Alleine aus der Ukraine sind seit Beginn des Krieges schon mehr als 200.000 Flüchtlinge nach NRW gekommen. Diese seien hier "herzlich willkommen", schreibt Wüst in dem Brief, der dem WDR vorliegt. Er bekenne sich "ausdrücklich zu der Verantwortung", den Flüchtlingen "Schutz und Zuflucht" zu bieten. Die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge sei aber eine "enorme Herausforderung".
"In höchstem Maße unbefriedigend": Wüst wird deutlich
Der dreiseitige Brief, den Wüst am Donnerstag an Faeser schrieb, ist überaus deutlich verfasst. Wüst fordert darin vor allem mehr Geld vom Bund. 2022 und 2023 gebe NRW für die Aufnahme und Unterbringung von Geflüchteten jeweils über drei Milliarden Euro aus. Dass der Bund sich in diesem Jahr daran nur zu einem Fünftel beteilige, "reiche bei weitem nicht aus".
Außerdem hätten vom Bund versprochene Mittel die Länder und Kommunen noch nicht erreicht oder die gesetzlichen Grundlagen dafür seien noch nicht geschaffen worden. Das findet Wüst "in höchstem Maße unbefriedigend". Der Bund müsse seine Zusagen einhalten, forderte er.
"Keine Frauen und Kinder in Zelten unterbringen"
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst
Der Bund müsse sich mehr anstrengen und NRW "andere Immobilien zur Verfügung stellen", sagte Wüst am Samstag dem WDR. Teilweise seien lediglich freie Grundstücke ohne Bebauung vom Bund angeboten worden. Damit könne man jetzt im Winter jedoch nichts anfangen. "Ich will da keine Zelte drauf stellen, um Frauen und kleine Kinder unterzubringen", so Wüst. Faeser solle auf die zuständigen Behörden einwirken, damit die "Bereitstellung tatsächlich nutzbarer Kapazitäten" veranlasst werden könne, hieß es in seinem Brief an Faeser.
Wüst sagte, er höre aus immer mehr Kommunen in NRW "echte Nöte und echte Sorgen". Daher befürchte er, "dass Länder und Kommunen die Grenzen ihrer Belastbarkeit schon bald erreicht haben werden und weiterer Unterstützung des Bundes bedürfen".
Denn der Krieg in der Ukraine dürfte noch länger andauern, es dürften noch deutlich mehr Menschen aus der Ukraine fliehen. Diese Warnung hatte Wüst auch schon Ende Januar und immer wieder 2022 vorgetragen. Auch andere Bundesländer haben sich zuletzt ähnlich geäußert.
Land stellt 30.000 Plätze, Kommunen wollen 80.000
Über die Frage, ob das Land NRW nicht auch selbst mehr Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung stellen kann, wird seit Monaten diskutiert. Der Xantener Bürgermeister Thomas Görtz fordert dem WDR gegenüber, dass das Land die Geflüchteten gerechter an die Kommunen verteilen und die Kapazitäten in den Landeseinrichtungen aufstocken sollte.
Mitte November hatte Wüst angekündigt, die Plätze in NRW auf 30.000 aufzustocken. Essens Bürgermeister Thomas Kufen lobte das Vorhaben zwar, sprach aber von einem Bedarf von 70.000 landeseigenen Plätzen. 2015 und 2016, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle, habe das Land 80.000 Plätze zur Verfügung gestellt.
Inzwischen hat das Land zwar fast die angekündigten 30.000 Plätze in den Landeseinrichtungen geschaffen, aber das scheint nicht zu reichen. Kommunen oder Städte- und Gemeindebund warnen seit Monaten vor einer zu hohen Belastung. Laut einer Westpol-Umfrage nutzen immer mehr Kommunen auch Turnhallen als Flüchtlingsunterkünfte, um überhaupt Flüchtlinge noch aufnehmen zu können.
CDU-Landespolitiker im Osten wollen Zuzug begrenzen
Auch in anderen Bundesländern gerät das Flüchtlingsthema derzeit wieder stärker in den Fokus. "Viele Städte und Gemeinden sind bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Vertriebenen längst an ihrer Leistungsgrenze", sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem "Handelsblatt".
Ende Januar gab es vor dem Kreistag in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) teils gewalttätige Proteste. Dort hatten 700 Menschen gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft im Dorf Upahl demonstriert. Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Chef Franz-Robert Liskow mahnte nach den Protesten eine spürbare Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland an. Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) forderte in einem Interview, "den nichtukrainischen Zugang deutlich zu bremsen". Ansonsten bliebe ihm als "als letztes Mittel nur noch, Grenzkontrollen zu fordern".
Brief kurz nach Faeser-Ankündigung
Wüsts Brief an die Bundesinnenministerin kommt zu einer Zeit, in der Nany Faeser ohnehin in der Diskussion steht. Sie hatte vor wenigen Tagen angekündigt, bei der hessischen Landtagswahl als SPD-Spitzenkandidatin kandidieren zu wollen. Bundesinnenministerin will sie vorerst bleiben. Vor allem aus der CDU hatte es Kritik daran geben, dass sich der Wahlkampf nicht mit den anspruchsvollen Aufgaben als Bundesinnenministerin vereinbaren lasse, unter anderem bei der Unterbringung von Flüchtlingen.
Dass amtierende Politiker in hohen Positionen sich für ein anderes Amt bewerben, ist keine Seltenheit. 2021 machte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) Wahlkampf, um Bundeskanzler werden. Er verlor gegen Olaf Scholz (SPD), der bis zu seinem Amtsantritt Bundesfinanzminister war.
Der EU-Rat will in den kommenden Wochen über die Flüchtlingszuteilung beraten. Der Brief von Wüst an Faeser dürfte auch vor dem Hintergrund dieser anstehenden Verhandlungen entstanden sein.