Der Kindertafel-Bus steht auf einer Straße

Wie Ehrenamtler in NRW gegen Kinderarmut kämpfen

Stand: 06.12.2024, 15:11 Uhr

Jedes fünfte Kind in NRW lebt in Armut, daran ändert sich seit Jahren nichts - allen politischen Versprechen zum Trotz. Ein warmes Mittagessen bekommen viele Kinder nur, weil Ehrenamtliche sich engagieren.

Von Anne Bielefeld und Louisa Ewald

Wie viele Kinder heute zur mobilen Kindertafel kommen werden, weiß Veronika Spanka noch nicht. Es ist ein verregneter Tag Anfang Dezember, da wisse man nie, sagt sie. Doch schon kurz darauf tummeln sich die Kinder in dem umgebauten Bus, in dem der Verein klartext e.V. warmes Essen verteilt.

Jeden Donnerstag steht der Bus zwischen 13 und 17 Uhr in Moers-Matthek. Der Stadtteil gilt als sozialer Brennpunkt. Die 72-jährige Veronika Spanka engagiert sich seit vielen Jahren als Helferin. Sie erklärt die Regeln: Erstmal Hände waschen, das ist das Wichtigste. Erst danach gibt es Essen.

"Also wenn wir als Ehrenamtler das nicht geben würden, würden viele Kinder gar nicht viel zu essen bekommen. Die Tafel ist auch überfüllt. Die Politik müsste eigentlich viel mehr für die Kleinen tun." Veronika Spanka, ehrenamtliche Helferin bei klartext e.V.

Ein umgebauter Bus als fahrbare Kindertafel

Ehrenamtliche Helfer haben den Bus umgebaut, Sitze raus, Tische rein. Eine Küchenzeile mit Spülmaschine gibt es hier und eine kleine Theke als Essensausgabe.

Ein Junge isst einen Teller mit Nudeln

Mittagessen bei der mobilen Kindertafel in Moers

Die Schülerinnen und Schüler bringen Hunger mit. Manche sind regelmäßig da und begrüßen die Helfer herzlich. Andere sind neugierig geworden, als sie den orange-grünen Bus in ihrer Nachbarschaft gesehen haben und kommen zum ersten Mal. Heute gibt es Nudeln mit Hähnchengeschnetzeltem, gesponsert von einem Hotel in der Nähe.

Veronika Spanka füllt mit den anderen Helferinnen und Helfern die Teller. Dann setzt sie sich mit den Kindern hin, um zu reden: Wie geht es dir heute? Wie war es in der Schule? Ab und zu gibt es auch etwas für sie, zum Beispiel ein selbst gemaltes Bild. “Wir nehmen jedes Kind auf. Wir freuen uns und die freuen sich auch für uns. Dann hören wir zu und das gibt uns einfach viel Freude. Und die Kinder haben auch Spaß”, sagt Veronika Spanka.

Zwei Ehrenamtliche geben in einem Bus essen aus

Veronika Spanka (rechts) und Sigrid Schilling geben das Essen aus

50 bis 80 Kinder kommen hier jedes Mal vorbei, wenn der Bus in Moers-Matthek hält. Es gibt noch weitere Haltepunkte am linken Niederrhein - einen zweiten in Moers, in Kamp-Lintfort, Neukirchen-Vluyn und Rheinberg. In den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach dem kostenlosen Mittagessen immer weiter gestiegen. “Ich glaube, dass es in einem der reichsten Länder der Welt ein Skandal ist, über Kinderarmut sprechen zu müssen”, sagt Vereinsgründer Michael Paßon.

Armut, das sei aber nicht nur Hunger, weil zu wenig genug Geld für Essen da ist. Arm sei auch, wer nicht am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen könne, sagt Paßon. Deswegen macht der Verein mit seinen Helfern verschiedene Angebote: Sie organisieren Weihnachtsgeschenke für bedürftige Kinder, gehen mit Einzelnen oder Familien einkaufen und gestalten verschiedene Freizeitangebote für die Ferien. Alles finanziert sich durch Spenden und die kostenlose Hilfe von Freiwilligen. Finanzielle Unterstützung vom Land gibt es nicht.

