Arrow 3 startet

Luftabwehr in Deutschland: "Im Grunde sind wir schutzlos"

Stand: 18.08.2023, 10:48 Uhr

Mit dem "Arrow 3"-Luftabwehrsystem will sich Deutschland künftig vor Luftangriffen schützen. Eine längst überfällige Anschaffung, findet der Verteidigungsexperte Ralph Thiele.

Nach langen Verhandlungen steht nun fest: Die Bundesregierung darf das israelische Abwehrsystem "Arrow 3" kaufen. Es soll Deutschland und seinen Nachbarn einen besseren Schutz vor möglichen Raketenangriffen bieten und in zwei Jahren betriebsbereit sein.

Der frühere Bundeswehr-Oberst Ralph Thiele begrüßt die Anschaffung. Er war im Planungsstab des Verteidigungsministeriums und für den NATO-Oberbefehlshaber tätig und ist Präsident der privaten Initiative "Eurodefense", die sich für die "Gestaltung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" einsetzt. Mitglieder von "Eurodefense" sind unter anderem hochrangige frühere Militärs und Diplomaten, aber auch das Rüstungsunternehmen MBDA.

WDR: Viele Beobachter sehen den Kauf des "Arrow 3"-Systems als etwas ganz Besonderes. Sie auch?

Ralph D. Thiele: Das ist vor dem Hintergrund unserer Leichtfertigkeit in den vergangenen Jahrzehnten zu betrachten. Wir haben das Thema der Luftverteidigung lange Zeit nicht besonders ernst genommen und entsprechende Systeme ausgedünnt. Im Grunde sind wir schutzlos. Und was das bedeuten kann, hat man in der Ukraine gesehen. Deshalb wurde dort am Anfang der Schwerpunkt auch ganz wesentlich auf Luftverteidigungssysteme gerichtet. Genau das machen wir jetzt auch mit "Arrow 3". Die Schutzlosigkeit unseres Luftraums wird überwunden, indem wir angemessene Systeme beschaffen.

WDR: Gab es vorher keine Raketenabwehrsysteme?

Thiele: Nicht wirklich. Spätestens seit 1990 gingen die Luftabwehrsysteme stark zurück. Zuletzt hatten wir Patriot-Systeme, die aber auch höchstens dazu gereicht hätten, vielleicht den Großraum Hamburg oder Berlin zu schützen. Aber ich vermute, die Menschen in Köln würden auch gerne geschützt werden. Es war immer viel zu wenig, und das Wenige, das wir hatten, wurde nun auch noch teilweise in die Ukraine abgegeben.

WDR: Dieses sehr teure System ist vor allem zur Raketenabwehr geeignet. In der Ukraine setzt Russland aber hauptsächlich billige Drohnen ein.

Arrow 3 als großes Abwehrsystem

"Arrow 3" bietet Schutz vor Langstreckenraketen

Thiele: Das stimmt. Es gibt unterschiedliche Bedrohungen, die mit unterschiedlichen Systemen bekämpft werden. Drohnen und andere Flugkörper im Nah- und Nächstbereich kann man zum Beispiel mit dem IRIS-T-System abwehren. Das hat aber nichts mit "Arrow 3" zu tun. "Arrow 3" bietet Schutz vor weitreichenden Raketen mit fürchterlicher Wirkung, wie sie Länder wie Russland, Iran oder Nordkorea besitzen.

WDR: Wie sind die Auswirkungen auf die europäische Verteidigung?

Thiele: Dem Bundeskanzler wird ja oft Führungslosigkeit vorgeworfen. Diesmal hat Olaf Scholz aber Führung gezeigt und die Initiative "European Sky Shield" mit ins Leben gerufen, in der 19 europäische Nationen ihre Luftverteidigung abstimmen und in der Deutschland vorangeht.

WDR: Bundesfamilienministerin Lisa Paus beklagt, dass die Bundesregierung viel Geld für Rüstung ausgebe, während man bei Familien spare. Können Sie die Kritik an der Aufrüstung verstehen?

Thiele: Unbedingt. Wir kennen ja das Argument, dass man statt einen Eurofighter zu kaufen, auch 50 Kindergärten bauen könnte. Das ist durchaus richtig, aber man muss auch auf die Mischung achten. Die sozialen Themen sind wichtig, der Schutz vor Aggressoren aber auch. Denn der Kanzler und der Verteidigungsminister haben in ihren Amtseiden geschworen, dass sie die Bevölkerung schützen.

Das Interview wurde von Andrea Oster im WDR 5-Morgenecho geführt und bei der Verschriftlichung zur besseren Lesbarkeit stellenweise verkürzt, umgestellt und sprachlich geglättet, ohne den Sinn der Aussagen zu verändern.