Kolumbien: Kinder gerettet | sv

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40 Tage allein im Regenwald: Wie kann man das überleben?

Stand: 10.06.2023, 20:19 Uhr

Über einen Monat wurden vier Kinder nach einem Flugzeugabsturz im kolumbianischen Regenwald vermisst. Jetzt sind die Geschwister gerettet und in einer Klinik. Wie überlebt man 40 Tage im Dschungel?

Das erste offizielle Foto, das die Regierung nach der Rettung veröffentlichte, zeigt Soldaten mit einem Baby und drei abgemagerten Kindern, die scheu in die Kamera blicken. Das älteste der Geschwister ist 13 Jahre alt, das jüngste gerade einmal knapp ein Jahr. Dass die vier überlebt haben, wird als Wunder gefeiert. "Eine Freude für das ganze Land", schrieb Präsident Gustavo Petro bei Twitter. Über einen Monat hatte die Bevölkerung mitgefiebert, gehofft und gebangt.

Die Geretteten werden zurzeit in einer Klinik behandelt. "Die Kinder erholen sich. Sie nehmen Flüssigkeit zu sich. Aber sie können noch keine Nahrung aufnehmen", gab Verteidigungsminister Iván Velásquez nach einem Besuch bekannt. Militärarzt Carlos Rincón Arango sagte, die Kinder hätten eine Reihe leichter Verletzungen und seien mangelernährt. Sie befänden sich angesichts der Umstände aber in einem akzeptablen Zustand. Er rechne mit einem Krankenhausaufenthalt von zwei bis drei Wochen.

Wie konnten die Kinder überleben?

Soldaten mit den Kindern

Das erste Foto: Soldaten mit den geretteten Kindern

Die Kinder sind elf Monate sowie 4, 9 und 13 Jahre alt und gehören dem indigenen Volk der Uitoto an. Genau das könnte ihnen das Leben gerettet haben, sagt Überlebenstrainer Dennis Besseler im WDR-Interview. "Grundsätzlich würde ich Kindern schlechtere Überlebenschancen im Regenwald einräumen, weil sie einfach eine andere Körpergröße haben und dadurch eher Beute sind für Würgeschlangen", sagt er. Indigene Kinder hätten aber bessere Chancen, "da sie kulturell in einem Kreis groß geworden sind, wo sie den Regenwald kennen". Sie könnten sich trinkbares Wasser und Nahrung beschaffen und wüssten, was giftig sein könnte. Zudem könnten sie sich im Regenwald orientieren.

Überlebenstrainer Dennis Besseler

Überlebenstrainer Dennis Besseler

Grundsätzlich sei es wichtig, entweder am Unglücksort zu bleiben, um gefunden zu werden, oder sich in Richtung eines großen Flusses zu bewegen, da dort Menschen sein könnten. "Ich bin der Meinung, dass kaum ein Europäer, egal ob Kind oder Erwachsener, im Urwald allein 40 Tage überleben würde." Nur mit ausreichend Vorbereitung sei das möglich.

Wie wurden die Kinder gefunden?

Rettungskräfte mit den Kindern auf dem Militätflughafen in Bogota

Rettungskräfte mit den Kindern auf dem Militätflughafen in Bogota

Mehr als 160 Soldaten und 70 Indigene der Region hatten sich an der wochenlangen Suche im unberührten Amazonasgebiet beteiligt. Nebel und starke Regenfälle hatten die Suche zusätzlich erschwert. Die Helfer fanden Schuhe, Windeln, Haargummis, eine lila Schere, eine Babyflasche, eine aus Blättern und Ästen gebaute Notunterkunft sowie halb verzehrte Früchte. Anhand der gefundenen Gegenstände und Spuren konnten die Soldaten den bisher zurückgelegten Weg der Kinder rekonstruieren.

Immer wieder wurde auch eine Botschaft an die Kinder über Lautsprecher über dem Regenwald abgespielt. Darin hatte die Großmutter der Kinder die Geschwister aufgerufen, sich nicht zu weit von der Absturzstelle wegzubewegen. Auch wurde mit Hubschraubern, Satellitenbildern und Spürhunden gesucht. Ein Rettungshund hatte die Helfer schließlich zu den Kindern geführt.

Warum saßen die Kinder im Flugzeug?

Das abgestürzte Kleinflugzeug im Regenwald von Kolumbien

Das abgestürzte Kleinflugzeug im Regenwald von Kolumbien

Die Kinder saßen in dem Kleinflugzeug, um in die Hauptstadt Bogota zu fliegen. Dort wollten die Eltern sie in Sicherheit vor Guerillagruppen bringen, die auch den Vater mehrmals bedroht hatten. Das Gebiet patrouillieren bewaffnete Banden, die mit Drogenkartellen zusammenarbeiten.

Private Kleinflugzeuge sind in der unwegsamen Region oft die einzige Möglichkeit, größere Strecken zurückzulegen. Der Pilot hatte per Funk von Problemen mit dem Motor berichtet. Bei dem Absturz am 1. Mai waren drei Erwachsene ums Leben gekommen, darunter die Mutter der Kinder.

Fall Juliane Koepke: Absturz aus 3.000 Metern Höhe

Juliane Koepcke steht vor einem Flugzeug.

Überlebte Absturz im Dschungel: Juliane Koepcke

Der Fall erinnert an die Deutsch-Peruanerin Juliane Koepcke, die 1971 als einzige Passagierin einen Flugzeugabsturz aus 3.000 Metern Höhe im peruanischen Regenwald überlebte und nach zehn Tagen gerettet wurde. Das Flugzeug war in ein Tropengewitter geraten und in der Luft auseinander gebrochen. 91 Passagiere sterben, nur die 17-jährige Juliane überlebt; unter den Toten ist auch ihre Mutter.

Die junge Frau war angeschnallt in ihrem Sitz in den Regenwald gestürzt. Mit Verletzungen und einer Sandale schlägt sie sich durch den Urwald. Dass sie überlebte, verdankte sie auch der Tatsache, dass sie ihre Kindheit mit ihren Eltern im Urwald auf einer Forschungsstation verbracht hatte, der Dschungel war ihr vertraut. Nach dem Aufprall war sie einem Wasserlauf gefolgt, bis sie am Ufer Boote und eine Unterkunft entdeckte. Dort wurde sie einen Tag später von Waldarbeitern gefunden.

Der Filmregisseur Werner Herzog, der um ein Haar mit in der Unglücksmaschine gesessen hätte, drehte später einen Film über den Absturz. Für "Julianes Sturz in den Dschungel" kehrte er mit Juliane Koepke noch einmal an den Absturzort zurück.

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