Mittagessen und Hausaufgabenhilfe in Wuppertal-Vohwinkel

Gleiche Idee, anderer Ort: Auch in Wuppertal-Vohwinkel versuchen Ehrenamtliche, gegen die Armut von Kindern zu lindern. Beim Kinder-Tisch gibt es jeden Tag ein warmes Mittagessen, eine Hausaufgabenbetreuung und Spielangebote. Iris und Udo Schemann haben den Verein gegründet und dafür sogar ihre Arbeitszeit im Job reduziert oder ganz aufgegeben.

Ein Junge uns zwei Ehrenamtliche stehen in der Küche und bereiten das Mittagessen vor

In Wuppertal-Vohwinkel wird das Mittagessen gekocht

Mit den anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern wird mit dem gekocht, was durch Spenden und von der Tafel zusammenkommt. Heute gibt es Blumenkohl mit Kohlrabi und Kartoffeln. Dazu Sauce, frische Rohkost und einen Joghurt zum Nachtisch. Nach dem gemeinsamen Essen machen die Kinder im Nebenraum Hausaufgaben. Die Erwachsenen helfen, wobei die Kinder es erst einmal selbst versuchen sollen.

"Der Start war ja erst ein Mittagessen. Dann haben wir aber gemerkt, die Kinder brauchen mehr. Nicht nur Mittagessen, sondern auch Betreuung und eine Hausaufgabenhilfe." Iris Schemann, Kinder-Tisch Wuppertal-Vohwinkel
Ehrenamtliche hilft Kind bei den Hausaufgaben

Iris Schemann bei der Hausaufgabenhilfe

In vielen Familien gibt es keinen Platz für die Kinder, wo sie in Ruhe Hausaufgaben machen und lernen können. Viele Eltern können nicht bei den Hausaufgaben helfen, weil ihr Deutsch nicht gut genug ist. Die Kinder kommen gerne, treffen hier ihre Freunde und freuen sich über die Bezugspersonen, die sie hier finden.

Imane geht in die zweite Klasse. Sie und ihre Freundin Amira sind unzertrennlich. Beim Essen und bei der Hausaufgabenbetreuung sitzen sie immer zusammen. Warum ihr der Kindertisch so gut gefällt? „Weil man hier Hausaufgaben machen kann, und Malen kann und spielen. Das find ich sehr geil.“

Auch der Verein in Wuppertal lebt allein von Spenden - Gelder aus öffentlichen Töpfen gibt es kaum. Zu viel Verwaltungsaufwand für den kleinen Verein, sagt Vorsitzender Udo Schemann.

Landesregierung will Angebote zugänglicher machen

Viele Kommunen in NRW sind bei der Bekämpfung von Kinderarmut auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Es fehlt an Personal, Geld und Zeit. Der Landesregierung sind die Probleme bewusst. Sie will die Infrastruktur für bedürftige Familien ausbauen und Angebote zugänglicher machen.

152 Millionen Euro will das Land NRW 2025 für den Kinder- und Jugendförderplan ausgeben, der die Teilhabe von armutsbetroffenen Kindern und Familien fördern soll. Das sind sieben Millionen Euro mehr als in diesem Jahr. Das Familienministerium sieht aber auch den Bund in der Pflicht, sich für die von Armut betroffenen Kinder und Familien einzusetzen. Aus dem Ministerium heißt es, sie bedauern, dass die Einführung einer Kindergrundsicherung auf Bundesebene gescheitert ist.

Kindergrundsicherung: Richtig gegen Kinderarmut?

WDR 5 Tagesgespräch 09.04.2024 45:34 Min. Verfügbar bis 09.04.2025 WDR 5


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Die Ehrenamtlichen aus Wuppertal und Moers wünschen sich dagegen, dass die Politik das System grundlegend verbessert. Mit mehr Personal in Kitas, Schulen und außerschulischen Angeboten. Damit mehr Kinder Unterstützung bekommen und die Kinderarmut in NRW endlich zurückgeht.

Unsere Quellen:

  • WDR-Reporterinnen vor Ort

Über das Thema berichten wir am 08.12.2024 auch in Westpol, 19.30 Uhr im WDR Fernsehen

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