Brand in Flüchtlingsheim: Warum Behörden bei Abschiebungen oft hilflos sind
Stand: 16.01.2025, 17:15 Uhr
Nach dem Brand in einem Flüchtlingsheim in Schleiden stellt sich wieder die Frage: Warum war der Verdächtige noch in Deutschland?
Von Thomas Drescher
Der Brandmelder in der Schleidener Flüchtlingsunterkunft löst an einem Samstag um 10.43 Uhr Alarm aus. Es ist der 23. November 2024. Mehr als 100 herbeigeeilte Feuerwehrleute können nicht verhindern, dass das Gebäude auf einem alten Kasernengelände bis auf die Grundmauern niederbrennt.
16 Menschen erleiden Rauchvergiftungen. Zwei weitere Gebäude werden beschädigt. Fast 350 Geflüchtete leben in dieser zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE) des Landes.
Warum wurde nicht abgeschoben?
Noch am gleichen Tag nimmt die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Hinweise von anderen Bewohnern der ZUE hatten zu Souat K. geführt, einem 35 Jahre alten Mann, der mutmaßlich aus Algerien stammt und der, nach einem abgelehnten Asylantrag, Deutschland verlassen sollte, was er aber offensichtlich nicht getan hat. Ihm wird siebenfacher Mordversuch, schwere Brandstiftung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Die Geschichte von Souad K. ähnelt anderen, bei denen hinterher empört gefragt wird: Warum war der überhaupt noch hier? Warum wurde der nicht längst abgeschoben? Die Geschichte des mutmaßlichen Attentäters von Solingen ist so ein Fall, oder die von Hassan N. aus dem Iran, der im vergangenen Oktober mutmaßlich versucht hat, in Krefeld ein Kino anzuzünden.
Der Fall Souad K. und neue Details seiner "Aufenthaltsgeschichte", über die zuerst der Kölner Stadtanzeiger berichtete, offenbart einmal mehr die Hilflosigkeit der Behörden im Umgang mit Ausreisepflichtigen. Das zuständige Ministerium spricht von "systemischen Herausforderungen". Aber der Reihe nach.
Acht Jahre abgetaucht
Souad K. taucht das erste Mal am 1. Dezember 2015 in Ausländerzentralregister der Bundesrepublik Deutschland auf, fast neun Jahre bevor in Schleiden das Feuer ausbricht. Dies bestätigt das NRW-Fluchtministerium. In Baden-Württemberg erhält er eine Duldung - und verschwindet spurlos. Erst acht Jahre später tritt Souad K. für die Behörden wieder in Erscheinung, diesmal in NRW. Es ist November 2023. Wo er in der Zwischenzeit war, ist unbekannt. War er im europäischen Ausland? Gab es weitere Identitäten? Niemand kann dazu Auskunft geben.
Zwei Monate später, am 22. Januar 2024, stellt K. einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnt diesen Antrag im Juni 2024 ab, nachdem Souad K. nicht zur Anhörung erschienen ist. Am 25. Juni wird ihm der Beschluss des BAMF übergeben. Darin auch die Aufforderung, binnen einer Woche auszureisen.
Ohne Pass keine Abschiebung
Zwei Monate vergehen, dann suchen ihn Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde persönlich auf, um ihn zur freiwilligen Ausreise zu beraten. Doch Souad K. verweigert das Gespräch. Er verfügt über keinerlei Reisedokumente, macht dazu auch keine Angaben. Doch Reisedokumente sind nach geltendem Recht für eine Rückführung in sein Heimatland unerlässlich. Ohne Pass keine Ausreise, keine Abschiebung.
Deshalb leitet die Zentrale Ausländerbehörde Köln ein sogenanntes Passersatzpapierverfahren ein, sicherheitshalber nicht nur für Algerien, sondern auch für Marokko und Tunesien. Das Land, das die fragliche Person als Staatsbürger anerkennt und mit Papieren ausstattet, akzeptiert die Rücknahme. Das ist langwierig und oft genug erfolglos. "Ein wesentliches Hindernis einer Rückführung bleibt in vielen Fällen die fehlende Kooperationsbereitschaft von Herkunftsländern", so das Fluchtministerium.
Mehrere Suizidversuche
Am 8. November, 16 Tage vor der Brandstiftung in Schleiden, schluckt Souat K. mehrere Klingen eines Teppichmessers. Die Staatsanwaltschaft Aachen bestätigt diesen Vorfall. Wie der Kölner Stadtanzeiger berichtet, beging K. schon im April einen ersten Suizidversuch. Aus einer psychiatrischen Klinik, so der Bericht, sei er nach kurzer Zeit wieder entlassen worden.
Erst nach dem Brand und seiner Festnahme ist Souad K. nun längerfristig in einer Psychiatrie untergebracht.
Im Laufe des Jahres 2024, nachdem er also seinen Asylantrag gestellt hatte, trat Souad K. sechsmal polizeilich in Erscheinung, wie es im Amtsdeutsch heißt. Es gibt laufende Strafverfahren wegen Unterschlagung, wegen Betrugs, wegen Diebstahlsdelikten in sieben Fällen, wegen Hausfriedensbruchs, wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und wegen einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz.
"Kriminalpolizeiliche Erkenntnisse "ermöglichen regelmäßig keinen Rückschluss auf die Richtigkeit des in Rede stehenden Vorwurfs", schreibt die Ministerin Josefine Paul auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion. "Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung", so Paul
Vorwürfe der Opposition
Die FDP im Landtag hält Ministerin Paul vor, sie habe nur unzureichend über die Gefährlichkeit von Souad K. informiert, insbesondere die Nicht-Erwähnung seiner psychischen Probleme moniert die FDP. Auch dass er acht Jahre lang abgetaucht war, habe Paul nicht berichtet. Das Ministerium erklärt lakonisch, die FDP habe ja nicht nach diesen Details gefragt.
Der Fall Souad K. enthält genügend Stoff, mit dem die Opposition die ohnehin angeschlagene Ministerin vor sich hertreiben kann. Das wird sie sich nicht nehmen lassen.
Unsere Quellen:
- Kleine Anfrage der FDP-Fraktion
- Auskunft der Staatsanwaltschaft Aachen
- Stellungnahme des NRW-Ministeriums für Flucht und Integration
- Bericht des Kölner Stadtanzeigers