Kim de l'Horizon ("Blutbuch") hat sich nach seiner Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreises 2022 die Haare abrasiert aus Solidarität mit den Frauen im Iran den Kopf rasiert.

Buchpreis für Kim de l'Horizon: Ermutigung für nonbinäre Menschen

Stand: 18.10.2022, 16:41 Uhr

Bei der Dankesrede für den Deutschen Buchpreis hat sich Kim de l'Horizon aus Solidarität mit den Frauen im Iran den Kopf rasiert. Der Auftritt habe sie sehr ermutigt, sagt eine andere nichtbinäre Person: Kim K.

Für den Debütroman "Blutbuch" bekam Kim de l'Horizon am Montagabend den renommierten Deutschen Buchpreis. Die Geschichte handelt von einem nichtbinären Menschen, als welcher sich auch Kim de l'Horizon identifiziert. In der deutschsprachigen Literatur kam diese Geschlechtsidentität bislang kaum vor. Die Preisverleihung wurde spektakulär, als Kim de l'Horizon schließlich einen Rasierer zückte und sich die Kopfhaare abrasierte - mit den Worten "dieser Preis ist nicht nur für mich".

Auch in der Community nichtbinärer Menschen wurde der Auftritt mit Spannung verfolgt. Kim K., 33, hat Literatur und Kulturwissenschaft studiert, arbeitet inzwischen journalistisch - und beschreibt, welche Bedeutung diese Auszeichnung hat.

WDR.de: Was haben Sie empfunden, als gestern die Nachricht kam?

Kim K.: Ich finde es sehr ermutigend, dass sich da jemand in einer Gesellschaft, in der das eben noch nicht total präsent ist, hinstellt und sagt: Ich bin hier, und ihr müsst mich jetzt angucken. Ich existiere, ich bin nicht allein auf der Welt, es gibt ganz viele, die so existieren wie ich, und wir müssen uns alle zusammen mal in Frage stellen.

Jemanden zu sehen, der auch nichtbinär ist, war superschön. Es ist das Gefühl: Du bist nicht alleine. Dass Nichtbinäre auch in der Literatur vorkommen, ist nicht neu – vor allem, wenn man mal weggeht von westlicher Literatur. Die Aufmerksamkeit ist neu.

WDR.de: Sehen Sie gerade eine Entwicklung zu mehr Offenheit im Umgang mit Geschlechtsidentitäten?

Kim K.: Auf jeden Fall. Das Thema ist deutlich präsenter geworden, auch in den Medien. Es wird über die Sprache diskutiert, es gibt Fernsehserien und Filme, in denen nichtbinäre Schauspieler nichtbinäre Rollen spielen. Das habe ich bisher mein ganzes Leben lang vermisst. Ich wünschte, das hätte es früher schon gegeben - um viel früher zu verstehen: Das, was Du da fühlst, hat einen Namen, das existiert – und so kann es aussehen für Dich. Von etwas nicht zu wissen, macht es sehr viel schwerer, diese Reise zu gehen und irgendwann da anzukommen. Ich glaube, dass viele junge Menschen heute diese Fragen viel leichter stellen können, weil sie jetzt die Sprache dazu bekommen.

Allerdings kann es trotz aller neuer Offenheit im Lebensalltag immer noch sehr gefährlich sein, als nicht-cisgender gelesen zu werden. Der Tod von Malte C. hat das gerade noch deutlich gemacht.

WDR.de: Und auch die Eltern nichtbinärer Kinder finden eher Informationen. Kim de l’Horizon hat seine Danksagung gestern auch seiner Mutter gewidmet.

Kim K.: Ich habe oft erlebt in meinem Umfeld, dass gerade Eltern, die schon älter waren, einfach gar nicht offen dafür waren, weil es nicht in deren Weltbild passte. Es ist total wichtig, dass Eltern sich da mitbilden und ihren Kindern nicht mit Ablehnung begegnen, sondern mit Aufgeschlossenheit - und vor allem mit Liebe.

Wenn die Eltern die Geschlechtsidentität ihrer Kindes nicht akzeptieren wollen, ist das für viele eine extreme Zerreißprobe und über lange Zeit sehr belastend. Weil sich jeder Mensch nach Familie sehnt, und von den Menschen, die einem am nächsten stehen, abgelehnt zu werden in der eigenen Existenz, ist etwas sehr, sehr Furchtbares.

WDR.de: Viel diskutiert wurde auch die der Danksagung Kim de l’Horizons folgende Aktion, sich die Haare abzurasieren – als Zeichen der Solidarität mit den Frauen im Iran. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Kim K.: Sehr viel, da gerade Rechte, die auf Identität basieren, gesellschaftlich überall auf der Welt in irgendeiner Form eingeschränkt werden, im Iran jetzt ganz extrem. Und gerade dieser queere Befreiungskampf von patriarchalen Machtstrukturen, die in der Welt existieren, gehörte schon immer zusammen mit dem Befreiungskampf der Frauen. Weil einfach zusammen unter dem Konstrukt Patriarchat gelitten wird. Da eine Solidaritätserklärung zu machen, finde ich sehr naheliegend.

Kim selber hat nach der Aktion gesagt, dass Kim diese weibliche Seite in sich sehr wertschätzt und sich ihr gerade sehr viel näher fühlt. Das Abrasieren von Haaren kann gerade für Frauen etwas sehr Schmerzhaftes sein, weil das Haar für Menschen, die sich weiblich fühlen, nochmal eine viel größere Bedeutung hat.

WDR.de: Kim de l’Horizon sagte gestern nach der Preisverleihung, Geschlecht werde überall auf der Welt benutzt, um den Status Quo beizubehalten, "um die Macht bei den Körpern zu behalten, die sie hat". Dagegen schreibe Kim an.

Kim K.: Queere Körper sind immer superpolitisch, weil durch ihre bloße Existenz Geschlechterrollen in Frage gestellt werden: Das Patriarchat-Konstrukt funktioniert nicht mehr, wenn Machtverhältnisse, die auf Geschlecht basieren, in Frage gestellt werden. Nicht nur Nichtbinäre, queere Menschen und Frauen leiden unter dem Konstrukt Patriarchat. Auch Cis-Männer sind davon betroffen und unterdrückt. Weil sie genauso ihre Rolle zu performen haben und sich in ein Konstrukt drücken müssen.

Es gibt keinen Bauplan A für einen Menschen, jeder ist individuell, und manche Dinge sind bei manchen Menschen präsenter und bei anderen weniger. Umso spannender ist es zu sehen, wie mutig die Menschen sind, die da gerade auf der Straße stehen. Weil sie sagen, so kann es nicht bleiben, weil wir als Gesellschaft leiden.

Das Gespräch führte Nina Magoley.

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