WESTPOL über Atomkugeln in Jülich

Wohin mit all dem Atom-Müll?

Stand: 19.09.2014, 12:01 Uhr

Das Forschungszentrum Jülich muss bis Ende September erklären, wo die 152 Atommüll-Behälter aus dem ehemaligen Reaktor hin sollen. Gegen alle Ideen gibt es Widerstände. Die Grünen sind gegen die geplante Verschiffung in die USA.

Von Christian Wolf

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Es sind genau 288.161 tennisballgroße Atomkugeln, um die sich der Konflikt dreht. Seit Jahren lagert das aus dem Forschungsreaktor in Jülich stammende radioaktive Material in über 150 Castor-Behältern. Eine Entscheidung über den Verbleib wurde immer wieder hinausgezögert. Nun gibt es kein Zurück mehr. Die Genehmigung für das Zwischenlager in Jülich ist ausgelaufen. Bis Ende des Monats, so das für die Atomaufsicht zuständige NRW-Wirtschaftsministerium, muss das Forschungszentrum ein Konzept vorlegen, wie und vor allem wohin die Kernbrennstoffe entfernt werden sollen. Eine wahrscheinliche, aber höchst umstrittene Option: die Entsorgung in die USA.

Schon im Frühjahr unterzeichneten das im Bund federführende Bundesforschungsministerium mit dem US-Energieministerium eine Absichtserklärung zur Rücknahme der Brennelemente in die USA - denn von dort stammen sie ursprünglich. Ziel soll die Atomanlage Savannah River Site in South Carolina sein, die in den 1950er Jahren gebaut wurde, um Atomwaffen zu produzieren. Dort soll das Material wieder aufbereitet werden.

Grüne für Zwischenlagerung in Jülich

Kurz vor der Entscheidung des Forschungszentrums laufen Kritiker gegen diese Idee Sturm - allen voran die Grünen. "Es spricht im Moment eigentlich alles gegen diese USA-Variante", sagte der aus Düren stammende Grüne-Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer im Interview mit dem WDR-Politmagazin WESTPOL. So sei es mit Blick auf das deutsche Atomgesetz "rechtlich fragwürdig", da dieses den Export von Atom-Müll ins Ausland verbiete. Auch die Kosten von über einer Milliarde Euro seien zu hoch. Von einem sicheren Transport über den Atlantik könne obendrein nicht die Rede sein, einen geeigneten Überseehafen zur Verschiffung gebe es auch nicht. Sein Gegenvorschlag: "Das Forschungszentrum und die Bundesregierung sollten sich endlich darum bemühen, dass wir die Genehmigung für ein neues Zwischenlager anpacken." Von Jülich aus könnten die Atomkugeln dann irgendwann in ein sicheres deutsches Endlager gebracht werden.

Greenpeace hält USA-Transport für illegal

Aktivisten von Bündnis 90/Die Grünen protestieren in Düsseldorf in Schutzanzügen und mit "Atommüll"-Fässern

Anti-Atom-Aktivisten sind gegen den Transport der Atomkugeln

Unterstützung gibt es von Umweltschützern. So hält die Organisation Greenpeace den Transport in die USA für rechtswidrig. Ein am Donnerstag (18.09.2014) vorgestelltes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass es sich in Jülich nicht wie in Deutschland offiziell deklariert um einen Forschungs-, sondern um einen Leistungsreaktor handele, der von 1966 bis 1988 rund 1,5 Milliarden Kilowattstunden Strom in das Netz eingespeist habe. Selbst die Internationale Atomenergiebehörde stufe Jülich als kommerziellen Reaktor ein. Dann aber verstoße der Transport gegen das seit 2005 geltende Wiederaufarbeitungsverbot im Ausland sowie gegen das Endlagersuch-Gesetz, wonach im Inland verursachte hoch radioaktive Abfälle auch hier entsorgt werden müssen.

In Jülich will man sich derzeit nicht äußern und verweist auf das geforderte Konzept. Genau diesen Bericht wartet auch das NRW-Forschungsministerium ab. Das ebenfalls SPD-geführte Wirtschaftsministerium drängt intern auf eine Entscheidung. Eben dieser zeitliche Druck macht allerdings eine Lösung zugunsten des USA-Transports wahrscheinlicher.

Sicherheitsexperte: Es sollen Fakten geschaffen werden

Sowieso haben Beobachter nicht den Eindruck, als ob ernsthaft an einem Verbleib der Kugeln in einem neuen Zwischenlager in Jülich gearbeitet werde. "Ich habe viel mehr den Eindruck, dass Jülich von diesem Atom-Müll befreit werden soll", sagte der Chemiker und Sicherheitsexperte Rainer Moormann, der 35 Jahre lang am Forschungszentrum in Jülich beschäftigt war, zu WESTPOL. Es sei unverständlich, dass nach wie vor "keine ernsthaften Bemühungen" unternommen würden, auch nur Konzepte für ein Zwischenlager zu entwickeln. Mit der Absichtserklärung sei hingegen versucht worden, "unter der Hand jetzt schon Fakten zu schaffen". "Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass es da Konsens gibt zwischen Landes- und Bundesregierung, um das Problem irgendwie aus der Welt zu schaffen."

Konflikt zwischen SPD und Grünen droht

Der Sprecher der russischen Umweltorganisation Ecodefense, Wladimir Sliwjak (l), und der nordrhein-westfälische Grünen-Landtagsabgeordneten Hans Christian Markert

Der Grünen-Politiker Hans Christian Markert pocht auf den Koalitionsvertrag

Sollten die zuständigen SPD-geführten Ministerien der rot-grünen Landesregierung tatsächlich für einen USA-Transport sein, würde dies zu einem Konflikt innerhalb der rot-grünen Koalition führen. Denn der grüne Koalitionspartner stemmt sich vehement dagegen. "Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, dass die nukleare Hinterlassenschaft in Jülich bleibt, bis wir sie in ein sicheres Endlager transportieren können", sagte Hans Christian Markert, Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion für Anti-Atompolitik. Zudem verweist er auf den zwischen SPD und Grünen vereinbarten Koalitionsvertrag. Dort heißt es wörtlich: "Wir wollen, dass die Castoren, vor allem die in Jülich lagernden, nur noch einmal transportiert werden – nämlich zu einem Endlager, wenn hierfür ein Standort gefunden ist." Dass sich an dieser Haltung etwas geändert hat, sieht Markert nicht: "Für uns bleibt es dabei: Der Koalitionsvertrag gilt." Genaue diese Position macht eine weitere Option unwahrscheinlich: den Transport ins Zwischenlager Ahaus. In diesem Fall käme es zu zahlreichen Atomtransporten quer durch NRW.

Ganz ohne Gefahr wäre der Standort Jülich für ein neues Zwischenlager aber auch nicht. Seit einiger Zeit gibt es nämlich Bedenken wegen der Erdbebensicherheit. Für die Grünen kommt dieser Punkt überraschend. "Interessant ist ja, dass bei früheren Genehmigungsverfahren, die noch nicht lange her sind, diese Erdbebengefahr überhaupt keine Rolle spielte – im Gegenteil sogar abgetan wurde", sagte der Bundestagsabgeordnete Krischer.

Mittlerweile droht noch an einer anderen Stelle Ärger. Auch am möglichen Lagerort in den USA wächst der Protest gegen das Vorhaben. Für Sicherheitsexperte Moormann ist das nachvollziehbar: "Wir sollten so viel Anstand haben, dass wir den Leuten unseren Müll nicht noch vor die Füße kippen."

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