Blick auf Istanbul mit dem Galata-Turm, der halb verdeckt ist durch eine türkische Flagge.

Jetzt wegziehen aus Istanbul? - So wahrscheinlich sind weitere Erdbeben in der Türkei

Stand: 09.02.2023, 12:54 Uhr

Nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien droht eine noch größere Katastrophe. Sie wird von Experten für die Region Istanbul vorhergesagt. Nur für wann - das ist unklar.

August 1999: Bei einem der schwersten Erdbeben in der Geschichte der Türkei sterben mehr als 17.000 Menschen. Mindestens 24.000 werden verletzt. Das Epizentrum des Bebens liegt in der westtürkischen Stadt Izmit rund 100 Kilometer östlich von Istanbul. Doch auch in der Stadt am Bosporus kommt es zu schweren Schäden. Gebäude stürzen ein.

Mehr als 20 Jahre sind seither vergangen. Doch jederzeit könnte auch in der 15,8-Millionen-Metropole Istanbul selbst die Erde beben. Denn die Türkei liegt auf der kleinen Anatolischen Platte. Das Problem: Diese Platte wird zwischen der nordwärts driftenden Arabischen Platte und der eurasischen Platte nach Westen verschoben. Die entstehenden Spannungen entladen sich regelmäßig in Beben.

Geophysiker Rabbel: Wahrscheinlichkeit bis zu 70 Prozent

Entlang der Verwerfung zwischen der Anatolischen und der Eurasischen Kontinentalplatte ereigneten sich in den vergangenen Jahrzehnten mehrere verheerende Erdbeben. Ihr Auftreten verlagerte sich stetig von der Osttürkei nach Westen. Mittlerweile liegt die gesamte Spannung vor Istanbul.

"Aufgrund der bisherigen Erdbeben, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden haben, schätzt man, dass ein Erdbeben der Stärke 7 oder vielleicht sogar größer in den nächsten zehn Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 35 und 70 Prozent zu erwarten ist", sagte der Geophysiker Wolfgang Rabbel von der Universität Kiel am Mittwoch im ARD-"Brennpunkt".

Geoforschungszentrum: "Ein großes Erdbeben überfällig"

Auch das Deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) am Helmholtz-Zentrum Potsdam geht in einer Pressemitteilung vom Dienstag von einer Erdbebengefahr rund um Istanbul aus: "Hier ist ein großes Erdbeben überfällig, was man aus der Abfolge vorheriger Ereignisse schließen kann." Die Region sei Teil einer großen tektonischen Plattengrenze, die dafür bekannt sei, dass sie zerstörerische Erdbeben hervorrufe, die viele Opfer fordern könnten. 

Die Aussagen stützen sich auch auf eine aktuelle Studie: Ein GFZ-Team berichtet in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters" von weiteren Indizien, die als Vorboten für ein großes Erdbeben in dieser Region gedeutet werden könnten. Die Wissenschaftler haben nach eigenen Angaben mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) viele kleinere, bislang in den Messdaten verborgene Beben identifiziert und analysiert.

Geologe Sengör: "Ziehen Sie weg aus dem Zentrum Istanbuls!"

Der türkische Geologe Celal Sengör warnt ebenfalls. "In Istanbul wird es ein Erdbeben geben, das ähnlich heftig wird, wie das jetzige", sagte der emeritierte Professor der Technischen Universität Istanbul dem Sender "Habertürk", wie Merkur.de am Donnerstag berichtet. Demnach sagte der Geologe: "Es ist ziemlich nah."

Nach Angaben von Merkur.de hatte sich Sengör bereits nach dem Erdbeben besorgt gezeigt, das sich am 23. November 2022 im 200 Kilometer östlich von Istanbul gelegenen Düzce ereignet hatte. Damals habe er dem Sender "Habertürk" gesagt, es sei "vielleicht die letzte Chance einer Warnung". Dem Interviewer habe er gar empfohlen: "Ziehen Sie weg aus dem Zentrum Istanbuls!"

Enge Bebauung behindert mögliche Rettung

Wann genau es Istanbul trifft, weiß niemand. Doch die Auswirkungen eines solchen Bebens wären wohl dramatisch. ARD-Korrespondentin Katharina Willinger sagt am Mittwoch im ARD-"Brennpunkt", es lasse sich nicht abschätzen, wie viele Gebäude in Istanbul erdbebensicher gebaut seien. Einige Bauvorschriften seien nach dem großen Beben von 1999 verschärft worden. "Aber es halten sich eben viele Leute nicht daran."

Die Situation in Istanbul sei zudem schwierig, weil die Stadt so eng bebaut sei. "Das heißt: Im Falle eines Erdbebens können auch Rettungskräfte überhaupt nicht durchkommen", so Katharina Willinger.

Weitere Themen