Klaus Lobe hat Zeit mitgebracht. Er sitzt schon eine ganze Weile in der guten Stube der 91jährigen Brigitte. Die Frau mit den weißen Locken, die ihren Nachnamen hier nicht lesen möchte, genießt die Gelegenheit, einfach mal zu reden. Am Ende hat Brigitte eine Verabredung – zum Besuch der Handarbeitsgruppe im Stadtteil-Treff.
Klaus Lobe ist einer von fünf "Seniorenlotsen" der Stadt Herford. Die Lotsen machen Hausbesuche. Ihr Ziel: Sie wollen alte Menschen dabei unterstützen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden klar zu kommen – und dabei nicht zu vereinsamen.
Einsamkeitsbekämpfung als politisches Ziel
Es sind Modellprojekte wie dieses, die die schwarz-grüne Landesregierung für beispielhaft hält. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat "die Überwindung der Einsamkeit" zu einem Schwerpunkt seiner Regierungszeit erklärt.
Doch wie soll das gelingen? Die Opposition im NRW-Landtag wollte das heute noch einmal genauer wissen. Sie hat einen Verdacht: Die Landesregierung könnte den Kampf gegen Einsamkeit mit guten Worten, Appellen und ein paar Projekten zur Stärkung des Ehrenamtes bestreiten. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Lisa Kapteinat, ermahnte Schwarz-Grün heute erneut, "die Bekämpfung der Einsamkeit nicht nur auf das Ehrenamt abzuwälzen und auf Social-Media-Kampagnen".
Hilfen für ehrenamtliche Sozialarbeit
Tatsächlich hat die Landesregierung in ihrem ersten großen Maßnahmenpaket vor allem Hilfen für die ehrenamtliche Sozialarbeit gebündelt. Doch das soll erst der Anfang sein, wie Redner von CDU und Grünen beteuerten. Die Regierung wolle die 65 Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission systematisch abarbeiten, versprach die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Meral Thoms.
Doch es zeigten sich auch grundsätzlich verschiedene Blickwinkel auf das Problem Einsamkeit. Für die SPD geht es dabei vor allem um Armutsbekämpfung. Deshalb eine der Forderungen heute: kostenloses Essen in Schulen und Kitas. Denn Eltern, die sich das Essen für ihre Kinder in der Schule kaum leisten könnten, müssten dafür an anderer Stelle sparen – zum Beispiel bei Freizeitangeboten für die Familie. So fördere Armut die Vereinsamung, erklärte die SPD-Abgeordnete und gelernte Sozialarbeiterin Lena Teschlade.
Problem betrifft junge und alte Menschen
Das sehen CDU und Grüne im Prinzip nicht völlig anders. Allerdings dürfe man die Ursachen für Einsamkeit nicht allein im mangelnden Einkommen sehen, sagte Meral Thoms von den Grünen. Vor allem ältere Menschen auf dem Land seien von Einsamkeit bedroht, selbst wenn sie über ein gutes Einkommen verfügen. Thoms fordert deshalb einen breiten Ansatz bei der Einsamkeitsbekämpfung. Dazu gehöre auch, bei der Stadtplanung und Quartiersentwicklung öffentliche Räume zur Begegnung zu schaffen, damit "ältere Menschen wieder einen Ort haben, um einen Kaffee zusammen zu trinken und ins Gespräch zu kommen".
Für "konsumfreie Begegnungsstätten" plädierte auch Gesundheits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). Sein Positiv-Beispiel: Der Umbau des Hafen-Stadtteils in Münster, wo Treffpunkte am Wasser entstanden seien ohne angeschlossene Restaurants mit Verzehrzwang. "Die Politik kann viel tun gegen Vereinzelung und Einsamkeit", sagte Laumann. Aber am Ende komme es darauf an, auf Menschen zuzugehen, die keine Kontakte haben. Dafür brauche es Menschen, die "eine Antenne dafür haben".
Über dieses Thema berichten wir am 15.06.23 in der Sendung "Westblick" bei WDR5.