Lösungen zu einem Deutsch-Test für Zuwanderer und 250€ Bargeld

Betrugsmasche bei Deutschtest: Die richtigen Antworten für 250€

Stand: 25.03.2024, 06:00 Uhr

"Deutschtest für Zuwanderer" gegen Geld: Das WDR-Angebot für Geflüchtete "WDRforyou" hat durch den Hinweis einer Nutzerin eine Betrugsmasche aufgedeckt. Die richtigen Antworten für den Test werden zum Verkauf angeboten.

Von Bamdad Esmaili und Srdjan Govedarica

Yasmin lebt noch nicht lange in Deutschland und lernt gerade die Sprache. Sie wohnt in einer Stadt irgendwo in NRW und heißt in Wirklichkeit anders. Das, was sie WDRforyou zu erzählen hat, kann für sie sogar gefährlich werden – deshalb möchte sie nicht erkannt werden. Vor einigen Monaten legte Yasmin eine B1-Deutschprüfung ab. Dabei fiel ihr etwas auf: Einige aus ihrem Kurs schienen die Themen der Prüfung im Voraus zu kennen und waren verdächtig schnell fertig.

Fragen gegen Geld  

Yasmin stellte eine Kursteilnehmerin zur Rede: "Ich habe zu ihr gesagt: 'Sag mir nur, wie du das machst'. Sie hat geantwortet: 'Mein Mann hat gestern die Fragen gekauft.' Ich war schockiert, habe nochmal gefragt: 'Was hast du gemacht, die Fragen gekauft?' Sie sagte ja. Dann erzählte sie mir, dass man die Fragen für den Test in einer Telegram-Gruppe bekommt – gegen Geld."

Telegram-Gruppe mit 52 Mitgliedern

Der Deutschtest für Zuwanderer ist Teil der so genannten Integrationskurse. Er ist entscheidend für einen längeren Aufenthalt in Deutschland oder den deutschen Pass. Und die richtigen Antworten für diese wichtige Prüfung kann man vorab kaufen? Wir machen uns auf die Suche nach der Telegram-Gruppe, die Yasmin erwähnt hat. Unser Arabisch sprechender Kollege, nennen wir ihn Youssuf, ist erstaunt, wie schnell er fündig wird. Er tut so, als würde er auch kaufen wollen, als einer von 52 Interessenten.

250 Euro für Fragen und Antworten

Youssuf muss zunächst 50 Euro bezahlen, um in die Gruppe aufgenommen zu werden. Alles ganz unkompliziert, sagt Youssuf, den Betreiber habe vor allem das Geld interessiert. Denn für die Fragen sind dann noch mal 200 Euro fällig. Youssuf zahlt erneut. Und tatsächlich: Zwei Tage vor dem Prüfungstermin kommen die Fragen für den schriftlichen Teil tatsächlich in der Telegramgruppe an - inklusive Antworten. Bei einigen Fragen wird nur angegeben, welche Antwort richtig ist. Andere sind zusätzlich mit Erläuterungen auf Arabisch versehen, wiederum andere tragen sogar ein Wasserzeichen – als wolle der Betreiber der Gruppe damit sagen: Diese Fragen gehören mir.

Betrugsmasche bei Deutschtest

WDR Studios NRW 25.03.2024 00:54 Min. Verfügbar bis 25.03.2026 WDR Online


Leck bei den Prüfstellen?

Verantwortlich für diese Tests ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – kurz BAMF. Hier ist man über unsere Recherche erstaunt. Benjamin Beckmann ist Leiter der Referatsgruppe Integrationskurse beim BAMF. Er kann auch nicht genau sagen, wie die Prüfungsfragen ihren Weg in die Telegram-Gruppe finden konnten, hat aber eine Vermutung: "Am naheliegendsten ist, dass hier eine Person bei einer Prüfungsstelle – wahrscheinlich aber dann wohl mindestens mit mehreren Mitwissenden – den Sicherheitsumschlag, in dem die Prüfungsunterlagen versandt werden, vorschriftswidrig geöffnet hat und diese Unterlagen abfotografiert hat." Ein solches Leck hätte schwerwiegende Konsequenzen für die betroffenen Institute, betont Benjamin Beckmann, darunter der Verlust ihrer Lizenz und Strafanzeigen.

Bis zu 20.000 Testteilnehmer pro Wochenende

Jetzt wollen wir es genauer wissen. Die Prüfungen finden alle zwei Wochen an Wochenenden statt, bis zu 20.000 Menschen nehmen pro Prüfungswochenende teil. Das BAMF hat G.A.S.T. e.V. aus Bochum mit der Abwicklung der Tests beauftragt. Hier werden die Testfragen zusammengestellt und an die 1.467 Integrationskursträger verteilt, die laut BAMF an insgesamt rund 4.000 Standorten Prüfungen anbieten. Das können zum Beispiel Volkshochschulen oder Sprachschulen sein. Jörn Weingärtner ist Geschäftsführer von G.A.S.T. e.V. Wir zeigen ihm die Fragen und die Antworten aus der Telegram-Gruppe. Und tatsächlich - die Fragen, die wir bekommen haben, sind echt.

Die Suche nach der Lücke im System

Dass bei Tests generell betrogen wird, überrascht hier niemanden. Die Betrugsmasche, die WDRforyou aufgedeckt hat, hingegen schon. Denn die Sicherheitsmaßnahmen sind streng. Die Fragen werden zum Beispiel versiegelt an die Prüfstellen verschickt. Die speziellen Umschläge dürfen erst unmittelbar vor der Prüfung unter Aufsicht unabhängiger Zeugen geöffnet werden. Jörn Weingärtner kann auch nicht sagen, wo die undichte Stelle zu finden ist. Er ist bemüht - wie er sagt - niemanden unter Generalverdacht zu stellen: "Hier wird an jedem zweiten Wochenende sehr viel Papier durch die Republik geschickt, das durch sehr viele Hände geht. Und da liegt es in der Natur der Sache, dass irgendwo eine Schwachstelle sein kann."

Jörn Weingärtner betont, dass G.A.S.T. e.V. in Zusammenarbeit mit dem BAMF ständig daran arbeite, die Sicherheitsvorkehrungen für die Tests zu optimieren und möglichen Betrügern voraus zu sein – er nennt das "Spiel von Hase und Igel“. Nach der Recherche von WDRforyou wolle man die Lücke im System schnell schließen, sobald sie identifiziert ist. Wie genau, erfahren wir jedoch nicht: "Denn wir möchten es denjenigen, die kriminelle Energie aufbringen, auch nicht zu leicht machen, zu wissen, an welcher Stelle wir ansetzen."

„Was soll das bringen?“

Im vergangenen Jahr haben mehr als 360.000 Menschen den Deutschtest für Zuwanderer abgelegt. Wie viele davon haben sich wohl die Fragen erkauft? Darauf haben wir keine Antwort. Yasmin, die uns auf die Betrugsmasche bei ihrer Prüfung hingewiesen hat, ist damals übrigens durchgefallen. Jetzt lernt sie für die nächste Runde. Wenn sie an ihre Mitschüler denkt, die betrogen haben, ist sie immer noch wütend. "Dass man Geld zahlt, um den Test zu bestehen und dabei noch nicht mal ein Wort wie "Hallo" oder "gute Nacht“ schreiben kann oder sich mit der Kindergärtnerin des eigenen Kindes unterhalten kann" – was soll das bringen?

Unsere Quellen:

  • WDRforyou Informationen
  • WDRforyou Interviews
  • G.A.S.T. e.V.
  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge