"Reerdigung": Landesregierung will keine neuen Bestattungsformen
Stand: 27.11.2024, 17:06 Uhr
Erde zu Erde: Ein neues Verfahren zur Kompostierung von Leichen beschäftigt den Landtag. Dafür müssten Gesetze geändert werden.
Von Thomas Drescher
Die Erfinder des Verfahrens nennen es "Reerdigung". Andere nennen es "Humankompostierung". Aber wie auch immer man die beschleunigte Zersetzung eines Leichnams durch Mikroben bezeichnen will: In Nordrhein-Westfalen ist die Methode rechtlich nicht zugelassen. Darüber, ob dies geändert werden sollte, diskutierten Abgeordnete des Landtags am Mittwoch mit Wissenschaftlern, Bestattern und Religionsvertretern.
Was genau passiert bei einer Humankompostierung?
Der nackte Leichnam eines Menschen wird in einem Behälter auf ein Bett von Pflanzenresten gelegt und mit dem gleichen Material bedeckt. Dort beginnen die Mikroben, die in den Pflanzen und im toten Körper enthalten sind, einen Zersetzungsprozess, bei dem auch viel Wärme entsteht. Nach 40 Tagen, so schreiben es Rechtsmediziner der Uni Leipzig, die das Verfahren erforscht haben, sei kein Weichgewebe mehr übrig - nur noch Knochen und eine humusartige Substanz.
Die Knochen seien in einem Zustand, als hätten sie 40 bis 50 Jahre in der Erde gelegen, schreiben die Rechtsmediziner, die bislang 22 Reerdigungen in Schleswig-Holstein wissenschaftlich begleitet und die Zersetzungsreste untersucht haben. Am Ende der 40 Tage werden die knöchernen Überreste in einer Mühle zerkleinert und können zusammen mit dem Humus auf einem Friedhof beigesetzt werden. Schleswig-Holstein ist das bislang einzige Bundesland, das Humankompostierung experimentell zulässt.
Ein Reerdigungsbehälter in einer Friedhofskapelle in Kiel
Klimafreundliche Zersetzung?
Befürworter der Methode sehen darin eine größere ökologische Nachhaltigkeit. Mehr als 70 Prozent der Bestattungen in NRW sind mittlerweile Feuerbestattungen. Die Humankompostierung benötige weniger Energie als Krematorien, argumentieren sie. Man könne dabei gänzlich auf fossile Brennstoffe verzichten.
Viele Bestatter, allen voran ihr Landesverband NRW, sehen die Reerdigung kritisch. In ihrer Stellungsnahme bezweifeln sie einerseits die Klimavorteile der Methode. Es müssten viele Wege mit den menschlichen Überresten zurückgelegt werden. Außerdem werde dem Behälter, in dem die Zersetzung läuft, Wärmeenergie zugeführt, zudem werde er mechanisch bewegt. Ob das alles nachhaltiger ist als eine Beisetzung im Sarg oder eine Einäscherung sei nicht abschließend geklärt.
Totenwürde in Gefahr?
Vor allem aber sieht der Bestatterverband die Grundlagen der Totenwürde in Gefahr. Das Ganze sei "eher ein biologische Experiment", schreibt der Bochumer Bestatter Christian Fritz, und "keine pietätvolle Handhabung menschlicher Überreste". Aus den gleichen Gründen lehnen auch die Kirchen die Kompostierung von Leichen ab. Zugleich berichten die Bestatter allerdings auch über eine erhöhte Nachfrage nach alternativen Bestattungsformen.
Das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) sieht aktuell keine Notwendigkeit das geltende Bestattungsgesetz zu ändern, um etwa eine Expermentierklausel wie Schleswig-Holstein einzuführen. "Ein Bedarf in der Bevölkerung für die Zulassung von neuen Bestattungsformen wird seitens der Landesregierung nicht gesehen", schreibt das Ministerium an den zuständigen Ausschuss. Bis auf weiteres wird also, wer sich nach dem Ableben beschleunigt in Humus verwandeln will, in den hohen Norden begeben müssen.
Unsere Quellen:
Über das Thema berichten wir am 27..11.24 u.a. im Westblick auf WDR5.