Stellen gestiegen sei – von 39.900 Ende 2017 auf rund 40.500 im Oktober vergangenen Jahres.
Wahlplakat von Herbert Reul: Der Innenminister wirbt mit Sicherheit
Gewerkschaft der Polizei: 17 Behörden haben weniger Polizeibeamte
Dass die Richtung stimmt, sagt auch die Gewerkschaft der Polizei in NRW. Sie stellt aber fest, dass in den Wachen im Land vom Personalaufbau bislang kaum etwas angekommen sei, weil viele Beamte in neuen Sonder-Kommissariaten etwa gegen Cyber-Kriminalität oder Kinderpornographie eingesetzt seien. Die Folge sei, dass 17 von 47 Polizeibehörden im Land nun sogar mit weniger Leuten auskommen müssen als 2017. Viele Stellen verloren hätten etwa Dortmund oder Essen. "Das Sicherheitsgefühl der Menschen ist dort eher nicht gestärkt worden," kritisiert der NRW-GdP-Vorsitzende Michael Mertens.
Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu 2017
Reul hingegen rechnet anders. Zu den Polizeivollzugsbeamten müsse man Regierungsangestellte zählen, die die Beamten etwa von Schreibarbeiten auf den Wachen entlasten. Davon gibt es nun 3.700 mehr als noch unter Rot-Grün. Polizeigewerkschafts-Chef Mertens findet das gut, sagt aber auch: “Wir brauchen Polizeivollzugsbeamte bei den Wachdiensten, bei der Kripo und auch bei dem Verkehr, um unsere Aufgaben wahrzunehmen. Tarifbeschäftigte können uns unterstützen, sind aber nicht die Lösung.“
Mehr Polizeianwärter - aber Abbrecherquote seit 2017 deutlich gestiegen
Drei Jahre dauert die Ausbildung eines Polizisten. Die Zahl der Kommissaranwärter hat Reul von 2.300 im Jahr 2017 auf nun 2.660 erhöht. Doch auch hier gibt es einen Schönheitsfehler, denn gestiegen ist auch die Abbrecherquote - und zwar von neun auf 20 Prozent. Jeder fünfte im Einstellungsjahrgang 2018 scheiterte entweder an den Prüfungen oder stellte fest, dass der Beruf doch nichts für ihn ist. Das Innenministerium verweist darauf, dass die Abrecherquoten wieder rückläufig seien und derzeit zwischen 11 und 13 Prozent lägen. Die Jahrgänge 2019 und 2020 haben ihre Ausbildung allerdings noch nicht abgeschlossen.
Innenminister Reul (CDU) will hier künftig mehr Unterstützung leisten, damit die angehenden Polizeikräfte nicht an Prüfungen scheitern. Zusätzlich soll die Zahl der neu eingestellten Kommissaranwärter auf 3000 pro Jahr anwachsen. Das Ziel seien 45.000 Beamte in NRW. Im Moment ist die Landesregierung davon noch weit entfernt.
Stellen an den Schulen geschaffen - doch es bleiben große Lücken
Wie sieht es mit den Stellen an den Schulen aus? Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte bei Amtsantritt beste Bildung versprochen. Bis Ende Dezember vergangenen Jahres wurden mehr als 7000 neue Lehrerstellen geschaffen und für dieses Jahr sollen noch 3000 oben drauf kommen. Doch es fehlen die Lehrkräfte dafür. Aktionismus sei das trotzdem nicht, so Gebauer. "Wenn sie keine Stelle ins System geben, dann kann natürlich keine Stelle besetzt werden." Die versprochene Unterrichtsgarantie konnte sie allerdings nicht erfüllen.
Gebauer sieht die Schuld noch immer bei ihrer Vorgängerin. Unter der grünen Schulministern Sylvia Löhrmann hatte der Lehrermangel begonnen. Bei Amtswechsel 2017 waren 2945 Lehrerstellen unbesetzt, inzwischen sind es 5278. Der Grund unter anderem: die vielen zusätzlichen Stellen. Insgesamt würden trotzdem rund 13.300 Menschen mehr in den Schulen arbeiten. Doch wo sind die geblieben?
Die Zahl der unbesetzte Lehrerstellen in NRW im Zeitverlauf
Schulen merken bisher wenig von zusätzlichem Personal
An der Alexander-Coppel-Gesamtschule in Solingen hat die Schulleitung festgestellt, dass es mit der Personalausstattung seit 2017 nicht besser geworden sei, sondern eher schlechter. Sogar Studierende sind als Vertretungslehrkräfte eingesetzt, teils ohne pädagogisches Vorwissen. "Der Markt ist leergefegt", sagt Andreas Tempel vom Gesamtschulverband GGG NRW. Man finde auch an den Unis kaum mehr Personen, die noch Vertretungsstellen übernehmen wollen.
Zusätzliche Lehramtsstudienplätze – aber weniger Absolventen
Zwar wurden laut Landesregierung 1450 neue Lehramts-Studienplätze geschaffen - aber das zahlt sich bisher noch nicht aus. Auch hier ist die Abbrecherquote hoch. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Lehramtsabsolventen in NRW sogar um rund 14 Prozent zurückgegangen, so hat es das Statistische Landesamt IT NRW erfasst. Viele brechen das Studium ab, besonders im Grundschulbereich. Ein Grund ist die schlechtere Bezahlung. Schulministerin Gebauer wollte daran zwar etwas ändern, scheiterte aber am Koalitionspartner CDU. Jetzt versprechen FDP, CDU, aber auch SPD und Grüne in ihren Wahlprogrammen gleiche Einstiegsgehälter für alle Lehrkräfte.
Über dieses Thema berichten wir in der Sendung Westpol am 8.5.2022 um 19:30 Uhr im WDR-Fernsehen.
Nachtrag: In einer früheren Version war von mittlerweile 2760 Kommissaranwärtern die Rede. Diese Zahl hatte die Landesregierung mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2021 kommunziert. Tatsächlich sind laut Kräfteverteilung des NRW-Innenministeriums dann im Jahr 2021 aber 2660 Kommissaranwärter eingestellt worden.