Landärzt:innen-Quote: Fünfmal mehr Bewerbungen als Studienplätze
Aktuelle Stunde. 06.10.2023. UT. Verfügbar bis 06.10.2025. WDR. Von Martina Koch.
Landarztquote: Die Rettung gegen Ärztemangel?
Stand: 06.10.2023, 15:38 Uhr
Auf dem Land fehlen Hausärzte. NRW lockt daher mit einem Angebot: Wer zusichert, Landarzt zu werden, hat bessere Aussicht auf einen Studienplatz in Medizin. Eine Bilanz nach vier Jahren.
Von Nina Magoley
Eigentlich war Inga Sellmann Krankenschwester in Dortmund - doch schon als Schülerin hatte sie davon geträumt, Ärztin zu werden. Ihr Abi von 1,6 reichte allerdings nicht aus für ein Medizinstudium. "Als man sich dann für die Landarztquote bewerben konnte, habe ich mich sofort beworben", erzählt sie. 2020 bekam sie den ersehnten Studienplatz für Medizin an der Uni in Essen.
Mit der "Landarztquote", die NRW seit 2019 und als erstes Bundesland überhaupt anbietet, will das Land Bewerber locken, deren Abi-Durchschnitt für ein Medizinstudium nicht ausreicht. Sie müssen sich vertraglich verpflichten, nach dem Studium mindestens zehn Jahre lang als Hausarzt oder -ärztin in einer unterversorgten Region auf dem Land zu praktizieren. Mögliche Fachrichtungen sind dabei Innere Medizin, Allgemeinmedizin oder Kinderheilkunde.
"Menschen über viele Jahre betreuen"
Vom Land zurück auf's Land: Inga Sellmann
Für Inga Sellmann passte das perfekt: Aufgewachsen ist die 25-Jährige selbst auf dem Land - in der Nähe von Hagen. Sie könne sich sehr gut vorstellen, nach dem Studium auch wieder auf dem Land zu leben, sagt sie und auch dort als Ärztin zu praktizieren. Im Krankenhaus sei ihr der Patientenkontakt oft zu kurz gekommen: "Patienten sind dort oft nur ein Blatt Papier mit ein paar Blutwerten darauf." Sie wolle aber gerne den langjährigen Kontakt zu Patienten. Da sei die Hausarztpraxis auf dem Land genau das, was sie wolle. "Man betreut Menschen über viele Jahre, mehrere Generationen, man macht Hausbesuche, das ist einfach schön."
Immer weniger Hausarztpraxen auf dem Land
Hintergrund der Landarztquote ist ein immer größer werdender Ärztemangel in den ländlichen Gebieten Nordrhein-Westfalens. Mehr als die Hälfte aller Arztpraxen in NRW (56 Prozent) befindet sich in städtischen Gebieten mit dichter Besiedlung. Nur vier Prozent liegen in dünn besiedelten, meist ländlichen Gebieten.
Verschärfen wird sich die Situation noch, wenn in den kommenden Jahren besonders viele niedergelassene Mediziner in den Ruhestand gehen. Allein im Gebiet Nordrhein sei "gut jeder dritte Hausarzt über 60 Jahre alt", meldet die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein.
250.000 Euro Strafe bei "Vertragsbruch"
Wer Landarzt werden will, muss sich in einem vierstündigen Auswahlgespräch im Landeszentrum für Gesundheit NRW auf seine ernsthafte Motivation hin prüfen lassen. Nach Ende des Studiums muss sich jeder selbst um eine Stelle kümmern. Voraussetzung: Sie muss in einer Region in NRW sein, die offiziell als unterversorgt gilt oder akut von Unterversorgung bedroht ist. Wer nach dem Studium doch nicht aufs Land geht, muss 250.000 Euro Strafe zahlen.
