Hilferufe der Kommunen: Turnhallen werden wieder zu Flüchtlingsunterkünften
Stand: 27.11.2022, 09:00 Uhr
In immer mehr Städten in NRW müssen Turnhallen oder ähnliche Einrichtungen zweckentfremdet werden, um Geflüchtete aufnehmen zu können. Das belegt eine Umfrage des Städte-und Gemeindebundes, die dem WDR-Magazin Westpol vorliegt.
Von Daniela Becker
Im evangelischen Gemeindesaal von Schwerte-Westhoven blickt man in ernste Gesichter. Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer des Arbeitskreises Asyl und die Stadt haben Bürgerinnen und Bürger eingeladen, um über die aktuelle Flüchtlingssituation zu informieren. "Wir sind tatsächlich in einer Ausnahmesituation, anders kann man das nicht mehr darstellen", erklärt der stellvertretende Bürgermeister und Sozialdezernent Tim Frommeyer.
Viele Zuweisungen an Flüchtlingen, kaum Betreuer
Allein in diesem Jahr hat die Stadt bislang 630 Flüchtlinge aufgenommen. Auf städtischer Seite arbeiten aber nur 4 hauptamtliche Flüchtlingsbetreuer. "Wir suchen händeringend Personal", stellt Sozialdezernent Frommeyer klar, "aber das Personal suchen alle anderen Kommunen in NRW auch".
Hans-Bernd Marks ist ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer in Schwerte, er hat vor 30 Jahren den Arbeitskreis Asyl gegründet. Dass er und seine vielen Mitstreiter und Mitstreiterinnen noch immer staatliche Aufgaben übernehmen, sorgt im Arbeitskreis für Unmut. Es mache "unzufrieden", sagt Marks, "einige sind sauer darüber". Denn als Ehrenamtler wolle man ja mehr die menschliche Seite vertreten. Derzeit seien ehrenamtliche Helfer vor allem mit der Suche nach Wohnraum oder Schulplätzen beschäftigt.
Wohnraum fehlt – Turnhallen als Notunterkunft
Was den Flüchtlingshelfer ebenfalls bedrückt, ist der mangelnde "menschenwürdige" Wohnraum. Auch Schwerte hat inzwischen eine Turnhalle für den Vereinssport gesperrt, eine weitere wird als Flüchtlingsunterkunft vorbereitet. Dabei sollte es das in Schwerte nicht mehr geben. Doch die Stadt steht nicht allein da.
Umfrage: Viele Kommunen nutze Turnhallen
Dem WDR-Magazin Westpol liegt eine Umfrage des Städte-und Gemeindebundes NRW zur Nutzung von Turnhallen oder ähnlichen Gebäuden (z.B. Schulgebäude, Tennishallen, Bürgersäle) vor. Die Ergebnisse:
45 von 205 Kommunen nutzen derzeit Turnhallen oder vergleichbare Einrichtungen für die Unterbringung von Flüchtlingen. Dies entspricht einem Anteil von 22 Prozent. Einige Kommunen haben mehrere Gebäude für die Unterbringung aktiviert.
61 Kommunen bereiten aktuell Turnhallen oder vergleichbare Gebäude für die Unterbringung von Geflüchteten vor. Das entspricht einem Anteil von 30 Prozent. In 22 dieser Kommunen ist bereits mindestens eine Halle mit Geflüchteten belegt.
Mehr als die Hälfte plant mit Notunterkünften
105 Kommunen rechnen damit, in den kommenden drei Monaten Turnhallen oder vergleichbare Gebäude als Notunterkünfte aktivieren zu müssen, wenn die Zuwanderung auf gleichem Niveau bleibt. Dies entspricht einem Anteil von 51 Prozent. In 29 dieser Kommunen ist bereits mindestens eine Halle mit Geflüchteten belegt. (Von 361 Mitgliedskommunen haben sich 205 an der Umfrage vom 3.-16. November beteiligt)
"Das Thema Turnhalle ist sicherlich ein sensibles Thema, weil die Schulen und die Sportvereine unter der Coronazeit sehr gelitten haben", sagt der Präsident des Städte-und Gemeindebundes NRW, Eckhard Ruthemeyer im Westpol-Interview. Und insofern sei das etwas, was man versucht habe, "als Allerletztes in Anspruch zu nehmen". Doch den Kommunen bliebe keine andere Wahl, erklärt Ruthemeyer, der gleichzeitig hauptamtlicher Bürgermeister der westfälischen Kreisstadt Soest ist und der CDU angehört.
Land will Landeseinrichtungen aufstocken
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul hat nochmals betont, dass das Land mehr Plätze in den Landeseinrichtungen bereit stellen will. "Wir haben derzeit 8000 Plätze in der Prüfung, von denen wir hoffen, dass wir sie sehr kurzfristig auch werden an den Start bringen können", sagt Paul im Westpol-Interview. Trotzdem hänge das natürlich immer davon ab, "welche Instandshaltungsmaßnahmen bei den einzelnen Liegenschaften notwendig sind".
Städtebund und Kufen warnen: Plätze werden nicht reichen
Aktuell gibt es 26.400 Plätze in den Landeseinrichtungen. Derzeit vertraglich abgesichert sei die Schaffung von 34.500 Plätzen, heißt es vom Ministerium. Der Städte-und Gemeindebund glaubt nicht, dass die Aufstockung auf Landesseite ausreichen wird, um die steigende Zahl an Flüchtlingen bewältigen zu können.
Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte erst vor wenigen Wochen bei einem Treffen der kommunalen Verbände mit Ministerpräsident Wüst noch mehr Plätze gefordert. 2015/16 habe das Land 70.000 bis 80.000 Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt.