Warum das Gehörlosengeld seit 25 Jahren nicht erhöht wird
Stand: 06.12.2023, 17:05 Uhr
Gehörlose erhalten in NRW einen Zuschuss von 77 Euro monatlich. Der Betrag ist seit 25 Jahren unverändert. Doch eine Erhöhung ist nicht in Sicht, das zeigt eine Debatte im Fachausschuss.
Von Sabine Tenta
Wer gehörlos ist, braucht Hilfe, zum Beispiel durch eine Gebärdendolmetscherin. Um diesen Mehraufwand finanziell zu unterstützen, gibt es in NRW ein Gehörlosengeld in Höhe von 77 Euro monatlich. Diese Summe ist seit der Einführung des Gehörlosengelds im Jahr 1998 unverändert. Kein Inflationsausgleich, keine Anpassung, keine Erhöhung, nichts dergleichen - seit 25 Jahren.
Menschen mit angeborener oder bis zum 18. Lebensjahr erworbener Gehörlosigkeit können diese Unterstützung beziehen. Knapp 13.000 Berechtigte gab es 2022, das Land zahlte in Summe knapp Zwölf Millionen Euro aus.
Im Koalitionsvertrag haben CDU und Grüne vereinbart: "Wir werden den Kreis der Berechtigten für das Gehörlosengeld erweitern." Was ist aus diesem Versprechen geworden? Die SPD-Fraktion hat das Thema auf die Agenda des Fachausschusses am Mittwoch gesetzt.
CDU und Grüne verweisen auf Haushaltslage
In einem Bericht teilt das Gesundheits- und Sozialministerium den Abgeordneten mit: "Eine gesetzgeberische Initiative zur Ausweitung des anspruchsberechtigten Personenkreises oder zur Erhöhung des Gehörlosengeldes ist seitens der Landesregierung derzeit nicht geplant."
In der Ausschuss-Sitzung führten die regierungstragenden Fraktionen CDU und Grüne aus, warum. Es liege an der angespannten Haushaltslage, die Mehrausgaben für das Gehörlosengeld aktuell nicht zulasse. Dennis Sonne von den Grünen rechnet vor: Würde man die Altersgrenze von 18 Jahren kippen, dann müsste das Land zwei Millionen Euro mehr pro Jahr für das Gehörlosengeld ausgeben.
Neben der Ausweitung des Kreises der Berechtigten, fordern SPD, FDP und AfD auch eine Erhöhung des monatlichen Beitrags. Dazu sagt Dennis Sonne im Ausschuss: "Es ist berechtigt, mehr zu fordern." Im Gespräch mit dem WDR rechnete er vor, dass eine Erhöhung auf 100 Euro in der Landeskasse mit weiteren fünf Millionen Euro zu Buche schlagen würde. Auch der SPD-Abgeordnete Josef Neumann, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, äußerte sich im WDR. Er verweist darauf, dass eine Stunde Gebärdendolmetschen zwischen 100 und 200 Euro koste und diese zum Beispiel bei Behördengängen nötig sei.
Andere Bundesländer mit automatischer Erhöhung
CDU und Grüne betonten, dass NRW zu den wenigen Bundesländern gehöre, die überhaupt ein Gehörlosengeld zahlen. Aus dem Bericht des Gesundheitsministeriums geht hervor, dass es in der Hälfte aller Länder ein Gehörlosengeld gibt. Drei von ihnen haben, wie NRW, keine automatische Erhöhung, aber dort ist der Betrag deutlich höher: So zahlt Brandenburg 106,60 Euro pro Monat, Sachsen 150 Euro und Thüringen 172 Euro. Eine dynamische Anpassung über die Rentenerhöhung gibt es in Berlin (168,35 Euro), Hessen (165 Euro) und Sachsen-Anhalt (61,30 Euro).
Ein kurzes Rechenbeispiel zeigt, wie das Gehörlosengeld in NRW aussehen könnte, wenn es einen Inflationsausgleich gegeben hätte: Bei einer jährlichen Anpassung um 1 Prozent, läge die Summe heute bei 98,74 Euro liegen, bei 2 Prozent ergäbe sich ein Gehörlosengeld von 126,33 Euro.
Vertrösten auf die Zukunft
Alle Fraktionen waren sich einig, dass Handlungsbedarf besteht und mehr Gehörlose Unterstützung bekommen sollten, die auch höher ausfallen müsse. CDU und Grüne beteuerten, dass sie das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag noch in dieser Legislaturperiode umsetzen werden, sobald die Haushaltslage es zulasse. SPD und AfD fragten nach, wann das sein werde, erhielten darauf aber keine Antwort.
Der Tagesordnungspunkt zum Gehörlosengeld wurde im Ausschuss übrigens auch von Gebärdendolmetschern begleitet. Das war zumindest den Ausführungen des Ausschuss-Vorsitzenden Neumann zu entnehmen. Gehörlose, die dem Livestream des Landtags folgen wollten, sahen das leider nicht.
Über das Thema berichten wir am Mittwoch auch in der WDR-5-Sendung Westblick ab 17.04 Uhr.