Kinderwunsch-Behandlung ohne Förderung: Was das für Betroffene heißt

Stand: 04.09.2024, 20:13 Uhr

Paare mit Kinderwunsch sollen künftig keine finanzielle Förderung vom Land mehr bekommen. Kritik kommt von Betroffenen, der FDP und einer Influencerin.

Sandra Kolodziej wünscht sich ein Kind und braucht dafür medizinische Unterstützung

Sandra Kolodziej

Eine Familie gründen. Für viele Paare ist das der größte Wunsch. So auch für Sandra Kolodziej (30) und ihren Mann (36) aus dem Sauerland. Die beiden wandten sich kurz nach der Hochzeit an eine Kinderwunschklinik. "Wir wussten, dass ich auf natürlichem Weg nicht schwanger werden würde." Der Grund dafür: ein ausbleibender Eisprung. Zwei Jahre lang sei sie in Kliniken behandelt, ihr Körper mit Hormonen stimuliert worden. Doch schwanger wurde sie noch nicht. Jetzt habe der Arzt eine künstliche Befruchtung vorgeschlagen.

NRW will Förderung streichen

Sandra Kolodziej und ihr Mann sind eines von vielen Paaren, die diesen Weg gehen, um ein Kind auf die Welt zu bringen. "In Deutschland ist fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren ungewollt kinderlos", schreibt das Bundesfamilienministerium. Um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, sind sie auf medizinische Hilfe angewiesen. Die Behandlung ist nicht nur körperlich und seelisch eine Belastung. Sie ist kostet auch viel Geld.

Neben der gesetzlichen Krankenkasse (50 Prozent) beteiligten sich daran bis Ende 2023 unter bestimmten Bedingungen auch das Land NRW und der Bund (zusammen 25 Prozent). Der Eigenanteil der Paare betrug 25 Prozent. Doch jetzt will das Land NRW die finanzielle Förderung für eine Kinderwunschbehandlung von ungewollt kinderlosen Paaren streichen - vorbehaltlich der Zustimmung des Landtags. Der Grund laut Sprecherin des Familienministeriums: gekürzte Fördermittel des Bundes. Damit würde der Eigenanteil, den Paare bei der Behandlung zahlen müssen, von 25 Prozent auf 50 Prozent steigen. 

Jan-Steffen Krüssel, Leiter des Kinderwunschzentrums an der Düsseldorfer Uniklinik, nennt 3.600 Euro als durchschnittliche Kosten für eine künstliche Befruchtung. Davon müssten Betroffene dann künftig statt 900 Euro einen Eigenanteil von 1.800 Euro zahlen.

Viele Paare nehmen mehrere Behandlungen in Anspruch, die Chance auf eine Schwangerschaft steigt bei mehreren künstlichen Befruchtungen. Nach vier Embryotransfers vom Reagenzglas in den Mutterleib werde mehr als jede zweite Frau schwanger, schreibt das Kinderwunschzentrum der Düsseldorfer Uniklinik.

Elf künstliche Befruchtungen, bis es klappte

Anna Adamyan aus Köln

Influencerin Anna Adamyan

Die Influencerin Anna Adamyan aus Köln erfuhr mit Anfang 20 von ihrer Unfruchtbarkeit. Auch sie und ihr Mann wollten unbedingt ein Kind. Sie brauchten elf künstliche Befruchtungen, bis es klappte. Auf Instagram lässt sie ihre Community teilhaben, will anderen Mut machen. Sie hatte Glück - andere nicht, das findet sie ungerecht. Deshalb startete sie die Petition "#KiwuFürAlle - für eine faire Kostenübernahme von Kinderwunschbehandlungen". Mehr als 100.000 Menschen haben sich bei change.org schon daran beteiligt.

NRW unterstützt nicht bei Kinderwunsch

WDR Studios NRW 04.09.2024 00:21 Min. Verfügbar bis 04.09.2026 WDR Online


"Landesregierung ist sich bewusst, dass dies viele enttäuscht"

Der Bund habe im vergangenen Jahr ohne Rücksprache mit den Ländern angekündigt, seine Fördermittel für die Kinderwunschbehandlung für 2024 zu kürzen - und nun sei auch eine weitere Kürzung für 2025 geplant, so die Sprecherin. Das gehe aus der Verabschiedung des Bundeshaushalts für 2024 und einem vom Bund erhaltenen Zuweisungsschreiben hervor. "Die Landesregierung ist sich darüber bewusst, dass dies viele Interessierte enttäuscht."

