"Die seltsame Wendung" von Ludwig Hohl
Stand: 20.12.2023, 12:00 Uhr
Von der Sehnsucht nach künstlerischem Ruhm und der Gefährdetsein des Künstlers handelt Ludwig Hohls schonungslose Novelle "Die seltsame Wendung". Vor mehr als 90 Jahren entstanden, erscheint sie nun erstmals als Buch. Eine Rezension von Ulrich Rüdenauer.
Ludwig Hohl: Die seltsame Wendung
Mit einem Nachwort von Anna Stüssi.
Herausgegeben im Auftrag der Ludwig Hohl Stiftung von Magnus Wieland.
Suhrkamp, 2023.
160 Seiten, 22 Euro.
Der Kritiker und Dichter Peter Hamm hat Ludwig Hohl einmal als den "größten Schriftsteller ohne Werk" bezeichnet. Dieser mit reichlich Talent gesegnete Autor hat nämlich kaum abgeschlossene Werke, keine Romane und Erzählungen hinterlassen, sondern ein eindrucksvolles Wust aus Skizzen und Notaten.
Sein bekanntestes Buch, eine Mischung aus Aphorismensammlung, philosophischen Miniaturen und Beobachtungen, trägt den Titel "Die Notizen". Ein Sonderling war dieser Ludwig Hohl. Er wurde von seinen Schweizer Landsleuten Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt bewundert, war aber zu Lebzeiten eine Schattengestalt des literarischen Lebens.
Nun erscheint mit "Die seltsame Wendung" ein früher Text Hohls – 1929 hat er begonnen, daran zu schreiben. Von 1932 datiert die "2. und letzte, undefinitive Fassung" der Novelle, die er sich immer wieder vornahm. Noch in den 50er und 70er Jahren arbeitete er daran, wobei die Arbeit nicht in einer sprachlichen Revision oder Weiterführung bestand, sondern darin, einzelne Seiten oder auch Zeilen aus dem Manuskript zu entfernen.
In dieser Form liegt das Buch nun vor – mit allen Auslassungen, die in der jetzigen Ausgabe nachvollziehbar sind.
"Denn zur Ästhetik dieser Novelle gehört ganz entschieden ihre Versehrtheit, die sich sowohl auf thematischer Ebene als auch materiell in den destruktiven Eingriffen des Typoskripts spiegelt."
So heißt es im editorischen Nachwort zur "Seltsamen Wendung". Wie sich die Versehrtheit auf thematischer Ebene spiegelt, das wird schon auf den ersten Seiten deutlich:
"Es lebte im Montparnasse unter vielen sonderbaren Malern einer der war sonderbarer als die andern und eine ungestüme Kraft zersplitterte die Linien seines Gesichtes. Er war ein ungeheurer Säufer und wurde da und dort von der Polizei angesprochen, hie und da auf den Posten geschleppt, oft aus den Kaffeehäusern geworfen und dann doch wieder geduldet, von den Leuten verlacht und dann wieder angenommen als komische Figur, von deren Elend die andern lebten. Er war ein ungeheurer Säufer, aber das war nicht immer so gewesen."
Dieser Maler kommt 20-jährig nach Paris, nach Höherem und der großen Kunst strebend, ehrgeizig und unter finanziell widrigen Umständen. Nur das Ergebnis kann sich nicht sehen lassen. "Er malte schlecht", heißt es lapidar. Die Unzufriedenheit und Unleidlichkeit verstärken sich immer mehr, er bricht mit einem Mädchen, das ihm nahe steht.
Da taucht ein Galerist mit sprechendem Namen auf: Schwänzel scharwenzelt um den Maler herum, er alimentiert ihn mit "tausend Fränklein" jeden Monat und erwartet von dieser Investition ein Werk. Das Leben gerät dem Künstler dadurch nicht etwa in ein Gleichgewicht, sondern aus der Bahn.
"Weil ein Mensch überall Naturgesetzen gehorcht und sich sogar im Unnatürlichen nach und nach natürlich einrichtet, bildet sich eine Art Beruflichkeit der Trunkenheit aus. Und doch kann es nie alltäglich werden: zu viele Feuer brennen in ihm, er will ja nicht trinken, er kommt stets von neuem dazu. Ein andauernder Jubel beherrscht ihn, Tage, fast Wochen lang."
Ludwig Hohls Ton passt zu diesem rauschhaft-elenden Dasein in Montparnasse; furios und ungehobelt ist er, ohne stilistischen Feinschliff, aber mit trauriger Kraft. Hohl kannte und konnte das. Ihm ging es in seiner Pariser Zeit kaum anders. Seinem Absturz ringt der Maler nun Bilder ab, denen Schwänzel "hohe Bedeutung" beimisst. Er wittert das Geschäft mit dem sich zu Tode Trinkenden. Und so kommt es am Ende auch.
"Ein Brausen fühlte er in sich, das alles erfüllte, dasselbe Brausen, wie das der Straße, der Stadt – – – der Welt. Bis er überfahren wurde."
Ludwig Hohl setzt seinen Maler einem banalen Martyrium aus, das einerseits vom unbedingten Willen zur Kunst rührt und andererseits durch die Willenlosigkeit des Künstlers verstärkt wird. Das Schicksal wendet sich gegen den Menschen, wie es sich – auf seltsame Weise – zugleich dem Künstler zuwendet.
"Die seltsame Wendung" ist eine Künstlernovelle, die von der Auflösung vorgegebener Muster handelt. Und vom gefährlichen Taumeln ins Unbewusste und Unkontrollierte, das das Schöpferische entfesselt, aber den Schöpfer tötet. Ein uraltes Thema. Bei Hohl aber mit einer gewissen Radikalität und dem Charme des Unfertigen ausgeführt.