Medikamente und ein Fiberthermometer liegen auf einem Nachttisch

Überall Husten und Schniefen: Schlappes Immunsystem nach Corona-Wintern?

Stand: 15.12.2022, 14:58 Uhr

Millionen Menschen kämpfen gerade mit akuten Atemwegserkrankungen. Der Verdacht: Masken und Corona-Abstände haben das Immunsystem geschwächt. Das sagen Experten dazu.

Hört man sich dieser Tage bei Freunden, Verwandten oder Arbeitskollegen um, entsteht der Eindruck, als ob gerade das halbe Land krank sei. Überall wird gehustet und geschnieft. Und tatsächlich: Es sind im Moment wirklich ungewöhnlich viele Menschen gleichzeitig krank.

Millionen mit Atemwegserkrankungen

Das zeigt der wöchentliche Grippe-Bericht des Robert Koch-Instituts. Demnach gab es in der Kalenderwoche 49 (05.12. bis 11.12.) etwa 9,3 Millionen Menschen mit akuten Atemwegserkrankungen mit Fieber, Husten oder Halsschmerzen. Das entspricht einem Anteil von elf Prozent an der gesamten Bevölkerung.

Zur Einordnung: Diese Rate liegt laut dem RKI "sehr deutlich" über dem der Vorjahre zu dieser Zeit - während Corona und auch davor. Zwischen 2011 und 2019 lagen die Werte immer zwischen sechs und sieben Prozent. Also deutlich geringer als elf Prozent jetzt. Sogar der Höhepunkt der starken Grippewelle von 2017/2018 ist laut dem RKI bereits übertroffen. Es handelt sich also nicht nur um eine subjektive Alltagsbeobachtung, dass es gerade viele erwischt.

Schlappes Immunsystem nach Corona?

Schnell kommt da ein Verdacht auf, weshalb sich ausgerechnet jetzt Millionen von Menschen anstecken: Nach den zwei Corona-Wintern mit Maske tragen und Abstand halten seien unsere Körper nicht mehr an all die Viren gewöhnt und das Immunsystem schlapp. Doch stimmt das?

"Diese Vorstellung, dass wir Infekte und ständigen Kontakt zu Viren brauchen, sonst fährt unser Immunsystem herunter, diese Vorstellung hält sich genauso hartnäckig wie sie falsch ist“, sagt Mathias Tertilt aus der WDR-Wissenschaftsredaktion. Das Immunsystem habe immer etwas zu tun und fahre nicht herunter, wenn es nicht mit Grippeviren in Kontakt komme.

"Das Immunsystem ist nicht so wie ein Muskel, dass wenn man es lange Zeit nicht braucht, es dann irgendwie weniger gut funktionieren würde", sagt auch Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Masken und Hygienemaßnahmen während der Coronazeit hätten nicht dafür gesorgt, "dass unser Immunsystem generell jetzt schlapp wäre, weil wir unser Immunsystem nicht trainiert haben".

Allerdings brauche ein Teil des Immunsystems zum Schutz vor bestimmten Erregern Auffrischungen: "Es ist so, dass wir bei einigen Infekten oder einigen Erregern unsere Immunität regelmäßig auffrischen müssen und sind danach wieder ein paar Jahre geschützt." Und diese Auffrischung oder dieses Update habe in den letzten zwei Jahren bei vielen Menschen nicht stattgefunden. "Deshalb haben wir jetzt den doppelten oder dreifachen Jahrgang an Menschen, die gerade ihre Immunität wieder auffrischen."

Der Arzt und Medizinjournalist Christoph Specht sprach am Dienstag im WDR-Interview von über 200 verschiedenen grippalen Infekterregern. "Die waren ja quasi weg" - zumindest in unserem Alltag. Nun kämen sie zurück und die Immunität werde wieder aufgefrischt. "Unser Immunsystem ist plötzlich erschrocken und sagt: Hoppla, das Virus ist ja immer noch da. Da muss ich wohl wieder was tun. Und das ist genau der Grund, weshalb wir jetzt so viele relativ starke Infekte sehen."

Volle Arztpraxen

Einige von denen landen dieser Tage bei Allgemeinmediziner Thomas Kurscheid. Er erlebt einen regelrechten Ansturm auf seine Kölner Praxis. "Das Wartezimmer ist einfach voller als sonst. Man muss es sich so vorstellen, dass auch der Gang teilweise voll ist, weil die Patienten einfach sagen: Ich brauche jetzt Hilfe."

Wer etwas für sein Immunsystem tun wolle, dem rät der Arzt die gängigen Tipps: "Viel Obst und Gemüse sowie Bewegung. Nichts stimuliert das Immunsystem so stark wie Bewegung."

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