"Trauzeugenaffäre": Was wird Habecks Staatssekretär vorgeworfen?

Stand: 10.05.2023, 17:47 Uhr

In Berlin hat am Mittwoch die politische Aufarbeitung der sogenannten "Trauzeugenaffäre" begonnen. Ein Staatssekretär im Wirtschaftsministerium soll berufliche und private Interessen vermischt haben. Worum geht's genau?

In einer nicht-öffentlichen Sitzung haben am Mittwoch Bundestagsabgeordnete Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Personalpolitik seines Ministeriums befragt. Anlass sind Vorwürfe gegen Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Hauptvorwurf: Graichen soll bei der Besetzung des Chefpostens der Deutschen Energie-Agentur (Dena) die Bewerbung seines Trauzeugen gefördert haben. Dennoch erklärte Habeck am Mittwoch, dass er an seinem Staatssekretär festhalte:

"Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss." Robert Habeck (Grüne), Bundeswirtschaftsminister

Was genau wirft die Opposition Graichen vor? Hat der Staatssekretär gegen Regeln verstoßen? Fragen und Antworten.

Was genau ist passiert?

Bei der Ausschreibung des Chefpostens der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) ist die Wahl auf Michael Schäfer gefallen. Die letzte Entscheidung für die Berufung des Experten für Ökologie und Wirtschaft fällte der Dena-Aufsichtsrat.

Zuvor hatte eine sogenannte Findungskommission eine Vorauswahl unter den Bewerbern für den Posten getroffen. Mitglied dieser Kommission war als fachlich zuständiger Staatssekretär auch Patrick Graichen. Das Problem: Zusammen mit den anderen Mitgliedern sprach sich auch Graichen für die Nominierung von Schäfer aus - seinem persönlichen Freund und Trauzeugen.

Graichen hatte seinen Fehler selbst öffentlich gemacht: "Im Verfahren der Findungskommission habe ich leider nicht richtig aufgepasst. Ich hätte mich ab dem Moment, als Michael Schäfer Kandidat wurde, aus dem Verfahren zurückziehen sollen, damit im weiteren Prozess kein falscher Eindruck entsteht. Das war ein Fehler, und ich bedauere diesen Fehler sehr."

Mittlerweile hat der Dena-Aufsichtsrates ein neues Auswahlverfahren für den Chefposten begonnen. Dennoch wächst der Druck der Opposition auf Habeck, sich von seinem wichtigen Staatssekretär zu trennen. Vorwurf: Vetternwirtschaft.

Hat Graichen gegen Vorschriften verstoßen?

Das ist noch nicht ganz klar. Amtsträger sind zwar verpflichtet, in einem Auswahlverfahren auf einen möglichen Interessenkonflikt hinzuweisen. Wenn es sich bei dem Bewerber nicht um einen Verwandten, Lebens- oder Geschäftspartner handelt, ist eine Mitwirkung aber auch nicht völlig ausgeschlossen.

Im Idealfall hätte Graichen seinen Dienstherrn über den möglichen Interessenkonflikt informieren und ihm die Entscheidung überlassen sollen. Das ist nicht geschehen. Alternativ hätte er sich auch einfach in der Findungskommission enthalten können - auch diese Chance hat er verpasst, wie er selbst einräumen musste.

Gibt es noch weitere Vorwürfe gegen Graichen?

Graichen hat familiäre Verbindungen zum Öko-Institut, das immer wieder Aufträge des Wirtschaftsministeriums für Gutachten und Studien bekommen hat. Graichens Schwester arbeitet dort und ist zudem mit Wirtschafts-Staatssekretär Michael Kellner verheiratet. Ein Bruder von Patrick Graichen ist ebenfalls beim Öko-Institut tätig. Die Union sieht darin ebenfalls einen Interessenkonflikt - CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach in diesem Zusammenhang sogar von "grünen Clan-Strukturen".

Das Bundeswirtschaftsministerium wehrt sich gegen die Vorwürfe: Die verwandtschaftlichen Verbindungen seien bereits vor Dienstantritt Graichens im Ministerium offengelegt worden. Graichen sei deshalb an der Vergabe von Aufträgen an das Öko-Institut nicht beteiligt - ebenso wie sein Schwager, der Staatssekretär Michael Kellner.

Auch Timo Lange von Lobbycontrol hält diesen speziellen Vorwurf gegen Graichen für "völlig überzogen" - im Gegensatz zu der Rolle, die der Staatssekretär bei der Berufung seines Trauzeugen gespielt hat. Wenn sich mehrere Familienmitglieder für den Umweltschutz engagierten, sei es manchmal "unvermeidbar, dass man sich dann auch an bestimmten Stellen begegnet", sagte Lange dem WDR am Mittwoch.

Welche politischen Folgen hat die "Causa Graichen"?

Die Union drängt zwar auf eine Abberufung des wichtigen Mitarbeiters von Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister will auf Graichen aber offenbar nicht verzichten. "Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss", sagte Habeck am Mittwoch nach seiner Befragung vor den Ausschussmitglieder. Graichen ist als Staatssekretär für die Umsetzung der neuen Klima- und Energiepolitik verantwortlich - ein personeller Wechsel in diesem hochkomplizierten Bereich könnte Habeck schwächen, so die Befürchtung.

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