Digitalstrategie: Nach Aufbruch sieht das nicht aus

Stand: 23.09.2022, 15:12 Uhr

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb erklärt, wie der Index entsteht – und was er tatsächlich über den Grad der Digitalisierung aussagt.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der in Deutschland auch für die Digitalisierung zuständig ist, hat im Bundestag die Digitalstrategie der Regierung vorgestellt. Der Minister spricht selbst nicht von einer "Strategie", sondern kündigt ein "Kursbuch" an – also mehr oder weniger einen Fahrplan.

Wissing stellt "Kursbuch" vor

Volker Wissing

Nach Aufbruch klingt das nicht, und offensichtlich will auch Volker Wissing selbst gar nicht den Eindruck erwecken. Da Volker Wissing auch für das Ressort Verkehr zuständig ist und es mit der Bahn bekanntlich auch nicht rund läuft, ist der Begriff "Kursbuch" gleich in doppelter Hinsicht beunruhigend. Da, wo sich die meisten Menschen Aufbruch versprechen, gibt sich der zuständige Minister begrifflich mit dem zufrieden, was in den Augen vieler ohnehin schon im Argen liegt (der Bahn).

Dennoch: Der liberale Digitalminister kündigte im Bundestag Fortschritte an. Wissing will den "digitalen Aufbruch". Die nun im Bundestag verabschiedete Digitalstrategie weist den Weg. Ziel sei es, laut Wissing, in die Top 10 des "Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft" aufzusteigen. Damit erfasst die EU-Kommission den digitalen Fortschritt ihrer Mitgliedsstaaten. Bislang befindet sich Deutschland auf Platz 13. Also Mittelfeld, bei 27 Mitgliedsstaaten.

Bestenfalls Mittelfeld

Deutschland liegt im Breitbandausbau im internationalen Vergleich weit hinten.

Deutschland ist in den meisten Bereichen der Digitalisierung bestenfalls Mittelfeld. Oft nicht mal das, etwa beim Breitbandausbau: Deutschland befindet sich laut OECD im internationalen Ländervergleich auf Platz 34, was den Anteil von Glasfaseranschlüssen an allen stationären Breitbandanschlüssen betrifft. 7,11% - auch Länder wie Kolumbien - haben mehr als doppelt so viele.

Die Opposition wirft dem Digitalminister vor, die vorgestellte Strategie sei ein "Sammelsurium". Vieles bleibt im Ungefähren, nur vage formuliert. Aufbruch klingt anders. So kündigt der Minister abermals eine digitale Patientenakte an. Seit Jahren geht es hier nicht wirklich voran.

Zivilgesellschaft bleibt außen vor

Kritik gibt es auch von Netzaktivisten wie netzpolitik.org. Zwar habe sich die Koalition in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen, "die Zivilgesellschaft besser in die digitalpolitischen Vorhaben einzubinden".

Doch dieses Ansinnen sieht die die Zivilgesellschaft nicht erfüllt: Es stehen wirtschaftliche Interessen im Fokus und zu wenig gesellschaftliche Visionen, beklagt die Chefredakteurin von netzpolitik.org, Anna Biselli. Offenbar gab es kaum Austausch mit der Zivilgesellschaft – das zumindest wurde nach einer offiziellen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg von den Linken deutlich.

Die Digitalexpertin für die Linken nennt das "Beteiligungshomöopathie". "Kein einziger Verein der digitalen Zivilgesellschaft wurde auch nur einmal angehört, null Mal: CCC, F5, D64, Digiges, Wikimedia, Open Knowledge Foundation, FIfF, EDRi, und Co." Daneben fehlen ihr weitere Stimmen, etwa von Sozial-, Senioren-, Behinderten- und Patientenverbänden.

Ein Fehler. Denn viele gute Ideen für den sinnvollen und maßvollen Einsatz von Digitalisierung kommt aus genau diesen Bereichen. Hier gibt es gute Idee, wie sich mit Hilfe von OpenSource gleichzeitig Geld sparen und Transparenz schaffen lässt, ob im Bereich der Verwaltung oder in Schule und Hochschule. Doch in all den Bereichen tritt Deutschland auf der Stelle.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.

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