Entäuscht. Das ist auch Sandra Kolodziej, die unmittelbar davon betroffen ist. Nachdem die Krankenkasse ihre Behandlung bewilligt hat, wäre der Antrag für die Förderung von Bund und Land jetzt der nächste Schritt gewesen. Daraus wird jetzt wohl nichts. Bearbeitet werden nur noch Anträge, die bis Ende 2023 gestellt wurden.

"Es werden Menschen im Stich gelassen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ein Kind zu bekommen. Das zu unterstützen, ist eine gesellschaftliche Verantwortung." Sandra Kolodziej

Jan-Steffen Krüssel vom Kinderwunschzentrum an der Düsseldorfer Uniklinik sieht das ähnlich. Gerade die Paare, die nicht so viel zur Verfügung haben, könnten sich die Behandlung jetzt nicht mehr wirklich leisten - oder sie müssten erst mal sparen und warten, wodurch wieder Zeit verloren gehe. Dabei sei gerade auch Zeit ein kritischer Faktor bei der künstlichen Befruchtung: Je älter, desto schwieriger werde es.

Wie läuft eine künstliche Befruchtung ab?

Für wen kommt eine künstliche Befruchtung infrage, welche Arten gibt es und wie läuft so etwas ab? Antworten darauf haben wir hier:

Der Wegfall der Förderung fällt außerdem in eine Zeit, in der die Geburtenrate sinkt. Laut Statistischem Landesamt NRW sind 2023 so wenige Kinder auf die Welt gekommen wie seit etwa zehn Jahren nicht mehr. Das Streichen der Förderung könnte den Trend verstärken.

Die Förderung von Land und Bund lief seit 2019. Nach Angaben des NRW-Familienministeriums wurden bis zu 6.650 Anträge pro Jahr bewilligt - das entspricht 95 Prozent der Anträge. Bevor die Förderung jetzt gestrichen wurde, war sie seit 31. Dezember 2023 ausgesetzt worden - aber Betroffene hatten bisher noch auf eine Wiederaufnahme des Programms gehofft.

FDP: Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern

Die Entscheidung der schwarz-grünen Landesregierung stößt auf scharfe Kritik der FDP-Landtagsfraktion. Sie fordert, dass der Zugang zu Kinderwunschbehandlungen nicht vom Geldbeutel abhängen dürfe. "Es ist absolut unverständlich, dass die Landesregierung sich entschieden hat, die Förderung komplett zu streichen und damit tausende ungewollt kinderlose Paare im Stich lässt. Ein Kinderwunsch darf nicht am Geld scheitern", sagt Marcel Hafke, Parlamentarischer Geschäftsführer und familienpolitischer Sprecher der Fraktion. Die FDP-Fraktion fordert, dass das Land NRW eigenständig ausreichend Mittel bereitstellt.

Unsere Quellen:

Über dieses Thema berichtete der WDR auch im Fernsehen, unter anderem in der Aktuellen Stunde am 04.09.2024 um 18.45 Uhr

Kommentare zum Thema

24 Kommentare

  • 24 thorsten frenser 05.09.2024, 22:28 Uhr

    Besser hätte Frau Josefine Paul die "Asozialisierung" und den sozialen Niedergang Deutschlands nicht bezeichnen können. Man kann sich nur Wünschen u ...weiterlesen

  • 23 Marie-Luise Chanderh 05.09.2024, 19:19 Uhr

    Die Familie, wie auch immer sie sich zusammensetzt, ist und bleibt elementare Kernzelle eines jeden Landes - nur dieses nicht. Es ist eine Schande, ...weiterlesen

  • 22 Peter Jungen 05.09.2024, 18:02 Uhr

    Das Gesundheitswesen wird immer teuerer. Zähne etc werden kaum bezahlt. Geschlechtsverstümmelung und Kinderwunsch werden fast ohne Einschränkungen ...weiterlesen