Statt Silicon Saxonie: Wo ist die NRW Zukunftsvision?
Aktuelle Stunde. 09.08.2023. 33:44 Min.. UT. Verfügbar bis 09.08.2025. WDR. Von Timucin Tim Köksalan.
Milliarden für Chipfabriken: Warum profitiert NRW nicht?
Stand: 09.08.2023, 16:54 Uhr
Der Staat gibt Milliarden aus, damit Chip-Unternehmen investieren. NRW geht dabei leer aus. Die FDP sieht den Wirtschaftsstandort in Gefahr. Doch an anderer Stelle fließt viel Geld ins Land.
Von Christian Wolf
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Zu den Kommentaren [6]Fünf Milliarden Euro Steuergelder für eine Chipfabrik in Dresden - diese Nachricht sorgte am Dienstag für Schlagzeilen. Bis 2027 soll mit staatlicher Hilfe ein Halbleiterwerk des taiwanischen Chipriesen TSMC entstehen. Doch das ist nicht die einzige Megainvestition des Staates dieser Tage.
So soll der US-Chiphersteller Intel fast zehn Milliarden Euro für einen neuen Standort in Magdeburg bekommen. Der deutsche Chip-Hersteller Infineon strebt für den Ausbau seines Dresdner Werkes eine staatliche Förderung von einer Milliarde Euro an. Und im Saarland erwartet das US-Unternehmen Wolfspeed 25 Prozent staatliche Förderung für eine rund 2,5 Milliarden Euro teure neue Chipfabrik.
Keine großen Pläne für NRW
Die Politik bemüht sich derzeit ganz offensiv, mit hohen Fördersummen Unternehmen aus der Chipbranche für Investitionen zu gewinnen. Ohne diese Subventionen scheint bei aktuellen Standort-Entscheidungen nichts zu gehen.
Da stellt sich schnell die Frage, ob und wie Nordrhein-Westfalen von dieser Entwicklung profitiert? Vergleichbare Pläne zur Ansiedlung großer Hersteller mit Fabriken sind derzeit nicht bekannt.
Im Moment gibt es nur wenige Standorte in NRW, an denen Module hergestellt werden, unter anderem in Dortmund von der Firma Elmos, in Warstein bei Infineon und in Köln bei Chip Cologne. Die Kölner stellen Halbleiter für Telekommunikationsanlagen her und erhielten erst kürzlich einen Förderbescheid aus dem Hause Habeck.
Darum ist Sachsen so erfolgreich
Auffällig ist, dass es die Chipindustrie vor allem nach Sachsen zieht. "Silicon Saxony" ist da das Stichwort. Tatsächlich ist die Industrie nirgends sonst in Europa so präsent wie dort. Ein traditionelles Industrieland wie NRW kann da offenbar nicht mithalten.
Dafür gibt es Gründe. Die Voraussetzungen in Sachsen sind einfach besser. Es gibt bereits zahlreiche Unternehmen vor Ort. Das macht das Arbeiten einfacher. Zurück geht das auf ein positives Erbe ostdeutscher Industriegeschichte. Schon zu DDR-Zeiten wurde in Dresden das Zentrum Mikroelektronik Dresden (ZMD) gegründet. Die Nachwirkungen davon sind noch heute zu spüren.
"Dresden und die Umgebung hat tatsächlich eine lange Erfahrung mit der Chipproduktion. Deshalb haben sich da zum Beispiel besonders ausgebildete Fachkräfte angesammelt, die Unis forschen schon lange zu dem Thema und arbeiten mit der Industrie zusammen. Außerdem gibt es da sehr viele Zulieferer", fasst Birgit Eger aus der WDR-Wirtschaftsredaktion die Vorteile zusammen.
Experte warnt, Ministerium beschwichtigt
Hanno Kempermann vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sieht noch grundsätzliche Nachteile von NRW. "Ein Grund ist, dass es in ostdeutschen Bundesländern noch sehr viele Flächen gibt, auf denen sich diese großen Werke ansiedeln können. Die gibt es in Westdeutschland so gut wie gar nicht mehr." Zudem seien im ostdeutschen Raum viele Erneuerbare Energien verfügbar, die bei großen Industrieansiedlungen gebraucht würden.
