Flutkatastrophe: Werden Betreiber von Kiesgruben richtig kontrolliert?

Stand: 22.01.2023, 06:00 Uhr

Immer neue Details über die Rolle der Behörden fördert der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe zutage. Wie kamen sie zu möglichen Fehleinschätzungen? Und welche Konsequenzen zieht man jetzt?

Von Bernd NeuhausBernd NeuhausTorsten ReschkeTorsten Reschke

Der Krater, in dem ganze Häuser versanken, ist verschwunden. Doch das Trauma der Bewohner von Erftstadt-Blessem ist gegenwärtig. Die wenige hundert Meter entfernte Kiesgrube liegt jeden Tag vor ihren Augen - und niemand weiß, was damit geschehen soll.

Nach Meinung verschiedener Gutachter hat sie die Katastrophe im Dorf ausgelöst. Dauerregen und einströmende Wassermassen durchbrachen den als Hochwasserschutz gedachten Wall und führten zu einer gewaltigen Erosion, die bis zum Ortsrand reichte. Dass in den einstürzenden Häusern niemand zu Tode kam, gilt als ein Wunder.

Schutzwall nicht kontrolliert

Der Schutzwall rund um die Grube wurde 1967 vom Kreis Euskirchen genehmigt. 30 Jahre später, im Jahr 1997, übernahm das Bergamt der Bezirksregierung Arnsberg die Verantwortung.

Die verantwortliche Behörde hat die Beschaffenheit des Damms nie kontrolliert, wie leitende Mitarbeiter vor dem Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtages einräumten. Auch stellte sich heraus, dass die Höhe des Walles auf Basis völlig veralteter Hochwasserkarten berechnet wurde. Die Bezirksregierung Arnsberg, zu der das Bergamt gehört, verweigert dazu auf WDR-Anfrage weitere Auskunft und verweist auf strafrechtliche Ermittlungen.

Die Angst vor der nächsten Flut

Das Haus von Marc Bartholomies ist bis zum heutigen Tag unbewohnbar. Für den Anwohner läuft die Aufarbeitung der Katastrophe zu schleppend. Hinzu kommt: "Selbst wenn am Ende Strafen ausgesprochen werden, das wird kaum den Umstand aufwiegen, sein Heim verloren zu haben. Und monatelang da provisorisch leben zu müssen, wo man irgendwie Unterschlupf gefunden hat.“ Noch immer, so erzählt Bartholomies, beherrscht die Angst den Ort, dass sich die Katastrophe bei ähnlichen Wetterlagen wiederholen könnte.

Was wurde bei der Konstruktion, der Genehmigung und der Kontrolle des Hochwasserschutzes möglicherweise versäumt? Das versucht die Staatsanwaltschaft zu ergründen. Derweil geben Wirtschafts- und Umweltministerium an, sie bemühten sich darum, dass sich so eine Katastrophe sich nicht wiederholen kann.

Nur wenige Kiesgrubenbetreiber legen Gefahrenanalyse vor

28 Tagebaue wurden in hochwassergefährdeten Gebieten identifiziert und dazu aufgefordert, sogenannte Gefährdungseinschätzungen anzufertigen. Trotz Fristsetzung liegen Stand jetzt nur neun davon vor. Zu welchem Ergebnis die gekommen sind, dazu schweigen die Behörden auf WDR-Anfrage.

Hochwasser in Erftstadt Blessem

Hochwasser bei Erftstadt-Blessem

Die Kiesindustrie kann die Aufregung der Politik nicht verstehen. Man sehe weder eine Verpflichtung, noch habe man etwas zu verbergen, beteuert Christian Strunk, Geschäftsführer bei der Hülskens Holding, ein großer Kies-Abbauer am Niederrhein. Sein Unternehmen hat bisher für keinen seiner sechs Betriebe die vom Bergamt geforderte Risikoabschätzung vorgelegt. Ende Januar soll es voraussichtlich soweit sein. Das Ergebnis nimmt Strunk vorweg: Es bestehe kein Risiko für die Menschen, die drumherum leben.

Kritik im parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Im Untersuchungsausschuss zur Hochwasser-Katastrophe im Landtag regt sich dagegen Unmut. Weniger gegen die Kiesgruben-Betreiber, sondern vor allem gegen die Bergbau-Behörde. Rene Schneider, Obmann der SPD, stellt sarkastisch fest: "Man fragt den Auskieser: Ist das, was du machst, gefährlich für die Leute? Was soll denn da die Antwort sein außer: natürlich nicht?"

Die Landesregierung müsse neutrale Gutachter beauftragen. Auch Christian Strunk, Vertreter der Kiesindustrie, wundert sich, dass die Bergbehörde nicht auf die Expertise des geologischen Dienstes des Landes setzt.

"Sprechen die eigentlich miteinander?"

Für die FDP ist der eigentliche Skandal, dass Umwelt- und Wirtschaftsministerium als übergeordnete Behörden den Katastrophenschutz in den betroffenen Kreisen nicht über die Gefahren informiert haben, die in überschwemmungsgefährdeten Gebieten von den Abgrabungen ausgehen könnten.

Ein leitender Mitarbeiter des Bergamts bestätigte das im Untersuchungsausschuss. "Da muss man auch hinterfragen: Sprechen die eigentlich miteinander? Denn der Schutz der Bürger sollte oberste Priorität haben", sagt der Obmann der FDP, Werner Pfeil. Schon bei der Katastrophe vor eineinhalb Jahren hatte es offensichtliche Kommunikationsmängel in den verschiedenen Ämtern gegeben.

Bürger in Blessem gründen Bürgerinitiative

In Blessem wartet die Bevölkerung unterdessen darauf, dass das angstmachende Loch bald verschwindet. Alle Forderungen von Bürgern, in die Planungen zur Zukunft der Kiesgrube miteinbezogen zu werden, seien verpufft, berichtet Marc Bartholomies. Deshalb hat sich jetzt eine Bürgerinitiative gegründet.

Derweil ist ein Abschlussbetriebsplan für die stillgelegte Kiesgrube laut Bezirksregierung Arnsberg in Arbeit. Sie soll weiter verfüllt werden und ein See soll entstehen. Mit einem Ende der Landschaftssanierung wird aber nicht vor 2035 gerechnet.

Über das Thema berichtet der WDR am 22.01.2023 in Westpol im WDR Fernsehen.