NRW Fahrplan in der Gaskrise: "Es ist zu tun, was notwendig ist"

Stand: 04.07.2022, 16:14 Uhr

Die neue Energieministerin Neubaur startet gleich mit einer Herkulesaufgabe: Sie muss das Industrieland NRW durch die größte Gaskrise der jüngeren Zeit führen. Und dabei auch bittere Abstriche machen.

Von Nina Magoley

Für Mona Neubaur ist es wie der Sprung ins kalte Wasser. Gerade haben sich die Grünen in NRW mit ihr an der Spitze erfolgreich in die Landesregierung katapultiert - schon steht die neue NRW-Wirtschafts- und Energieministerin vor einer Riesenaufgabe: Neubaur muss NRW jetzt durch eine Gaskrise führen, wie sie Deutschland noch nicht erlebt hat.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine habe die starke Energieabhängigkeit von Russland "schonungslos offengelegt", hatte Neubaur selber bei ihrer ersten Plenarrede vergangene Woche gesagt - und kein Bundesland bekommt das wohl so hart zu spüren wie das Industrieland NRW.

Wenn Russland nach der Wartung der Gaspipeline Nordstream 1 den Hahn nicht wieder aufdreht, kann es hierzulande ungemütlich werden: Kalte Wohnungen sind laut einer neuen Studie unter anderem am Rheinisch Westfälischen Institut für Wirtschaft zwar eher unwahrscheinlich. Unbezahlbare Gaspreise könnten aber dazu führen, dass Industriebetriebe und sogar Stadtwerke dicht machen müssen.

Bund soll klare Anweisungen liefern

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Montag Gewerkschaften, Arbeitgeber und Experten zu einer "Konzertierten Aktion" eingeladen. Der Begriff stammt aus dem Jahr 1967 - damals war angesichts steigender Inflation und Arbeitslosigkeit eine Art informeller Gesprächsrunde aus Politik, Arbeitgebern und Gewerkschaften ins Leben gerufen worden.

Sie erwarte, dass bei diesem Treffen auch konkrete Ergebnisse herauskommen, "mit denen wir arbeiten können", sagte Neubaur am Montag im WDR Morgenecho. Sie wolle NRW "über den Sommer konzentriert vorbereiten", sodass sichergestellt sei, dass Energie für Verbraucher und Stadtwerke bezahlbar bleibe.

Der SPD-Abgeordnete Alexander Vogt hatte vergangene Woche einen Plan von der neuen schwarz-grünen Landesregierung gefordert, der "nicht nur die Besserverdienenden in den Blick" nehme. 440.000 Menschen seien hierzulande in energieintensiven Unternehmen beschäftigt, auf die wiederum 40 Prozent des Gasverbrauchs im Land zurückgehe.

Wie sieht der Fahrplan für NRW aus?

Doch vieles hängt nun von Entscheidungen im Bund ab. Im dortigen "Krisenteam Gas" arbeite auch NRW mit, berichtet Neubaur. Zusätzlich tage seit dem 4. April wöchentlich ein regionales Krisenteam NRW - in engem Kontakt mit dem Bundeswirtschaftsministerium. Das Team habe die Befüllung der Gasspeicher "ständig im Blick", so Neubaur.

Seit Mitte Juni ist außerdem die Arbeitsgruppe "Gaseinsparpotenziale NRW" am Werk. Sie untersuche, wo in NRW Gas eingespart werden könne - bei Industrie, Gewerbe, Verwaltung und Verbrauchern -, damit es gespeichert werden kann. Nach Auskunft des Energieministeriums gehören neben der Landesregierung auch Vertreter der Gaswirtschaft, der Industrie, der Verbraucherzentrale und der Kommunen zu dieser Gruppe. Die Arbeitsgruppe suche nicht nur nach Möglichkeiten der Gaseinsparung, sie wolle auch die hierzu notwendige rechtliche Anpassungen "anstoßen".