Die Sorgen vor einer Deindustrialisierung Nordrhein-Westfalens seien "durchaus berechtigt". "Zumindest gibt es Anzeichen, dass etwas passieren muss", sagt Kempermann. Die führenden Sparten Stahl und Chemie seien sehr energieintensiv und litten unter den hohen Preisen. Deshalb sei es richtig, jetzt mit "sehr viel Druck" die Erneuerbaren auszubauen.
Das NRW-Wirtschaftsministerium sieht hingegen kein Grund zur Sorge. Von dort hieß es am Mittwoch auf WDR-Anfrage: "Nordrhein-Westfalen ist als größtes Bundesland und starker Wirtschaftsstandort im Herzen Europas auch in den aktuell herausfordernden Zeiten ein attraktiver Standort für Unternehmen." So sei das Interesse bei ausländischen Direktinvestitionen nach wie vor groß. "Es sollten nicht nur spektakuläre Großansiedlungen in den Blick genommen werden, sondern auch die dahinterstehenden Lieferketten, bei denen Nordrhein-Westfalen beispielsweise im Bereich der Automobilindustrie breit und gut aufgestellt ist."
Milliarden für den Kohleausstieg
Vor zwei Jahren wurde mal versucht, im Rheinischen Revier eine Chipfabrik anzusiedeln. Sogar die Unterstützung ehemaliger Landtagsabgeordneter wurde genutzt. Doch auch die half nicht. Am Ende verlief das Projekt im Sande. Stattdessen fließen nun fast 15 Milliarden Euro vom Bund nach NRW, um den Strukturwandel nach dem Kohleausstieg 2030 zu schaffen. Viele kleinere Projekte sollen damit angestoßen werden.
Doch nicht immer geht NRW bei großen Investitionen leer aus. 2019 bekam Münster den Zuschlag für Batterieforschungsfabrik. Investitionsvolumen: 500 Millionen Euro. Und dann ist da ganz aktuell die Milliarden-Beihilfe für den Duisburger Industriekonzern Thyssenkrupp. Der bekommt bis zu zwei Milliarden Euro für den Bau einer Anlage zur grünen Stahlproduktion.
FDP schlägt Alarm
FDP-Chef Henning Höne
Trotzdem zeigt sich die FDP unzufrieden. Bis vor gut einem Jahr hat sie noch den Wirtschaftsminister im Land gestellt. Nun sagt Partei- und Fraktionschef Hennig Höne: "NRW tut zu wenig, um den Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten. Hier gibt es schöne Bilder vom Ministerpräsidenten aber wenig wirklich handfeste Industrie- und Wirtschaftspolitik."
Bei Neuansiedlungen tue sich zu wenig und die Industrie investieren weniger als in der Vergangenheit. "Da droht wirklich die Gefahr, dass wir schleichend immer weniger Industrieland werden." Die Abgaben und Belastungen müssten gesenkt, die Infrastruktur in Ordnung gebracht und zusätzliche Flächen zur Verfügung gestellt werden.
Große Flächen bleiben ungenutzt
Doch das selbst das nicht reicht, zeigt das Beispiel Euskirchen. Dort wird seit Jahren versucht, auf über 200 Hektar Fläche ein Großvorhaben zu realisieren. Der Platz ist da, aber niemand will ihn nutzen. In der Vergangenheit haben bereits Haribo, BMW und Tesla über eine Ansiedlung nachgedacht, sich dann aber doch anders entschieden.
Im Mai hieß es nun, dass Gespräche mit mehreren Interessenten geführt werden. Vielleicht wird es doch noch was mit dem "Sechser im Wirtschaftslotto", wie es der "Kölner Stadt-Anzeiger" bezeichnet.
Über das Thema berichtet der WDR am 09.08.23 u.a. im Echo des Tages um 18.30 Uhr auf WDR 5 und in der Aktuellen Stunde, 18.45 Uhr im WDR Fernsehen.
