"One Love"-Kapitänsbinde als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt.

Streit um "One Love"-Binde: Am Ende haben alle verloren

Stand: 22.11.2022, 15:21 Uhr

Beschädigtes Image, drangsalierte Reporter und Fans, Rücktritt von Sponsoren, mögliche Gerichtsprozesse: Der Weltfußball steht vor einem Scherbenhaufen - moralisch, wirtschaftlich und sportlich.

Ein kleines, buntes Stück Stoff bewegt die Fußballwelt. Die gestrige Entscheidung des DFB, auf das Tragen der "One Love"-Binde zu verzichten, nachdem die FIFA mit Strafen gedroht hatte, wird weiter kontrovers diskutiert - und zwar auf allen Seiten. Mit Rewe hat nun der erste Sponsor der deutschen Mannschaft seinen Rückzug angekündigt. Der DFB hingegen prüft, rechtlich gegen das Verbot vorzugehen.

Das sagen FIFA und der DFB

Steffen Simon

DFB-Pressechef Simon: "Haben unsere Werte nicht verloren"

DFB-Präsident Bernd Neuendorf nannte das FIFA-Verbot eine "Machtdemonstration" und "mehr als frustrierend". DFB-Mediendirektor Steffen Simon verteidigte die Entscheidung des Verbandes, auf die Binde zu verzichten. "Wir sind nicht eingeknickt vor der FIFA", sagte er im Deutschlandfunk. "Wir haben zwar die Binde verloren, aber nicht unsere Werte." Die FIFA habe den Verbänden "mit massiven sportlichen Sanktionen" gedroht, sollten sie die Armbinde als Zeichen gegen Diskriminierung tragen. Der DFB habe die Situation nicht auf dem Rücken der Spieler austragen wollen, sagte Simon. 

Womöglich landet der Fall vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS. "Die FIFA hat uns ein Zeichen für Diversität und Menschenrechte verboten. Sie hat dies mit massiven Androhungen sportlicher Sanktionen verbunden, ohne diese zu konkretisieren. Der DFB prüft, ob dieses Vorgehen der FIFA rechtmäßig war", sagte Simon.

Welche Strafe genau gedroht hätte, sollten Spieler die verboten Binde tragen, ist unklar. Das Reglement der WM sei von allen Beteiligten abgesegnet worden und es gelte für alle, hieß es in einer FIFA-Mitteilung. Tatsächlich schreiben die Ausrüstungsregeln des Verbands detailliert vor, was erlaubt ist und was nicht.

Wie bewerten Kommentatoren und Presse die Situation?

Andreas Bachmann vom "Bayerischen Rundfunk" verwies auf das iranische Team, das am Montag vor seinem Spiel gegen England die Nationalhymne nicht mitsang und nun mit Repressalien des Regimes rechnen muss. Diese hätten so viel mehr zu befürchten als eine Geldstrafe oder eine Gelbe Karte. Sein Fazit: Die deutsche Mannschaft solle "lieber mit 'One Love'-Binde einen Punktabzug riskieren und in der Gruppenphase rausfliegen, als ohne Weltmeister werden".

Jochen Breyer, Sportmoderator beim ZDF, twitterte: "Ein Zeichen, das man nur dann setzt, wenn man dadurch keinerlei Konsequenzen zu befürchten hat, ist kein Zeichen."

Claudia Neumann kommentiert die WM in Katar im Regenbogen-Shirt

ZDF-Reporterin Neumann im Regenbogenshirt

Mehrere Journalistinnen und Journalisten vor Ort trugen in den Stadien Regenbogenfarben. Die britische TV-Expertin Alex Scott streifte sich am Spielfeldrand eine "One Love"-Binde über, ZDF-Reporterin Claudia Neumann saß im Regenbogenshirt und mit Armbinde auf ihrem Platz. Der US-Journalist Grant Wahl, der ebenfalls ein Regenbogen-T-Shirt trug, wurde hingegen nicht ins Stadion gelassen. Er sei aufgefordert worden, das T-Shirt auszuziehen, da es verboten sei. Wahl wurde nach eigenen Angaben 30 Minuten lang festgehalten. Der Sicherheitsdienst argumentierte, man wolle ihn vor anderen Fans schützen, die ihn wegen des Shirts angreifen könnten.