Bewerberzahlen nehmen ab
Vier Jahre nach Einführung der Landarztquote zieht das Land eine positive Bilanz. Seit dem Wintersemester 2019/20 bis Herbst 2023 seien so insgesamt 861 Studienplätze vergeben worden, meldet das Gesundheitsministerium. Bewerber habe es knapp fünfmal so viele gegeben.
Allerdings sei das Interesse in den vergangenen Jahren etwas abgeflaut: Für die ersten 145 Landarzt-Plätze im Wintersemester 2019/20 hatte es noch 1.312 Bewerbungen gegeben. Im nun startenden Wintersemester bewarben sich nur noch 394 Menschen um einen der 154 verfügbaren Plätze.
Die KV Nordrhein hält die Aktion dennoch für sinnvoll: Nach Prognosen der KV können allein in deren Zuständigkeitsbereich bis zum Jahr 2030 voraussichtlich 80 freiwerdende Hausarztsitze pro Jahr nicht nachbesetzt werden. "Angesichts der immensen beruflichen Alternativen, die junge Ärztinnen und Ärzte im Vergleich zu einer Tätigkeit als niedergelassener 'Landarzt' haben, freuen wir uns über jeden einzelnen Studierenden, der sich über die Quote für eine spätere ambulante Tätigkeit entscheidet", sagt KV-Sprecher Christopher Schneider.
"Politik hat Nachbesetzung verpennt"
Auch für den Hausärzteverband Nordrhein ist die Landarztquote ein sinnvoller Baustein. "Die Politik hat das Thema der Nachbesetzung von Landarztstellen leider um 15 Jahre verpennt", sagt der Verbandsvorsitzende Oliver Funken, selbst Hausarzt in Rheinbach. Mit den Absolventen der Landarztquote würden zumindest Stellen verbindlich nachbesetzt.
Parallel dazu müssten aber die Praxen umstrukturiert werden, erklärt er: Mehr Teamarbeit sei nötig. Arzthelferinnen würden so weitergebildet, dass sie Grundversorgungen selber durchführen können - Wundversorgung etwa, Hausbesuche, Vorarbeit für den Arzt oder die Ärztin. Einige Modellpraxen gingen nach diesem Prinzip bald an den Start, sagt Funken. Alle sind in ländlichen Regionen wie der Eifel, dem Niederrhein oder dem Bergischen Land.
Kritisch sieht die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) dagegen die Landarztquote. Es sei wenig sinnvoll, dass man junge Menschen zwinge, sich für die nächsten 15 bis 20 Jahre auf eine Fachrichtung festzulegen, bevor sie überhaupt mit dem Studium begonnen haben. Die Quote sei "reine Symbolpolitik" und würde die hausärztliche Versorgung auf dem Land nicht verbessern. Es dauere mindestens zwölf bis 15 Jahre, bis die ersten Hausärzte auf dem Land ankommen würden, was angesichts des akuten Hausarztmangels zu lange sei, so der bvmd.
Bedingungen schrecken ab
Inga Sellmann, Medizinstudentin per Landarztquote
Viele schreckten die mit der Landarztquote verbundenen Verpflichtungen und die drohende Strafe ab, meint Studentin Inga Sellmann. Auch, dass die Auswahl der Fachrichtungen für die Landarztquote so eingeschränkt sei. "Manche stellen während des Studiums fest, dass sie vielleicht doch lieber Kardiologie oder Neurologie machen würden."
Der Beruf des Hausarztes genieße immer noch kein besonderes Ansehen. "Viele Studis haben Bedenken, dass man als Allgemeinmediziner am wenigsten verdient, wenig weiß und Patienten in erster Linie an andere Fachärzte überweist." Zudem sei das Landleben auch nicht bei allen beliebt: "Man lebt quasi von der Außenwelt abgeschnitten, kann nicht mal schnell zu Fuß zum Bäcker, muss seine Kinder später überall hinfahren", sagt Inga Sellmann. Sie, die am Rand des Sauerlands aufgewachsen ist, schreckt das alles nicht ab.