6 Kommentare
Kommentar 6: H. schreibt am 11.08.2023, 01:03 Uhr :
Haben wir nicht eine Landesreegierung, die aus einer sozialen Umweltpartei und einer konservativen Wirtschaftspartei besteht? Wenn die Koalitionspartner sich anstrengen und ihre Stärken zusammenlegen, ohne dabei immer nur den eigenen Wähler gefallen zu wollen, dann könnte Nordrhein-Westfalen noch einiges erreichen. Besonders der Punkt Energie ist wichtig.
Kommentar 5: Hannes schreibt am 11.08.2023, 00:46 Uhr :
Ob "fast zehn Milliarden Euro für einen neuen Standort in Magdeburg" oder in NRW ist so oder so ein schlechtes Zeichen. Wir haben zu hohe Kosten bei Lohn, Energie, Öko und, und, und. Sicher brauchen wir mehr Lohn aber wenn es in der EU keinen Mechanismus gegen Lohndumping gibt, wandern multinationale Konzerne ab oder müssen mit Milliarden subventioniert werden; beides ist schlecht. Flächen sind nicht das Problem.
Kommentar 4: Jemand aus NRW schreibt am 10.08.2023, 19:09 Uhr :
Die Halbleiter- und Chipproduktion ist auch immer stark abhängig von der Weltkonjunktur und vom Forschungsgeist. Es gab Zeiten, da wurden in Deutschland PCs, Fernseher, Handys .... etc. hergestellt. Innerhalb von ein oder zwei Jahrzehnten scheint die ganze Zukunftstechnologie dann aber verloren gegangen zu sein. Auch Hersteller von PV-Modulen, Windradhersteller, Bioenergieunternehmen usw. sind heutzutage nicht mehr viele in Deutschland und damit auch nicht in NRW zu finden. M. E. gibt es zu wenig Flexibilität und Pioniergeist im Lande. Man könnte fast meinen, unsere Staatsform wäre die parlamentarische Bürokratie. ;) Wenn wir keinen Mut beweisen und uns nicht aus unseren Wohlstandsburgen heraustrauen, dann verwalten wir langfristig nur unseren Untergang. Ich glaube, dass NRW viel potential hat. Es muss vielleicht nicht ausgerechnet die Halbleiterproduktion hier angesiedelt werden, wir können fortschrittliche Maschinen oder etwas vergleichbares in NRW bauen.
Kommentar 2: Kirche Dorf und so schreibt am 09.08.2023, 22:50 Uhr :
Ich finde, wir NRWler sollte es nicht übertreiben. Es ist in Ordnung, wenn in einem "neuen" Bundesland die Chip-Industrie sitzt. Mir reicht es es aus, wenn Schlüsseltechnologien in Deutschland vertreten sind. Schade, dass das für die Kernfusionsforschung weniger gilt. Kurzfristig wird die Kernfusion zwar wohl keine große Rolle bei der Energieerzeugung spielen, aber wenn es uns in NRW gelingen würde, hier auf diese Weise sauberen und günstigen Strom und damit vielleicht sogar sauberen Wasserstoff herzustellen und dass j´könnte dann gepaart mit unserer engergiehungrigen Schwerindustrie,unser Bundesland wieder neu erblühen lassen. Bis dahin brauchen wir halt noch ein anderes Standbein, Start-Up-Förderung wäre m. E. gut. Wir haben hier Städte wie Münster, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg oder Köln und Universitäten sowie Hochschulen von Weltformat, da muss es doch kreative Ideen geben. Um es mit den Worten einer ehemaligen Kanzlerin zu sagen: "Wir schaffen das." ;)
Kommentar 1: Käfer schreibt am 09.08.2023, 18:46 Uhr :
Es gibt genug Industrie-Brachflächen, die müßten nur aufgeräumt werden, da hatte man die alte Industrie verwöhnt, so das immer noch unrat rumsteht. Wer kümmert sich eigendlich um solche Problemzonen. Weitere Flächen zu versiegeln lößt das Problem nicht.