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Weihnachten ist für alle da | MEINUNG

Stand: 21.12.2023, 06:00 Uhr

Weihnachten wird in Deutschland von vielen Menschen gefeiert - auch wenn sie überhaupt keinen religiösen Bezug zu dem Fest haben. So wie unsere Autorin mit ihrer Familie. Hier schreibt sie über ihre Gedanken zum Weihnachtsfest.

Von Minh Thu Tran

Gerade ist für mich eine stressige Zeit. Nach der Arbeit ziehe ich los, Geschenke einkaufen in der vollen Innenstadt, mit meiner Familie besprechen, was wir noch beim Metzger, im Supermarkt oder Asialaden einkaufen müssen für die Feiertage. Denn am 24. Dezember werde ich Weihnachten feiern - mit meiner buddhistischen vietnamesischen Familie. Wir werden Geschenke austauschen unter einem Weihnachtsbaum. Wir werden hässliche Weihnachtspullover anziehen, Fondue oder Raclette essen mit asiatischem Twist und beim Karaoke nervige Weihnachts-Klassiker wie "Last Christmas" singen.

Weihnachtstraditionen übernehmen, verwerfen oder neue schaffen

Wir feiern anders als viele deutsche Familien ohne christlichen Bezug. Wir lesen nicht die Weihnachtsgeschichte vor, wir gehen nicht in die Christmette. Aber was wir sehr wohl können: die festliche Stimmung genießen. Kitschigen Weihnachtsschmuck aufhängen. Und da wir nur an Weihnachten alle frei bekommen und nicht an Mondneujahr, unserem wichtigsten Feiertag, hat es sich über die Jahre so eingependelt, dass wir eben auch als vietnamesische Familie Weihnachten groß feiern.

Mir war auch schon als Kind immer klar, dass es meine Eltern waren, die uns die Geschenke besorgten, dass zu uns nicht das Christkind oder der Weihnachtsmann kommt. Uns Weihnachtsgeschenke zu geben, war ihre Art, uns zu zeigen: Euch fehlt es an nichts. Ihr seid nicht anders als die deutschen Kinder. Sie hatten nie Angst, dass wir dadurch unsere Feste und Traditionen verlieren, sondern empfanden es als Bereicherung, dass wir jetzt auch dieselben Feste feiern, wie die meisten Menschen, die in diesem Land wohnen. Und wenn wir doch mal ehrlich sind - damit sind wir in Deutschland gar nicht so alleine. Denn hierzulande bezeichnen sich inzwischen sehr viele Menschen nicht mehr als religiös, feiern Weihnachten aber trotzdem mit ihrer Familie.

Und ich weiß von vielen meiner türkischen, jüdischen, arabischen Freunde, dass sie auch schöne, lustige Mischformen gefunden haben von Weihnachten, die sie mit ihrer Familie feiern. Weihnukka zum Beispiel - eine Mischung aus Weihnachten und Chanukka - beide Feste sind ja terminlich eh nah genug beieinander. Ich gehe auch mit meinen Freunden, die so wie ich nicht in einer christlichen Familie aufgewachsen sind, gerne auf den Weihnachtsmarkt um einen Kinderpunsch zu trinken oder eine Bratwurst zu essen. Warum denn auch nicht? Egal ob Vietnam, Türkei oder Albanien - auch dort, in der alten Heimat, werden Einkaufszentren, Straßen und Parks weihnachtlich geschmückt. Weihnachten ist für mich ein Fest, das uns allen gehört - und das jeder so ausgestalten kann, wie er mag. Ein Fest, das alle mitnehmen kann.

Weihnachten wird jedes Jahr missbraucht - von Populisten

Umso trauriger machen mich die alljährlichen giftigen "Debatten" rund um Weihnachten. Die sich daran entzünden, dass angeblich der Untergang des Abendlandes bevorsteht, weil einzelne Weihnachtsmärkte sich in "Wintermarkt" umbenennen oder weil angeblich die bösen Ausländer Weihnachten abschaffen wollen. Das jüngste Opfer dieser Nicht-Debatte: Eine Hamburger Kita, die sich entschlossen hat, keinen Weihnachtsbaum aufzustellen. Nun gibt es wirklich viele Gründe, in einem Raum voller spielender Kleinkinder keinen nadelnden Baum mit Kerzen aufzustellen. Die Kita begründete es jedoch mit "Religionsfreiheit", man wolle niemanden wegen eines Baums ausschließen.

Die Welle der Entrüstung war erwartbar und heftig. Auf den Aufreger-Zug sprang auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf:

Das ist absurd. Haben wir denn keine anderen Probleme? Zu Weihnachten gehört ein Weihnachtsbaum. Beitrag von Markus Söder auf X, früher Twitter.

Die Hamburger Kita bekam rassistische Drohungen und Beleidigungen ab und stellte klar - in manchen Jahren gibt es einen Weihnachtsbaum, und in anderen halt nicht. Es gibt kein Verbot. All diese Aufregung, nur weil man Menschen absichtlich missverstehen will. Was aber womöglich Kinder mit Migrationshintergrund, die in diese Kita gehen, mitbekommen: Hier gibt es in ihrer Kita gerade Probleme, die Eltern, die Erzieher*innen sind angespannt - und sie könnten den grausamen Eindruck bekommen, es läge an ihnen. Mich entsetzt es, dass populistische Politiker wie Söder in ihrer Suche nach dem nächsten populistischen Aufreger selbst das Weihnachtsfest missbrauchen, um zu spalten.

Ich denke deswegen an Weihnachten lieber an die Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, die etwa durch Flucht ihre Familien zurücklassen mussten. 325.801 Asylanträge wurden in diesem Jahr gestellt. Die meisten dieser Menschen kommen aus Syrien und Afghanistan, die vor ihrer Ankunft in Deutschland mit Weihnachten selten in Berührung gekommen sind. Und da sind nicht mal die ukrainischen Menschen berücksichtigt, die seit Ende Februar 2022 eingereist sind. Häufig Frauen und Kinder, deren Männer, Väter und Brüder an der Front kämpfen.

Ich denke aber auch an Menschen, die vielleicht keine Familie mehr haben, oder vielleicht aus Gründen mit ihrer Familie gebrochen haben. Und ich hoffe, dass all diese Menschen jetzt an Weihnachten Ersatz-Familien und Freunde haben, die sie einladen, mit denen sie eine festliche Zeit verbringen können - und vielleicht auch mit ihnen neue Traditionen, neue Familien oder eine neue Heimat für sich schaffen können.

Wie verbringen Sie die Weihnachtstage? Haben Sie mit Freunden und Familie Traditionen verworfen oder aus verschiedenen Kulturen neue geschaffen? Erzählen Sie uns davon in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.

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