"Wir werden jung sein" von Maxim Leo
Stand: 20.03.2024, 12:00 Uhr
Die Suche nach der ewigen Jugend wird Realität: Maxim Leos "Wir werden jung sein" entführt in eine Welt, in der ein Medikament die biologische Uhr zurückdreht. Doch mit der Verjüngung kommt auch eine ethische Zerreißprobe, für die Gesellschaft wie für jeden Einzelnen. Was passiert, wenn das biologische Altern plötzlich aufgehoben wird? Eine Rezension von Oliver Pfohlmann.
Maxim Leo: Wir werden jung sein
Kiepenheuer & Witsch, 2024.
304 Seiten, 24 Euro.
Daran kommt keiner vorbei: Wir alle werden älter und sterben irgendwann. Aber was, wenn das gar nicht stimmt? Für die Wissenschaft steht schon lange fest: Seit es 2006 gelang, die Alterungsvorgänge in den Zellen von Mäusen umzukehren, ist die Pille gegen das Alter nur eine Frage der Zeit. Menschen könnten künftig ewig leben oder zumindest erheblich länger als bislang. Der Traum von der ewigen Jugend wäre demnach zum Greifen nah – aber wäre das überhaupt wünschenswert?
Nicht, wenn man der Literatur Glauben schenkt; die Reihe einschlägiger Titel reicht von Goethes "Faust" bis zu José Saramagos Roman "Eine Zeit ohne Tod". Jetzt hat sie Maxim Leo mit "Wir werden jung sein" fortgesetzt. Spoileralarm: Auch Leos Roman ist alles andere als eine Utopie. Vielmehr erzählt er von einer vom medizinischen Zufall verursachten Zerreißprobe, für die Gesellschaft ebenso wie für den Einzelnen.
Was zum Beispiel würde es für junge Menschen bedeuten, wenn die alten plötzlich keinen Platz mehr machten? Andererseits, so fragt in Leos Roman der Bundeskanzler seine Ethikberaterin: Was könnte für eine Regierung wichtiger sein als der Wunsch der Menschen nach einem Leben ohne Krankheit und Tod?
"'Zum Beispiel der Wunsch, sich fortzupflanzen. Oder der Wunsch, in einem bestimmten Alter in Rente zu gehen, auch das wäre nicht mehr möglich. Wer ewig leben will, der muss auch ewig arbeiten.' 'Meinen Sie ernsthaft', sagte der Kanzler, 'die Menschen würden auf ein Weiterleben verzichten, um pünktlich in Rente gehen zu können?'"
In Maxim Leos Roman beginnt alles mit einem neuen Mittel gegen Herzkrankheiten, zu dem ein Biochemiker der Berliner Charité namens Martin eine Studie durchführt. Das Mittel wirkt, sogar besser als gedacht: Denn es programmiert nicht nur die Herzzellen der Propanden neu, sondern gleich den ganzen Organismus. Es ist, als liefe die Zeit plötzlich rückwärts; die Studienteilnehmer werden biologisch gesehen einfach immer jünger.
Ein medizinisches Wunder, das zu erheblichen sozialen Reibungen führt: Ein todkranker Unternehmensgründer, der eben noch seine Nachfolge geregelt hat, sprüht plötzlich wieder vor Energie, hält aber weiter an seinen überkommenen paternalistischen Vorstellungen fest. Eine ehemalige Leistungssportlerin schwimmt aus dem Stand Weltrekorde und muss sich mit Dopingvorwürfen herumschlagen. Und ein Heranwachsender, der gerade erst die Liebe entdeckt hat, sieht sich plötzlich körperlich ins Kleinkindalter zurückgeworfen.
"'Was ich nicht verstehe: Warum habe ich mich äußerlich nicht verändert, wenn ich jetzt innerlich nicht mal mehr ein Embryo bin?' Der Professor atmete tief ein, Jakobs Mutter hatte wieder diesen Blick, der nichts Gutes verhieß. 'Du hast dich verändert', sagte der Professor. 'Das ist dir vielleicht gar nicht so aufgefallen, weil du die letzten Wochen fast die ganze Zeit im Bett gelegen hast, aber schau dir deine Beine an.'"
Zugleich bedeutet der unverhoffte Jungbrunnen für Leos Protagonisten aber auch eine zweite Chance, um Versäumtes nachzuholen. Wie im Fall der Sportlerin, die früher alles dem Leistungsdiktat geopfert hat und sich nun auf Technopartys fröhlich bunte Pillen einwirft. Der wiederauferstandene Firmenpatriarch dagegen gerät in eine überraschende Lebenskrise:
"Das Schicksal war gnädig und erbarmungslos mit ihm gewesen, es hatte ihn reich beschenkt und zugleich auf das Seltsamste bestraft, als es ihm plötzlich diese Extrarunde offerierte, dieses Bonusleben, diese Zeit, die nach seiner Zeit gekommen war. Denn nicht nur sein Blick auf sich und die Welt hatte sich verändert, auch sein Gefühl war ein anderes geworden. Hatte er bislang meist instinktiv gespürt, was er wollte, war er nun erstaunlich unentschlossen (…)."
Natürlich zeitigt Martins Entdeckung bald auch internationale Folgen. Tech-Milliardäre interessieren sich für sie ebenso wie Aktivisten, die für eine gerechte Gesellschaft kämpfen und auch vor Entführung nicht zurückschrecken. Maxim Leos Roman ist gut recherchiert und flott erzählt, hat aber bei weitem nicht die existenzielle Dimension wie seinerzeit der zu Beginn erwähnte Roman José Saramagos.
So unterhaltsam sich Leos Roman daher auch liest, was die gesellschaftlichen und globalen Folgen einer Gesellschaft ohne Tod angeht, bleibt er unter seinen Möglichkeiten. "Wir werden jung sein" ist weniger ein Roman über Gerechtigkeit und Verantwortung als einer über die Frage nach dem Sinn des Lebens. Und auch diese Frage gehört wie Alter und Tod zu den Dingen, denen wir uns alle einmal stellen müssen.