Eine junge Frau sitzt an einem Tisch und sich die Ohren zu während sie auf ihr Handy schaut.

"Incels" und "Alpha-Males": Die Macht der Frauenhasser im Netz

Stand: 10.06.2024, 14:34 Uhr

Sie werten Frauen ab und versuchen, sie durch Hasspostings und gefälschte Nacktfotos im Internet zu demütigen: Selbst ernannte "Alpha-Males", die weitgehend straffrei agieren. Expertinnen schildern erschreckende Details zu diesem Trend.

Von Nina Magoley

Die Brisanz des Themas "Frauen- und Mädchenhass im Netz bekämpfen", zu dem die SPD-Fraktion eine Expertenanhörung beantragt hatte, wurde im Landtagsausschuss für Frauen und Gleichstellung schnell deutlich: Systematische digitale Angriffe auf Frauen und Mädchen, meist über soziale Medien, sind ein rasant wachsendes Phänomen. Mehrere Sachverständige waren dazu angereist.

Frauenhassendes Weltbild

Es geht um selbsternannte "Alpha-Males"und sogenannte "Incels", die in digitalen Foren, über Messenger-Dienste und auf Plattformen wie Youtube, Instagram und TikTok ein frauenhassendes Weltbild kultivieren. Als "Alpha-Males" gelten Männer, die Frauen gegenüber dominierend auftreten und diese unterdrücken wollen, auch mit Gewalt. "Incels" (englisch für "involuntary celibate men") werden Männer genannt, die nach eigener Aussage unfreiwillig im Zölibat leben und aufgrund ihrer Situation Hass auf Frauen entwickeln.

In der U-Bahn: Sexfotos auf dem Handy

Mit einigen Beispielen umriss Josephine Ballon von der Berliner Initiative HateAid die Bandbreite solcher Taten: Frauen entdecken KI-generierte Nacktfotos oder heimlich in der Sauna aufgenommene Fotos von sich in sozialen Medien, erhalten massive sexualisierte Beleidigungen und Drohungen. Durch Algorithmen der Social-Media-Plattformen verbreiten sich solche Deep Fakes in rasender Geschwindigkeit.

Frau nutzt ihr Smartphone in der Bahn

Unerwünschte Bilder in der U-Bahn

Über Airdrop bekommen Mädchen von Unbekannten in der U-Bahn plötzlich Sex- oder Penis-Fotos auf ihr Handy gespielt. Ziel der männlichen Täter sei "Demütigung und Machtdemonstration", so Ballon.

Die Grundstrukturen seien immer ähnlich, erklärte Mechthild Appelhoff von der Landesanstalt für Medien NRW. Ziel sei es, Menschen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit - ob Religion, Herkunft oder eben Geschlecht – zu destabilisieren, "durch Hass stumm zu machen".

Anhörung im Landtag zum Thema Frauenhass

WDR 5 Westblick - aktuell 10.06.2024 05:14 Min. Verfügbar bis 10.06.2025 WDR 5


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Opfer musste Wohnort und Namen wechseln

Die Folgen seien gravierend, berichtete Josephine Ballon aus ihrer Beratungspraxis. Denn häufig verknüpften die Täter mit solchen Bildern auch Adressen der Arbeitgeber des Opfers oder sorgten für massenhafte Verbreitung in sozialen Medien - mit entsprechenden Reaktionen. In ihre Beratungsstelle kämen Frauen, die aus Verzweiflung schließlich den Arbeitsplatz und Wohnort wechselten, in einem Fall habe sich eine junge Frau sogar einen neuen Namen zulegen müssen: "Das sind Bilder und Informationen, die nie wieder aus dem Netz verschwinden."

Als weiteren Trend beim Thema "Digitale Gewalt gegen Frauen" nannte Anja Schmidt vom Deutschen Juristinnenbund auch den heimlich in der Handtasche oder im Auto platzierten Airtag, mit dem Frauen von Männern aus ihrem Umfeld auf Schritt und Tritt überwacht werden sollen.

Extremisten aus mehreren Lagern vereint Frauenhass

Die Täter seien häufig in extremistischen Lagern zu verorten - sowohl bei rechtsextremistischen als auch bei islamistischen Gruppierungen -, aber auch im konservativen Spektrum und der "Mitte der Gesellschaft", sagte Josephine Ballon. Sie eint eine klar definierte Vorstellung von der Rolle der Frau in der Gesellschaft.

"Antifeminismus ist sozusagen der Klebstoff, der diese extremistischen Strukturen untereinander und mit der Mitte der Gesellschaft zusammenhält und so auch anschlussfähig macht." Josephine Ballon, Initiative "HateAid"

Strafverfolgung findet oft nicht statt

Bei der Strafverfolgung seien die Opfer bislang meist relativ verloren, erklärten die Expertinnen übereinstimmend. Die Täter handelten in einem völlig unregulierten Raum: Weder das neue KI-Gesetz noch der kürzlich beschlossene Digital Services Act enthielten Vorgaben für dieses relativ neue Phänomen.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik sei Digitale Gewalt bislang nicht abgebildet, kritisierte Juristin Anja Schmidt. Lediglich politisch motivierte Aktivitäten im Netz würden dort registriert.

Aber auch Polizeibeamte auf den Wachen müssten dringend geschult und für das Thema sensibilisiert werden, sagte Ballon. Ein Mädchen oder eine Frau, die mit diskreditierenden Fotos zur Wache käme, riskiere derzeit noch, dort ausgelacht oder weggeschickt zu werden. "Antifeministische, frauenfeindliche Gesinnungen müssen erkannt werden und dürfen nicht als normale Beleidigung in der Polizeiakte vermerkt werden." Sonst würden diese zunehmenden Vorfälle nicht als Straftat oder Hasskriminalität behandelt.

Täter machen sich strafbar

Den Opfern, den Tätern und auch manchem Polizeibeamten sei oft nicht klar, dass Gewalt im Netz eine Straftat ist, die verfolgt werden muss, so Appelhoff. An Schulen kläre die Landesmedienanstalt darüber auf, dass man sich durch das Posten von Hasskommentaren oder Bildern strafbar mache.

Frau tippt auf Handydisplay

Nichts Privates ins Netz

Social-Media-Plattformen müsse vorgeschrieben werden, dass beispielsweise bestimmte Formen von Nacktfotos technisch gar nicht erstellt werden können, forderte Ballon. Mädchen und Frauen müssten sensibilisiert werden dafür, dass bestimmte Fotos, sehr private Informationen, die Privatanschrift oder das Geburtsdatum nicht ins Netz gehören.

"Regelungslücken schließen"

Juristin Schmidt forderte eine verbesserte Strafverfolgung: Durch Fortbildung der Polizeibehörden, aber auch der Staatsanwälte und Richter. Nötig sei die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Digitale Gewalt. Und schließlich müssten strafrechtliche Regelungslücken geschlossen werden.

Bislang seien Taten wie sexualisierte Gewalt im Netz oder das Herstellen und Teilen von Deepfakes keine Straftatbestände. Auch das Platzieren von Airtags gelte bislang nicht Nachstellunsgstraftat. Ihr Fazit: "Es ist noch viel zu tun, um das Strafrecht auf die Höhe der Zeit zu bringen."