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So reagieren Sponsoren: Rewe kündigt Zusammenarbeit

Das Logo des Supermarktes REWE

Rewe-Konzern verzichtet auf Werberechte mit DFB

Nach dem Verbot der Binde hat mit Rewe ein erster großer Sponsor die Zusammenarbeit mit dem DFB beendet. "Wir stehen ein für Diversität – und auch Fußball ist Diversität. Diese Haltung leben wir und diese Haltung verteidigen wir - auch gegen mögliche Widerstände", sagte Rewe-Chef Lionel Souque. Das Verhalten der FIFA bezeichnete er als "skandalös". Das Unternehmen werde auf seine Werberechte aus dem Vertrag mit dem DFB verzichten. Rewe hatte bereits im Oktober mitgeteilt, den langjährigen Partnerschaftsvertrag mit dem DFB nicht weiterzuführen - damals noch ohne inhaltliche Verbindung zur Weltmeisterschaft.

Der Sportartikelhersteller adidas forderte eine liberale Haltung in der "One Love"-Diskussion. "Wir sind davon überzeugt, dass Sport offen für alle sein muss", teilte ein Sprecher mit. "Wir unterstützen unsere Spieler*innen und Teams, wenn sie sich für positiven Wandel einsetzen." Es sei unerlässlich, die Diskussion fortzuführen.

Auch Fans in den Stadien erleben Repressalien

Ein deutscher Fußball-Fan hat wegen einer Binde und eines Schweißbandes in Regenbogenfarben während des Spiels zwischen den Niederlanden und Senegal am Montag offenbar Ärger mit der Polizei bekommen. "Mitte der zweiten Halbzeit wurde ich von vier Polizisten von meinem Platz eskortiert, stand in den Katakomben umzingelt von zehn bis 15 Polizisten, die mich aufgefordert haben, die Binde abzunehmen", sagte Sportstudent Bengt Kunkel. Ihm sei gesagt worden: "Entweder nehmen wir deine Binde und dein Schweißband oder wir nehmen dich mit. Dann habe ich es natürlich auch abgegeben." Die Utensilien seien im Müll gelandet, so Kunkel.

Einen ähnlichen Vorfall hatten walisische Fans beim Spiel gegen die USA erlebt, als ihnen Regenbogenhüte abgenommen worden waren. Man werde die Angelegenheit heute direkt mit der FIFA besprechen, kündigte der walisische Verband an.

Und was sagen die Spieler?

Nationalspieler Niclas Füllkrug verurteilte das FIFA-Verbot als "enttäuschende Entscheidung". "Auch wenn wir auf die Binde verzichten müssen, stehen wir weiter für unsere Werte ein", sagte der Torjäger der Augsburger Allgemeinen. Für Leon Goretzka ist das Verhalten der FIFA "nicht nachzuvollziehen". Der Mittelfeldspieler ist davon überzeugt, dass das Thema noch lange nicht vom Tisch ist.

"Symbolbilder sind bei dieser WM sicherlich noch wichtiger als bei der vergangenen EM. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir diese Zeichen hier sehen werden." Nationalspieler Leon Goretzka

Der Mönchengladbacher Mittelfeldspieler Christoph Kramer, bis 2016 selbst in der Nationalmannschaft aktiv, sieht eine Diskussion, die "auf dem Rücken der Spieler" ausgetragen wird. "Ich finde es total richtig, dass wir darüber diskutierten, Zeichen zu setzen", sagte er im ZDF. "Aber dass die Spieler jetzt die Suppe auslöffeln sollen, die da passiert ist - das finde ich nicht richtig". Stürmer Niklas Füllkrug

Thomas Hitzlsperger, Nationalspieler von 2004 bis 2010, bezeichnete das FIFA-Verbot der Binde auf Twitter als "erbärmlich". Aber er kritisierte auch die Fußballverbände. Diese hätten durch ihre Entscheidung, auf die Binde zu verzichten "sehr viele Menschen, sehr viele Fußballfans zu Hause enttäuscht", sagte er in der ARD. Sein wohl eher zynisch gemeinter Vorschlag: Die Spieler sollten Schnürsenkel in Regenbogenfarben tragen.

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Zumindest im deutschen Lager hat man noch etwas Zeit, sich Gedanken über eine Reaktion auf das Binden-Verbot zu machen. Das Spiel der Nationalmannschaft gegen Japan wird am Mittwoch um 14 Uhr angepfiffen.