Landtag NRW, Plenarsaal, 26.11.2020

"Pandemische Leitlinien": Mehr Parlamentsbeteiligung oder Mogelpackung?

Stand: 23.02.2021, 11:52 Uhr

Die Opposition im Landtag beklagt, in der Pandemie an wichtigen Entscheidungen nicht beteiligt zu sein. Ein Gesetzentwurf der Landesregierung soll das ändern. Experten kritisieren ihn aber als halbherzig.

Von Nina Magoley

Über wichtige Gesetze oder Beschlüsse wird in einem demokratischen Parlament normalerweise diskutiert und abgestimmt. Seit Beginn der Pandemie aber haben Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und sein Kabinett viele Entscheidungen im Alleingang getroffen. Der Unmut darüber bei der Opposition wächst.

Zumal nach dem Infektionsschutzgesetz, das in Pandemiezeiten gilt, eine Landesregierung Regelungen erlassen kann, die Grundrechte wie die Freiheit der Person, Freizügigkeit oder Versammlungsfreiheit deutlich einschränken.

Die Landesregierung schlägt deshalb vor, dass der Landtag jeweils auf drei Monate befristete "pandemische Leitlinien" erlassen soll. Der Regierung sollen sie als Orientierung dienen bei Beschlüssen, die schnell gefasst werden müssen. Ein Gesetzentwurf dazu wird am Dienstag bei einer Anhörung von Experten im Landtag bewertet.

Infektionsschutzgesetz oft "unkonkret"

Ein Stapel mit Büchern: Exemplare des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland

Pandemiepolitik: Tiefe Eingriffe in die Grundrechte

Die Idee solcher "pandemischen Leitlinien" sei grundsätzlich sinnvoll, sagt Thorsten Kingreen, Rechtsprofessor an der Uni Regensburg. "Jeder neue Tag, an dem die Schutzmaßnahmen weiter gelten, ist ein neuerlicher Grundrechtseingriff", je länger die Einschränkungen dauerten, desto besser müssten sie gerechtfertigt werden.

Denn tatsächlich sei das auf Bundesebene geltende Infektionsschutzgesetz an entscheidenden Stellen "derart unkonkret", dass es die Landesregierungen praktisch zwinge, immer wieder selber über Grundrechtseingriffe zu entscheiden.

Pandemische Leitlinien, wie sie die Landesregierung vorschlägt, seien zwar rechtlich nicht verbindlich, dennoch eine "gut dimensionierte Zwischenschicht" zwischen einem vom Parlament verabschiedeten Gesetz und der lückenhaften Rechtsverordnung, meint Kingreen.

Entwurf nimmt Schwarz-Gelb zu wenig in die Pflicht

Auch der Düsseldorfer Verwaltungsrechtler Jochen Heide befürwortet den Entwurf grundsätzlich. Er kritisiert aber die Formulierung, wonach die Landesregierung den Willen des Parlaments lediglich "berücksichtigen" müsse. Eine "Soll-Bestimmung" würde mehr Verbindlichkeit schaffen, so Heide.

Michael Brenner, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Jena, erinnert daran, dass laut Grundgesetzartikel 80 in Ausnahmesituationen ohnehin "der Gesetzgeber jederzeit das Heft des Handelns an sich ziehen kann" - auch entgegen der Beschlüsse, die das Parlament gemäß der pandemischen Leitlinien gefasst hatte.

Der Jurist Ulrich Voshage zieht in seiner Stellungnahme für den Landtag zunächst die gesamten Lockdown-Maßnahmen der Regierung in Zweifel, ebenso die Aussagekraft der täglich erhobenen Corona-Infektionszahlen und die Gefährlichkeit des Virus an sich.

"Symbolisches Placebo"

Den Begriff der pandemischen Leitlinien findet Voshage "merkwürdig" und bewertet ihn als "eine Art symbolisches Placebo", als "rhetorischen Ersatz" dafür, "dass die künftigen seuchenpolitischen Rechtsverordnungen der Landesregierung dem Landtag zwar zugeleitet werden müssen, aber eben nicht von dessen Zustimmung abhängig sind".

Unterrichtung nur bei "wesentlichen" Punkten?

Eine ständige Unterrichtung des Landtags durch die Landesregierung sei gerade in einer epidemischen Lage "unabdingbar", sagt Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Deshalb sei es sinnvoll, die Beteiligung des Parlaments auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

Marschall kritisiert allerdings einen entscheidenden Punkt: Die Unterrichtungspflicht bezieht sich im Gesetzentwurf von CDU und FDP nur auf bereits verabschiedete Maßnahmen, nicht auf geplante: "Dies erscheint nicht schlüssig." Auch, dass sich die Unterrichtung nur "wesentliche" Maßnahmen betreffe, findet er problematisch: "Bei der Unterrichtung des Landtags sollte seitens der Landesregierung nicht zwischen 'wesentlichen' und 'unwesentlichen' Maßnahmen unterschieden und dem Landtag die Mitteilung über vermeintlich letztere vorenthalten werden dürfen, sondern Informationen umfassend bereitgestellt werden."

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