John von Düffel: Ich möchte lieber nichts. Eine Geschichte vom Konsumverzicht
DuMont Verlag, 208 Seiten, 24 Euro.
"Warum tun wir nicht so', frage ich, ‚als hätten wir nie wirklich aufgehört, miteinander zu sprechen, als seien wir nur unterbrochen worden, für fünfunddreißig Jahre?' Fiona schweigt. Vielleicht hat sie mich schlecht verstanden, vielleicht hat sie mich auch zu gut verstanden. Der Blick, den sie mir zuwirft, enthält die Aufforderung, meine Frage zu wiederholen. – 'Würdest du heute noch immer sagen', frage ich anders, ‚dass du später mal auf einem Stein sitzen und denken willst?' Und Fiona sagt: 'Glaub ja nicht, dass ich dir mein Leben erzähle.'"
Nach 35 Jahren trifft der Erzähler sie wieder, Fiona, die heimlich bewunderte Schottin, die er im Philosophiestudium kennengelernt hat und die mit nichts als Lesen und Denken auszukommen schien. Es entwickelt sich ein Gedankenaustausch über die großen Themen des Lebens: Freiheit und Sicherheit, das Eingespanntsein in die Zwänge des Alltags und die Frage danach, was es eigentlich heißt, 'richtig' zu leben:
"Was ich sie gerne fragen würde, aber nicht zu fragen wage: ob sie ihrer Art zu denken und zu leben treu geblieben ist. Fiona war die erste Asketin, die ich kannte, und schon damals ein Vorbild, an dem ich gescheitert bin, immer wieder, bis heute. Und sie? Hat sie all die Jahre weiter Konsumverzicht geübt, oder wollte auch sie irgendwann mehr – mehr haben, mehr sein? In gewisser Weise wäre es eine Entlastung oder gar Entschuldigung, wenn sie ein Leben gelebt hätte wie alle anderen."
Es ist ein ebenso schmales wie ambitioniertes Buch, mit dem John von Düffel den Faden seines 2022 erschienen Titels "Das Wenige und das Wesentliche" wieder aufgreift. Ambitioniert nicht nur wegen seines Themas, sondern vor allem wegen des Versuchs, philosophische Betrachtungen und literarische Erzähllinien zusammenzubringen. Das gelingt in den drei Teilen dieses bibliophil gestalteten Bandes mal mehr, mal weniger. Während die im ersten und dritten Teil geschilderten Begegnungen in Edinburgh und Berlin durch die gekonnt entfaltete Geschichte berühren, bleiben die im Mittelteil abgedruckten "Zettel" genannten Reflexionen bisweilen allzu sehr einer wohlfeilen Kulturkritik verhaftet:
"Der schlechteste Konsument der Welt ist ein Mensch mit einer Aufgabe, die ihn erfüllt. Er braucht nicht viel. Einem unglücklichen, auf sich selbst fixierten und mit sich unzufriedenen Narzissten kannst du dagegen fast alles verkaufen. Er wird nie zur Ruhe kommen und will immer was Neues."
Zu den Stärken des Buches zählt es freilich, dass von Düffel seine Konsumkritik als ein Wohlstandsphänomen kennzeichnet, das man sich erst einmal leisten können muss. Deutlich arbeitet er die sozialen Unterschiede zwischen Fiona und dem von ihm selbst kaum zu unterscheidenden Erzähler heraus. Er reflektiert die eigene, bürgerliche Wohlsituiertheit und macht deutlich, wie sehr die bewunderte Furchtlosigkeit Fionas in ihrer schwierigen Herkunft wurzelt:
"Dadurch ist mir vieles klar geworden. Konsum definiert unsere sozialen Beziehungen. Er bestimmt über Oben und Unten. Seine Preisklasse ist deine Klasse. Wer in einer Konsumgesellschaft lebt, aber nicht konsumiert, ist nicht Teil der Gesellschaft. Und solange sich daran nichts ändert, bedeutet Konsumverzicht immer Ausgrenzung – Selbstausgrenzung und Ausgrenzung durch andere. Du gewinnst eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit, aber du verlierst an sozialem Status, Ansehen, Akzeptanz. Du gehörst nicht dazu."
Sympathisch in seiner Nachdenklichkeit, versucht dieses Buch billige Antworten zu vermeiden. Die sensible Figurenzeichnung zieht die Leser geschickt in Düffels philosophische Betrachtungen. Zugleich kommt das Buch gewissermaßen nicht raus aus seiner Haut, bleibt das etablierte Echo jener radikalen Anfänge, deren Zauber es so eindringlich einfängt. Mehr als alle konsumkritischen Überlegungen ist es der existentielle Ernst Fionas, der am Ende der Lektüre haften bleibt:
"Warte', rufe ich, als sie weitergeht, und will noch etwas erwidern. Aber ich weiß, dass sie recht hat, auch wenn es mir nicht passt, und genau das ist vermutlich der Grund, warum ich mich an so vieles, was Fiona gesagt hat, erinnere. Ich sehe den Rücken ihres schwarzen Regenmantels, sehe, wie sie sich entfernt, und spüre nach all den Jahren wieder ihre Unbeirrbarkeit. [...] Dann sehe ich das Meer."