Unter dem mit  Protestfolien beklebten Ortsschild "Lützerath - Stadt Erkelenz - Kreis Heinsberg" hängt ein Schild "bleibt".

Kommentar: Der Eiertanz der Grünen um Lützerath

Stand: 11.01.2023, 13:30 Uhr

Statt den früheren Kohleausstieg und den Erhalt vieler Dörfer als Erfolg zu feiern, statt Freudentänze am Rande der Kohlegruben aufzuführen, geben sich die regierenden Grünen staatstragend - und zerknirscht.

Von Jochen TrumJochen Trum

Führenden Grünen in Nordrhein-Westfalen geht es in diesen Stunden erkennbar schlecht. Sie sind innerlich zerrissen wie lange nicht und hadern mit der eignen Politik. Eigentlich ist Lützerath, als Chiffre für die Beendigung der Braunkohleförderung 2030, ein großer Erfolg, nach jahrzehntelangen, teils beinharten politischen Auseinandersetzungen in diesem Land. Mit den anderen Parteien, mit RWE und Gewerkschaft.

Warum nur will die Klimabewegung diesen Erfolg nicht sehen? Ausstieg vorgezogen, trotz Energiekrise, Millionen Tonnen Kohle bleiben im Boden, Kraftwerke schließen und Dörfer werden erhalten. Alle, eben bis auf Lützerath, den trostlosen Weiler am Rand des Kraters.

Schlussstein des Kohlezeitalters

Die Antwort lautet: Die Grünen haben es zum Teil selbst vermasselt. Sie haben geglaubt, der Kompromiss von Robert Habeck und Mona Neubaur mit RWE stehe für sich. Er sei so gut, das werde schon jeder verstehen.

Nein. Sie hätten Lützerath selbst zu einem Symbol machen müssen: Seht her, hier stehen wir, an historischer Stätte. Dies ist der Schlussstein des Kohlezeitalters, hier liegen die letzten Kubikmeter eines Kapitels in der Industriegeschichte dieses Landes. Haben sie aber nicht gemacht. Stattdessen haben sie den Aktivisten das Feld überlassen und deren Mechanismen unterschätzt - ausgerechnet die Grünen!

Denn zielsicher und kampagnengeschult haben die sich des Ortes bemächtigt und die Erzählung genau umgedreht. Statt Erlösung Sündenfall. Maximal aufgeladen mit der Parole: An Lützerath entscheidet sich die Rettung der Welt, zumindest das deutsche 1,5-Grad-Ziel. Dass es dabei mit Logik und Vernunft nicht weit her ist - geschenkt. Aber die Klimabewegung braucht diese Momente, damit stärkt sie sich seit Jahren. Der Boden unter Lützerath mag RWE gehören, der Begriff gehört der Klimabewegung.

Anstrengende Verantwortung

Und die Grünen? Versuchen den Eiertanz, verantwortungsvoll als Regierungspartei zu handeln, Recht und Gesetz durchzusetzen. Dabei trotzdem Sympathie für die Proteste zu zeigen und den Kontakt ins für sie so wichtige politische Vorfeld, zu all den Verbänden, Bewegungen und Aktivisten nicht abreißen zu lassen. Das ist anstrengend. Und man sieht es den Grünen dieser Tage förmlich an.