Buchcover: "Sein Garten Eden" von Paul Harding

"Sein Garten Eden" von Paul Harding

Stand: 08.11.2024, 09:55 Uhr

Vertreibung aus dem Paradies: Der Pulitzer Preisträger Paul Harding erzählt in seinem neuen Roman "Sein Garten Eden" wie eine kleine Gruppe friedlicher Außenseiter brutal vernichtet wird. Eine Rezension von Andrea Gerk.

Paul Harding: Sein Garten Eden
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Silvia Morawetz
Luchterhand, 320 Seiten, 24 Euro.

"Sein Garten Eden" von Paul Harding

Lesestoff – neue Bücher 11.11.2024 04:32 Min. Verfügbar bis 11.11.2025 WDR Online Von Andrea Gerk


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Der Schwarze Benjamin Honey, ein ehemaliger Sklave und seine irischstämmige Frau Patience, finden Ende des 18. Jahrhunderts auf einer kleinen Insel vor der Küste von Maine ihr Paradies: Apple Island heißt die Insel in Paul Hardings Roman, ein abgeschiedener Ort, der als "Malaga Island" tatsächlich existierte. 1912 vertrieb der Staat die Bewohner und wies sie zum Teil in Anstalten für "Geistesschwache" ein. Das bunt zusammengewürfelte mixed-race-Grüppchen war den Behörden ein Dorn im Auge mit seiner harten, ärmlichen und unkonventionellen Lebensart, von der Hardings Roman erzählt:

"Wie sein Vater und seine Großmutter hatte Ethan schon mit fünfzehn die Gewohnheiten aller Bewohner der Insel angenommen, die morgens, mittags und abends rauchten oder Tabak kauten oder beides und dickflüssigen schwarzen Tee tranken, um dem sich meldenden Hunger, der echt war, ein Schnippchen zu schlagen. Dieser Hunger zehrte alle aus, die Familie scharte sich um den Herd und senkte die Köpfe und das karge Abendessen machte es fast noch schlimmer."

Paul Harding erzählt von den beschwerlichen Lebensbedingungen der kleinen Gemeinschaft, die sich nicht darum schert, wer von ihnen weiß, schwarz oder "mixed" ist, weshalb auch keinem klar ist, dass sie außerhalb ihrer Insel verachtet würden. Eines Tages taucht ein weißer Missionar auf Apple Island auf, Matthew Diamond, der eine Schule baut, um den Kindern lesen und schreiben beizubringen und der das überragende Zeichentalent des Jungen Ethan fördert:

"Matthew Diamond fielen die kleinen Kreidezeichnungen auf, die Ethan Honey auf seiner Schreibtafel machte. Ethan zeichnete Grillen, Krebse und Seesterne, den Apfel auf der Bank und den Keks auf seiner Blechschachtel. (…) Matthew war einmal in New York und dreimal in Boston gewesen, erzählte er Ethan, und er hatte Kunstgalerien besucht, vom Boden bis zur Decke vollgehängt mit den großen Gemälden aus Europa und Amerika. Ethans Zeichnungen erinnerten ihn an viele Gemälde, die er dort gesehen hatte. Die hießen Stilleben."

Der Missionar überzeugt Ethans Vater und Großmutter, ihn wegzugeben, denn da der Junge fast wie ein Weißer aussieht, hat sich ein wohlhabender Freund von ihm bereit erklärt, ihn bei sich aufzunehmen und auf eine Kunstschule zu schicken. Doch das endet ebenso im Debakel wie das freie, unabhängige Leben der Inselbewohner, die verjagt, eingesperrt und getötet werden. Ihre armseligen Hütten werden niedergebrannt und sogar die Gräber ausgeraubt, alle Spuren getilgt:

"Einer der portugiesischen Seeleute stieß schließlich auf Gebeine. Er hebelte ein Becken heraus, das Kreuzbein trocken und einem Krebs ähnlich. Fund!, rief er zu Kramp hinüber. Gut gemacht, ihr räudigen verflohten Hunde, rief Kramp und kam zu der Grube. Die Hand vor die Augen gelegt, schaute er in das Loch und betrachtete den Hüftknochen und dem Schaufelblatt des Portugiesen, der ihn von sich weghielt, so weit es ging, damit er ihn beim Herausklettern nicht fallenließ."

Die Brutalität, mit der Staatsbeamte und hygienebesessene Ärzte auf die Insel und ihre Bewohner zugreifen, schildert Harding so drastisch, wie er zuvor das Leben der Gemeinschaft in all seiner Härte und Eigenartigkeit beschrieben hat. Auch wenn ihm manche Naturbeschreibungen etwas zu elegisch geraten sind, gelingt es Paul Harding auf vielschichtige Weise an dem einzigartigen Fall der Menschen von Malaga Island zu zeigen, wohin die Beschränktheit von rassistischem Denken führt – generell und zu allen Zeiten.