Kein Bock: Deutschland hat ein Problem mit der Arbeitsmotivation
Aktuelle Stunde . 07.01.2025. 42:32 Min.. UT. Verfügbar bis 07.01.2027. WDR. Von Thomas Kramer.
Warum wir manchmal einfach keine Lust auf Arbeiten haben
Stand: 07.01.2025, 06:00 Uhr
Neues Jahr, neue Woche, aber keine Lust zu arbeiten? Wir haben mit einem Arbeitssoziologen darüber gesprochen, woher das kommt.
Das Wochenende nach Neujahr liegt hinter uns, heute enden die Schulferien in NRW, die Mehrheit steigt also wieder ins Arbeitsleben ein. Im Idealfall haben die freien Tage Abstand vom Job und Erholung gebracht, um nach dem Jahreswechsel wieder mit voller Energie durchzustarten. Doch ist das wirklich so? Startet ihr mit Tatendrang ins Arbeitsjahr 2025?
Laut einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY fehlt knapp der Hälfte der Beschäftigten in Deutschland die Motivation am Arbeitsplatz: Nur 48 Prozent der Angestellten geben an, auf der Arbeit ihr Bestes zu geben. In Indien waren es zum Beispiel 63 Prozent, in China 59 Prozent. Für die Umfrage wurden weltweit 17.000 Menschen befragt, davon 1.000 in Deutschland.
Haben wir also ein Problem mit der Arbeitsmoral oder liegt es eher an der Unternehmenskultur? Wir haben darüber mit dem Arbeitssoziologen Dr. Klaus Kock von der TU Dortmund gesprochen.
WDR: Herr Kock, wie motivieren Sie sich für Ihre Arbeit?
Arbeitssoziologe Dr. Klaus Kock von der TU Dortmund
Klaus Kock: Indem ich mir klar mache, dass ich mit meiner Arbeit etwas bewirke und die Leute damit etwas anfangen können, was ich produziere. Was immer voraussetzt, dass ich ein ordentliches Gehalt kriege. Wenn das nicht gegeben ist, ist das andere auch fraglich. Die materielle Sicherheit ist die Voraussetzung dafür, dass man dann so arbeiten kann.
WDR: Welche Rahmenbedingungen helfen ihnen, motiviert zu sein?
Kock: Dass ich die Sicherheit habe, dass der Job nicht in Gefahr ist oder in Frage gestellt wird. Zu wissen, du kannst auch mal Fehler machen oder Phasen haben, wo du nicht produktiv bist, du bist nicht ständig unter Druck, weil du deinen Job sichern musst. Du kannst mit dem Geld, was du verdienst, leben und musst dir nicht ständig Sorgen machen.
Wichtig ist auch das Vertrauen der Vorgesetzten, dass ich das schon richtig kann und mache, dass meine Qualifikation nicht in Frage gestellt wird, dass ich Handlungsspielraum habe und selbst entscheiden und eigenverantwortlich arbeiten kann. Dazu kommt, dass die Infrastruktur passt. Also dass beispielsweise das Internet, die Verwaltung oder das Telefon funktionieren. Zum Teil Kleinigkeiten, die aber alle relevant sind.
WDR: Spüren Sie eine nachlassende Arbeitsmoral? Sind wir zu bequem geworden?
Kock: Nein, das kann ich eigentlich nicht feststellen. Diese Umfragen gab und gibt es schon immer, da kommt immer raus, dass die Leute angeblich nicht motiviert sind. Es gibt andere Umfragen, die zeigen das Gegenteil. Es hängt eben an der Fragestellung. Die Rahmenbedingungen können sich allerdings so verändern, dass die Motivation beeinträchtigt wird.
WDR: Wie das?
Kock: Heutzutage wird viel verändert in den Betrieben, umstrukturiert oder transformiert. Wenn das kein Ende hat, wenn immer wieder alles in Frage gestellt und umgemodelt wird, wenn ich wieder einen neuen Vorgesetzen kriege und gar nicht mehr weiß, wo es langgeht, dann lässt auch die Motivation nach. Oder wenn ich den Sinn meiner Arbeit nicht erkennen kann. Ich muss erkennen: Was ist mein Teil, was machen die anderen? Kann ich mich darauf verlassen? Oder wozu ist meine Arbeit gut? Wenn ich das nicht mehr erkenne, dann lässt auch die Motivation nach. Das kann in schlimmsten Fällen zu psychischen Erkrankungen wie einen Burnout führen.
WDR: Muss ich dann gleich den Arbeitgeber wechseln, oder muss ich versuchen, erst einmal eine neue Aufgabe im Unternehmen zu finden?
