Kommentar: Die Schuldenbremse ist schon ausgeleiert

Stand: 20.12.2022, 15:10 Uhr

Ob in Berlin oder Düsseldorf: Für Hilfspakete sind die Finanzminister zum Aufnehmen von Schulden bereit. Für den normalen Bürger, kommentiert Wolfgang Otto, wird damit aber immer unklarer, was die Schuldenbremse dann noch bringen soll.

Von Landespolitik-Redakteur Wolfgang OttoWolfgang Otto

Das gibt es nicht so oft in der Politik. Ausgerechnet diejenigen, die eine besonders harte Schuldenbremse immer gefordert haben, sind die ersten, die sie demolieren. Wie so etwas passieren kann, ist an zwei Standorten zu bestaunen. In Berlin und in Düsseldorf.

FDP-Chef Christian Lindner hat seine Kredit-Allergie aus Oppositions-Zeiten völlig überwunden seitdem er Bundesfinanzminister ist. Er zierte sich zwar erst, aber am Ende machte er doch immer das große Schuldenfass auf – für Corona, die Energiewende, die Bundeswehr und jüngst nochmal satte 200 Milliarden Euro für Gaspreisbremse und Co. Alles angeblich legal aufgenommene Kredite, trotz Schuldenbremse, wie Lindner betont.

Vom ehrlichen Kaufmann zum Hütchenspieler

Ähnlich ironisch ist die noch kurze Geschichte seines Amtskollegen in Düsseldorf verlaufen. Dem neuen Finanzminister Marcus Optendrenk von der CDU attestierten selbst Oppositions-Politiker alle Tugenden eines ehrlichen Kaufmanns. Bis vor kurzem. Dann versuchte er sich als Hütchenspieler beim Kredite-Verstecken - bis der Landesrechnungshof den Trick enttarnte.

Als Folge musste die schwarz-grüne Landesregierung doch offen einräumen: NRW befindet sich in einer Notlage und muss im ersten Amtsjahr der CDU-Grünen-Koalition bis zu 5 Milliarden Euro neue Schulden machen. Wann genau diese Notlage beginnt, ist umstritten. Ob Optendrenk diese Kredite nach dem gescheiterten ersten Versuch jetzt wirklich verfassungskonform aufnimmt, ist nach wie vor nicht ganz geklärt. Der NRW-Finanzminister scheint den Überblick verloren zu haben, sicher aber seinen guten Ruf.

Immer wieder Sondertöpfe

Landespolitik-Redakteur Wolfgang Otto

Landespolitik-Redakteur Wolfgang Otto

Den beobachtenden Bürger muss das verstört zurücklassen. Auch wenn viele womöglich mit dem Ergebnis leben können: Bund und Land gießen so viel Geld über NRW aus, dass wenigstens Totalschäden in der Energiekrise vermieden werden müssten.

Aber: Wie das Ganze zustande gekommen ist, das bleibt eine politische Katastrophe. Niemand weiß mehr, was von der Schuldenbremse überhaupt noch zu halten ist. Die Menschen im Lande haben längst den Überblick verloren, weil ständig Kredite ausgelagert werden in irgendwelche Sondertöpfe.

Klarer Kurs in Sachen Schulden? Fehlanzeige!

Zudem versteht kaum noch jemand, welche Partei für welchen Kurs steht in der Steuer- und Finanzpolitik. Auch die SPD hat sich ja in ihren unterschiedlichen, auch taktisch geprägten Rollen in Düsseldorf und Berlin bis zur Unkenntlichkeit verkämpft. Statt mehr Transparenz gibt es überall nur noch Taktik.

Mag sein, dass die Schuldenbremse theoretisch eine gute Idee war. In der Praxis aber hat sie bisher nur Chaos angerichtet – in den Köpfen und in den öffentlichen Haushalten.