"Für den nächsten Winter brauchen wir die Speicher so gut gefüllt, wie möglich", sagte Neubaur, jede Kilowattstunde zähle. Vor allem auch, um "die wichtige Versorgung der Industrie" zu gewährleisten und damit Arbeitsplätze zu sichern. Aktuell liegen die Füllstände der Speicher in Deutschland nach Angaben der Bundesnetzagentur bei rund 61 Prozent. Benötigt würde zum Winter ein Füllstand von 80 Prozent.

Städtetag fordert Rettungsschirm vom Bund

Exorbitant steigende Gaspreise und die daraus folgende Krise sind damit allerdings noch nicht abgewendet. Nicht nur Verbraucher könnten bald vor unbezahlbaren Gasrechnungen sitzen. Der Vorsitzende des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, warnte am Montag im WDR Radio auch vor einer Pleite der Stadtwerke: "Wenn sie die Preise, die sie selbst zahlen sollen, weitergeben wollen, werden viele Haushalte sich das nicht mehr leisten können. Wenn sie die Preise des Großhandels nicht weitergehen, gehen sie pleite." Er erwarte vom Bund einen "Rettungssschirm" für die Stadtwerke - ähnlich wie für Unternehmen.

NRW-Energieministerin Neubaur schwebt im Kampf gegen hohe Gaspreise ein "solidarisches Umlagefinanzierungssystem" vor, das "denjenigen, die teuer Gas einkaufen müssen, über Umlagen helfen" soll, um für alle eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Gasanbietern wie Stadtwerke oder andere Energielieferanten soll demnach geholfen werden, zu überleben. Dafür sei der Bund bereits aktiv.

Neubaur: "Ich trage Verantwortung"

Für die ambitioniert angetretene grüne Energieministerin ist es ein schwieriger Spagat: Eigentlich steht der Ausbau der Erneuerbaren Energien ganz oben auf ihrer Agenda. Doch jetzt müssen schnell Lösungen her, um auch die großen, energieintensiven Unternehmen im Industrieland NRW vor dem Kollaps zu bewahren. Schon ist die Rede davon, die Dörfer im Braunkohlerevier, die eigentlich als gerettet galten, doch noch abzubaggern.

Die Grünen würden den Menschen "Sand in die Augen streuen", hatte der FDP-Abgeordnete Dietmar Brockes vergangenen Woche gesagt. Die Kohle unter dem umstrittenen Dorf Lützerath werde gebraucht, wenn die Sicherheitsbereitschaft von Kohlekraftwerken beendet würde. Neubaur müsse ihren Standpunkt zu Lützerath klar darlegen. Die aus der Regierung abgewählte FDP ist im Landtag nun in der Opposition.

Mona Neubaur am Redepult des Plenums im Landtag in NRW

Erste Plenarrede als neue Ministerin: Mona Neubaur

"Ich trage Verantwortung dafür, dass die Energieversorgung gewährleistet ist", stellte die gerade 45 gewordene Neubaur im WDR Radio klar. Solche Entscheidungen treffe "keiner gern", gerade angesichts der Klimakrise, "die real vor unseren Augen" stattfinde. Aber: "Es ist zu tun, was notwendig ist."

Dazu gehörten auch "Maßnahmen, an die wir alle zusammen vor vier Monaten vielleicht noch nicht einmal im Traum gedacht haben", hatte Neubaur Ende vergangener Woche nach der Frühjahrskonferenz der Wirtschaftsminister aller Bundesländer gesagt. Umso entschlossener müsse jetzt aber auch ein ambitionierter Ausbau von Sonne und Wind starten, sagte sie am Montag. Unter anderem hatte die Landesregierung angekündigt, in den kommenden fünf Jahren mindestens 1.000 zusätzliche Windenergieanlagen zu bauen.

Sie freue sich darauf, mit einem "gut aufgestelltem Ministerium loszulegen, dass wir gut durch diese Krise kommen", sagt Neubaur. Eine Herkulesaufgabe.