Arbeitspflicht für Geflüchtete?
Aktuelle Stunde . 29.02.2024. UT. Verfügbar bis 28.02.2026. WDR. Von Bernd Neuhaus.
Arbeitspflicht für Asylbewerber: Ist das eine Option für NRW?
Stand: 29.02.2024, 18:45 Uhr
In Thüringen will ein Landkreis erstmals die Arbeitspflicht für Asylbewerber umsetzen. Das hat eine Debatte ausgelöst. Auch in NRW gibt es unterschiedliche Positionen.
Von Dominik Reinle
Der Saale-Orla-Kreis in Thüringen hat als erste Landkreis in Deutschland eine Arbeitspflicht für Asylbewerber beschlossen. Sie sollen zu vier Stunden Arbeit pro Tag verpflichtet werden - und für 80 Cent pro Stunde einfache Arbeiten erledigen. Weigern sich die Geflüchteten, drohen Geldkürzungen von bis zu 180 Euro im Monat.
Der Saale-Orla-Kreis beruft sich dabei auf eine entsprechende Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz. Dort heißt es in Paragraf 5:
In diesem Paragrafen ist auch "eine Aufwandsentschädigung von 80 Cent je Stunde" festgehalten. Diese Regelung gilt derzeit für gemeinnützige Tätigkeiten für Bewohner von Sammelunterkünften.
Arbeiten müssen "zusätzlich" sein
Bislang gibt es dafür allerdings eine Bedingung: Die Arbeiten, die Asylbewerber erledigen sollen, dürfen keine Konkurrenz für andere Arbeitnehmer darstellen. "Nur zusätzliche Aufgaben dürfen als gemeinnützige Arbeit zugewiesen werden", schrieb Julian Seidl, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im vergangenen Oktober auf verfassungsblog.de.
Als Beispiel führte er an: "Die Gemeinde darf nicht das für die Gräberpflege angestellte Friedhofspersonal oder die Vergabe von Aufträgen an Gartenbauunternehmen ersetzen, indem sie auf Bedürftige als kostengünstige Arbeitskräfte zurückgreift."
Beitrag zur Integration?
Der Landkreistag NRW sieht eine Arbeitspflicht von Asylbewerbern positiv: "Dieses Instrument kann neben vielen anderen Maßnahmen auch einen Beitrag zur Integration leisten", sagte Martin Klein, Hauptgeschäftsführer des NRW-Landkreistages, am Donnerstag dem WDR. Bei der praktischen Umsetzung spielten allerdings viele Faktoren eine Rolle, darunter auch mögliche Hürden wie etwa Sprachbarrieren und administrative Fragen.
Ganz anderer Meinung ist der Flüchtlingsrat NRW: "Bislang haben diese Arbeitsgelegenheiten noch nie zu einer Annäherung oder gar Integration auf dem Arbeitsmarkt geführt", sagte Geschäftsführerin Birgit Naujoks am Donnerstag dem WDR. Es solle anerkannt werden, "dass sehr viele Schutzsuchende arbeiten möchten und dies aber nicht dürfen." Sinnvoll sei deshalb die "Abschaffung aller Arbeitsverbote" - flankiert von Sprachkursen und Anerkennung beruflicher Qualifikationen.
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul sagte dem WDR, es müsse das Ziel sein, Menschen schneller in reguläre Arbeitsverhältnisse zu bringen. Dazu bedürfe es auch adäquate Angebote bei Sprach- und Integrationskursen und eine Beschleunigung bei der Anerkennung ausländischer Berufs- und Schulabschlüsse. Der Arbeitsmarkt brauche dringend Fach- und Arbeitskräfte. Was sie konkret von der Idee aus Thüringen hält, eine Arbeitspflicht einzuführen mit möglichen Geldkürzungen bei Verstößen, sagte Paul nicht.
Begrenzter Zugang zum Arbeitsmarkt
Derzeit ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für neu ankommende Geflüchtete stark eingeschränkt. Nach geltender Rechtslage dürfen Asylbewerber grundsätzlich erst nach drei Monaten einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft nachgehen - wer in einer Aufnahmeeinrichtung leben muss und kein minderjähriges Kind hat, sogar erst nach neun Monaten.
Geduldete oder Geflüchtete in einer Aufnahmeeinrichtung mit minderjährigem Kind dürfen nach sechs Monaten arbeiten. Asylbewerber aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten, die nach August 2015 ihren Asylantrag gestellt haben, haben grundsätzlich keinen Zugang zum Arbeitsmarkt.
Essen will Arbeitspflicht umsetzen
Das Asylbewerberleistungsgesetz wird in NRW anders als in anderen Bundesländern nicht von den Kreisen umgesetzt, sondern von den dafür zuständigen kreisangehörigen Städten und Gemeinden.
In Essen prüft die Stadt derzeit, wie eine Arbeitspflicht für Geflüchtete umgesetzt und organisiert werden kann. Das sagte der dortige Sozialdezernent Peter Renzel in der Donnerstagsausgabe der "Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung" (NRZ).
Bereits jetzt leisteten viele Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften in der Stadt freiwillig gemeinnützige Arbeit, beispielsweise in der Grünpflege oder bei der Reinigung der Einrichtungen. Arbeit diene der Tagesstruktur und helfe beim Spracherwerb, sagte Renzel.
Unsere Quellen:
- dpa
- AFP
- Landkreistag NRW
- Flüchtlingsrat NRW
- Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung (NRZ)
- "Verfassungblog"-Eintrag vom 27.10.2023