Kock: Im Prinzip gibt es immer zwei Wege: Entweder gehen oder versuchen, etwas zu verändern. Das hängt vom Einzelfall ab. Ich würde immer erst mal versuchen, etwas zu verändern – und auch nicht alleine. Damit kommt man meistens nicht weit. Aber ein Gespräch mit dem Vorgesetzten kann schon ein Anfang sein. Da reicht es nicht, unter Kollegen nur rumzumosern und zu kritisieren. Oder noch schlimmer, alles in sich hineinzufressen.
Ich muss mir schon mal ein Herz fassen und die Probleme an geeigneter Stelle ansprechen. Besser noch, man verständigt sich mit den Kolleginnen und Kollegen und bringt das Anliegen gemeinsam vor. Wichtig sind auch Betriebsräte. Die können auf einer übergeordneten Ebene mitbestimmen und die Rahmenbedingungen beeinflussen.
WDR: Gibt es da Unterschiede in den Generationen? Sind die Jüngeren offener für Veränderungen?
Kock: Ich kann keine schwerwiegenden Unterschiede feststellen. Aber das Umfeld für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hat sich verändert. Es ist heutzutage viel fluider. Arbeit ist nicht mehr so festgelegt. Es gibt mehr befristete Jobs, und ich muss meine Qualifikation auf dem Laufenden halten. Ich muss vielleicht auch mal den Beruf wechseln, bekomme neue Aufgaben, oder die Betriebe werden umstrukturiert. Damit zieht eine gewisse Unsicherheit in das Leben der Leute. Das ist vor allem für junge Leute eine Hürde oder Herausforderung, die sie erst einmal bewältigen müssen. Wenn sie dann in einem Betrieb feststellen, dass sie keine Perspektive haben, halten sie sich Optionen offen. Beim Arbeitgeber kommt das mitunter so an, dass Beschäftigte nicht motiviert seien. Was aber an den Rahmenbedingungen liegt.
WDR: Wo müssen denn die Betriebe ansetzen? Wo beginnt deren Verantwortung?
Kock: Betriebe neigen dazu, sich alles offen zu halten. Der Markt ist Schwankungen unterworfen. Und dann ist man natürlich versucht, alles andere auch so flexibel wie möglich zu halten. Der Mensch braucht aber eine gewisse Sicherheit. Die Betriebe sollten versuchen, diese Sicherheit so groß wie möglich zu machen. Also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unbefristet einzustellen oder Garantien zu geben, um den Leuten zu vermitteln: "Ich tue für euch, was ich kann, und ich mache nicht alles auf eurem Rücken. Ich werde nicht sofort den Lohn senken, wenn jetzt mal der Absatz schlecht ist. Ich werde euch auch nicht entlassen, wenn es eben geht."
Der Arbeitgeber kann den Markt nicht beeinflussen. Aber ich als Arbeitnehmer muss das Gefühl haben, mein Arbeitgeber tut alles, was er kann. Dazu muss er den Beschäftigten das Gefühl geben, dass ihr Beitrag anerkannt wird. Dass das, was sie tun, Sinn hat. Dass sie gesehen werden und nicht nur eine Nummer sind, sondern ein Mensch. Einfach mal fragen: "Wie war denn der Urlaub?" Diese menschliche Seite wird oft nicht gesehen – und das sorgt dann für Frust.
WDR: Ist es schlimm, wenn man bei der Arbeit nicht immer sein Bestes gibt, sondern auf sich und die Gesundheit achtet?
Kock: Ganz und gar nicht. Die Arbeit ist ja kein Leistungssport, wo ich eine Höchstleistung abliefern und mich dann zwei Tage erholen muss. Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, habe ich noch andere Dinge zu tun. Also kann ich mich nicht so auspowern auf der Arbeit wie beim Leistungssport.
WDR: Der Chef des Versicherungskonzerns Allianz hat vorgeschlagen, angesichts der vielen Krankentage in Deutschland Krankmeldungen unattraktiver machen und kranken Arbeitnehmern den Lohn zu kürzen. Ist das zielführend?
Kock: Was soll das bringen? Ich befürchte, dass sich die Leute dann krank zur Arbeit schleppen und vielleicht noch andere anstecken. Dann liegt der ganze Betrieb flach. Der Vorschlag geht davon aus, dass der Mensch nur auf finanzielle Anreize reagiert. Das ist eine falsche Annahme. Die Leute gehen nicht nur wegen des Geldes zur Arbeit. Vielmehr sollten sich die Betriebe fragen, ob es nicht an den Arbeitsbedingungen liegt, dass die Krankenstände so hoch sind.
Das Interview führte Victor Fritzen.
Unsere Quellen:
- Interview mit Dr. Klaus Kock
- Pressemitteilung EY