Kommunen bei Flüchtlings-Aufnahme am Limit: "Uns steht das Wasser bis zum Hals"

Stand: 16.02.2023, 09:48 Uhr

Viele Gemeinden in NRW fühlen sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen allein gelassen. Sie fordern Geld und Entlastung vom Land. Heute findet dazu ein Flüchtlingsgipfel statt. Ein Interview mit einem Bürgermeister am Niederrhein, der alles Mögliche versucht.

Von Peter Hild

Rund 225.000 Flüchtlinge aus der Ukraine sind nach Angaben des Landes bisher nach NRW gekommen. Doch viele Städte und Gemeinden fühlen sich zunehmend überlastet. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte jüngst mehr Unterstützung vom Bund für Länder und Kommunen gefordert, um die Versorgung und Integration von Flüchtlingen sicherzustellen.

Viele Bürgermeister sehen aber auch die Landesregierung in der Pflicht, hier mehr zu tun - etwa bei der Schaffung zusätzlicher Plätze in Landesaufnahme-Einrichtungen. Karl-Heinz Wassong ist parteiloser Bürgermeister der Gemeinde Niederkrüchten am Niederrhein. Er zeigt sich im Interview besorgt über die aktuelle Lage.

WDR: Herr Wassong, wie empfinden Sie die aktuelle Flüchtlingssituation in Ihrer Gemeinde?

Wassong: Sie wird zunehmend zu belastend für uns. Wir müssen händeringend versuchen, dauernd neue Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen, die wir de facto nicht mehr haben - und das alles, während uns immer weiter neue Flüchtlinge zugewiesen werden. Wir sind an unseren Grenzen angekommen.

WDR: Wie versuchen Sie, in der derzeitigen Lage Lösungen zu finden?

Ein Mann mit dunklem Sakko und Brille vor einer hellen Wand

Wassong: Wir haben zum Beispiel Unterkünfte von Saisonarbeitern der Landwirte angemietet. Die müssen wir natürlich im Frühjahr wieder zurückgeben. Wir nutzen ein großes Bürgerhaus als Unterkunft, in dem normalerweise eine angrenzende Grundschule sowie einige Vereine Sport treiben, der jetzt ausfallen und verlagert werden muss. Das ist für die Betroffenen auf Dauer auch nicht auszuhalten.

Und wir machen eine Sache, die vielleicht für manchen pietätlos klingt: Wenn jemand stirbt, und das spricht sich auf dem Dorf ja schnell herum, dann gehen wir nach einer gewissen Kondolenzzeit auf die Angehörigen zu und fragen, ob wir den freigewordenen Wohnraum anmieten können. So dramatisch ist die Situation aktuell.

WDR: Was müsste sich aus Ihrer Sicht bei der Verteilung der Flüchtlinge ändern?

Wassong: Wir brauchen eine europäische Lösung, wir brauchen einen anderen Verteil-Mechanismus. Wir brauchen aber auch mehr Geld, um das Ganze stemmen zu können. Uns steht finanziell das Wasser bis zum Hals, denn wir müssen die ganzen Kosten tragen.

WDR: Was erwarten Sie von der NRW-Landesregierung?

Wassong: Dass das Flüchtlingsthema endlich Chefsache wird, wie es das schon bei vielen Bürgermeistern ist. Es scheint ja nun endlich auch beim Ministerpräsidenten angekommen zu sein. Ich spüre bisher eine Hilflosigkeit und gewisse Unsicherheit auf der Landesebene.

Das Land muss uns Geld und Entlastung bieten, vor allem muss es seine Kapazitäten in den Landesaufnahme-Einrichtungen deutlich ausbauen. Es wurden zwar gut 30.000 Plätze angekündigt, das hört sich erstmal viel an, aber in der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 waren es doppelt so viele.