Klimaaktivisten hängen in sogenannten Tripods im besetzten Braunkohleort Lützerath.

Landesregierung verteidigt die Lützerath-Räumung

Stand: 11.01.2023, 18:21 Uhr

Die Grünen stehen wegen der Räumung von Lützerath in der Kritik. Aber die schwarz-grüne Landesregierung hält an ihrer Linie fest und verteidigt das Abbaggern von Lützerath.

Von Sabine Tenta und Christian Wolf

In dichter Folge twittern Aktivistinnen und Aktivisten aus ihrem Widerstand vor Ort in Lützerath. Mittendrin auch Parteimitglieder der Grünen, die nicht als Beobachtende dort sind, sondern als Aktive im Protest. Zum Beispiel Timon Dzienus, Bundesvorsitzender der Grünen Jugend, der ein Foto mit gereckter Faust postet.

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Es ist eins von vielen Beispielen. Der 11. Januar 2023 ist nicht der Tag des Zweifels, sondern ein Tag der Verteidigung bekannter Positionen. Das geht vor allem quer durch die Partei der Grünen in NRW, die sich einer Zerreißprobe stellen muss. Die Argumente sind ausgetauscht, die Fakten und die Rechtslage sind klar.

Oliver Krischer: "Bitter, dass Lützerath abgebaggert werden muss."

Rund anderthalb Stunden vor Beginn der Räumung äußerte sich NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) im Deutschlandfunk. Er verteidigte die Vereinbarung der Landesregierung mit RWE, die "dazu führt, dass der Tagebau um die Hälfte verkleinert wird, 280 Millionen Tonnen Kohle unter der Erde bleiben, dass fünf Dörfer gerettet werden. Das war immer die Forderung der Bewegung. Nebenbei haben wir dafür gesorgt, dass zehn Kilometer Autobahn nicht gebaut werden." Er gab aber auch unumwunden zu, "dass es bitter ist, dass Lützerath abgebaggert werden muss".

Mehrfach betonte der Minister: "Ich setze mich seit 30 Jahren kritisch mit der Braunkohle auseinander, ich habe alle Auseinandersetzungen miterlebt", aber die Vereinbarung mit RWE sei nun "einer der größten Fortschritte der letzten Jahre". Sie besagt im Kern, dass RWE bereits 2030 aus dem Kohleabbau aussteigt, dafür aber Lützerath abgebaggert wird.

Die Argumentation des Ministers ist nicht neu. Auch Wirtschaftsministerin Mona Neubaur von den Grünen verwies am Mittwoch auf diese angeblichen Erfolge und sprach von einem "starken Signal für Klimaschutz". Doch die Klimaaktivistinnen und -aktivisten in Lützerath überzeugen sie nicht. Sie verteidigen weiter jeden Zentimeter Gelände. Und posten Videos von Polizisten, die an ihren Tripods rütteln, diesen Dreibeinhockern in XXL, die das umkämpfte Terrain an der Abbruchkante überragen.

Wibke Brems: "Ein schwerer Tag für uns Grüne"

Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, Wibke Brems und Verena Schäffer, meldeten sich am Vormittag per Pressemitteilung zu Wort. Da hatten sich bereits die ersten Demonstrierenden friedlich von der Polizei abführen lassen. Es waren aber auch Steine auf Einsatzkräfte geworfen worden, Barrikaden brannten.

Brems räumte zunächst ein: "Der heutige Tag ist kein leichter für uns Grüne und alle für den Klimaschutz engagierten Menschen." Es sei das "Verdienst gerade vieler junger Menschen, dass die Klimakrise auch außerhalb der Parlamente große Aufmerksamkeit erhalten hat". Und sie versprach: "Wir haben das letzte Kapitel der Kohleverstromung in NRW geschrieben, aber unsere Arbeit in der schwarz-grünen Koalition für den Klimaschutz steht erst am Anfang."

Auch Verena Schäffer erinnerte mit Blick auf den Prostest im Rheinischen Revier an Verbindendes: "Gemeinsam mit der Klimaschutzbewegung, die seit vielen Jahren friedlich, vielfältig und kreativ auf die Auswirkungen der Klimakrise hinweist, haben wir in den letzten Jahren viel erreichen können."

Eine klare Kante zeigte Ministerin Neubaur gegenüber allen, die nicht friedlich blieben: "Wenn Steine, Flaschen oder Molotowcocktails auf Personen fliegen, ist das nicht richtig." Die Polizeikräfte vor Ort machten ihren Job, die Grundlage dafür sei eine "politische Entscheidung, die demokratisch gefällt wurde". Neubaur sagte: "Gewalt ist meiner Ansicht nach kein Mittel der demokratischen Auseinandersetzung."

Herbert Reul weiht neue Polizeistation ein

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) äußerte sich am Vormittag zu Lützerath. Er war in Bad Godesberg, wo er eine neue Polizeistation einweihte. Dass er an einem Tag, an dem einer der größten Polizeieinsätze beginnt, die er als Innenminister zu verantworten hat, nicht in Lützerath, sondern in Bad Godesberg war, kann auch als Statement verstanden werden. Als wollte er sagen: Schaut her, die ganz normale Polizeiarbeit geht trotzdem weiter.

Reul weiht die neue Polizeiwache in Bad Godesberg ein

Reul weihte am Mittwoch eine neue Polizeiwache ein

Zu Lützerath befragt, appellierte Herbert Reul an diejenigen, "die das Klima, aber nicht die Chaoten schützen wollen", sich von "den Randalierenden zu distanzieren". Man könne auch woanders demonstrieren. Man dürfe jetzt nicht der Polizei die Arbeit schwer machen. "Am meisten hat mich erschrocken, dass ich jetzt permanent Berichte kriege, dass Polizisten durchs Feuer gehen müssen, dass Molotow-Cocktails geschmissen werden, dass Steine geworfen werden."

Am Nachmittag zog der Innenminister eine positive Zwischenbilanz. "Nach jetzigem Stand" verlaufe der Polizeieinsatz "planmäßig". Mehrere Tausend Polizeikräfte seien vor Ort. Doch eine Prognose, wie lange die Räumung noch laufen wird, wollte Reul nicht abgeben. Es gebe noch "viele Untersicherheiten".

Verständnis des Innenministers für Demonstrierende

Auch er verteidigte die Vereinbarung mit RWE. Reul sieht darin "einen Sieg für alle diejenigen, die sich ums Klima kümmern, auf voller Linie: Es wird weniger abgebaggert, es bleiben Dörfer stehen, der Hambacher Forst bleibt stehen - und es wird ein klitzekleiner Teil jetzt abgebaggert."

Der Minister sagte aber auch, er habe Verständnis für diejenigen, "die jetzt noch protestieren wollen, weil sie sagen, das Thema wird noch nicht ernst genug genommen". Hier bemühte sich der Minister sichtlich um eine verbale Deeskalation in einer ansonsten aufgeheizten Lage.

Ob es die Protestierenden erreicht, ist fraglich. Die Fronten wirken verhärtet.

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