Porträt Svenja Schulze

Fünf Fragen zu Brennelementen

Düsseldorfer Chaos um Atomkugeln

Stand: 16.04.2011, 13:18 Uhr


Der Wirrwarr um angeblich vermisste Brennelementekugeln aus dem Forschungszentrum Jülich ist groß. Die Opposition spricht von Manipulation. Wissenschaftsministerin Schulze (SPD) gerät immer stärker unter Druck. Wo hat es gehakt beim Chaos um die Kugeln?

Von Christina Hebel

Auslöser für den Streit ist eine Kleine Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Hans Christian Markert vom 28. Februar 2011. Darin erkundigt er sich über den Verbleib des Atommülls aus dem stillgelegten Jülicher Forschungsreaktor.

Hat Ministerin Svenja Schulze diese Kleine Anfrage korrekt beantwortet?

Sie ist in einem wichtigen Punkt vage geblieben. In der Antwort heißt es: "Über die dann noch verbleibenden 2.285 Brennelementekugeln können von hier aus mit der gebotenen Zuverlässigkeit in dem vorgegebenen Zeitrahmen keine abschließenden Aussagen getroffen werden." Damit hat Schulze den Eindruck erweckt, dass Brennelementekugeln fehlen könnten, das lässt Raum für Spekulationen. Dabei ist die Menge des Brennstoffs genau dokumentiert und nachweisbar. Das betonen das Forschungszentrum Jülich (FZJ), das in NRW für die Atomaufsicht zuständige Landes-Wirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium - und das räumt nun auch die Landesregierung ein. Da etliche der tennisballgroßen radioaktiven Graphit-Kugeln beim Umlagern beschädigt oder bei Tests zu Forschungszwecken gezielt zerstört wurden, ist die genaue Anzahl der Kugeln nur noch schwer zu ermitteln. Es wäre also wesentlich präziser gewesen, sich auf spaltbares Material anstatt auf Kugeln zu beziehen. Da hilft es auch nicht, wenn Schulze nun sagt: "Es wurde nach Kugeln gefragt, dann antworten wir auf Kugeln."

Hat es keine Abstimmung zwischen den Ministerien und Jülich gegeben?

Doch, die hat es per E-Mail, per Telefon und per Fax immer wieder gegeben. Nur seien die Zahlen über die Atom-Kugeln sehr widersprüchlich gewesen, sagte die Wissenschaftsministerin am Freitag (15.04.2011) bei der Landtagsdebatte. Als Beleg zitiert sie aus einer E-Mail des Forschungszentrums Jülich vom 10. März 2011 (10:18 Uhr), die WDR.de vorliegt. Darin heißt es, dass die "genaue Anzahl nicht mehr nachvollziehbar" sei. Um "auf eine konsistente Zahl" zu kommen, wie es in der Mail heißt, sei aufgerundet worden, sagt das Wissenschaftsministerium.

Die Sprecherin des Jülicher Zentrums betont, man habe nicht gerundet, sondern auf Basis des spaltbaren Materials die Zahl der Kugeln rekonstruiert: "Wir haben richtig und widerspruchsfrei informiert." Sie sagt aber auch, dass es schwierig sei Buch über Kugeln zu führen, die es so nicht mehr gibt.

Schulze führt eine zweite Mail vom selben Tag (10.43 Uhr) an, um die unklaren Zahlen aus Jülich zu belegen. Sie stammt vom Bundesministerium für Forschung und liegt WDR.de ebenfalls vor. Darin ist von "einigen Unstimmigkeiten" bei der Gesamtzahl der Brennelemente und "Zahlensalat" die Rede. Zu diesen Vorwürfen will Jülich nichts sagen.

Welche Rolle spielt die Atomaufsicht, das NRW-Wirtschaftsministerium?

Das Ministerium hat die formulierte Antwort des Wissenschaftsministeriums gegengezeichnet - und die zuständigen Beamten haben das dort getan, obwohl sie wussten, dass es keinen Zweifel gibt, dass das spaltbare Material komplett vorhanden ist. Trotz des hochsensiblen Themas war Wirtschaftsminister Harry K. Voigtsberger (SPD) selbst nicht in den Vorgang eingebunden. Er sprach im Landtag am Freitag von "Missverständnissen".

Die Opposition versucht die Informationspannen politisch zu instrumentalisieren, hat sie Belege?

CDU und FDP werfen insbesondere der Wissenschaftsministerin vor, sie habe die Anfrage benutzt, um die Stimmung gegen Atomenergie zu machen. Schulze habe nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima, für die es erste Anzeichen am 11. März gab, den Antwortentwurf nachträglich - nach der Abstimmung mit dem Forschungszentrum Jülich - verändert. Die Opposition legt Schulze deshalb den Rücktritt nahe. "Wer Regierungsmacht missbraucht, um Angstkampagnen zu inszenieren, kann nicht Minister sein", sagte FDP-Fraktionschef Gerhard Papke am Freitag. CDU-Vize-Fraktionschef Lutz Lienenkämper warf ihr Manipulation vor. Er spricht von "validen Hinweisen", die seiner Partei vorlägen. Nur entsprechende Dokumente können CDU und FDP bisher nicht vorlegen, um ihre Behauptungen zu belegen. Sie verweisen auf das Forschungszentrum Jülich.

Was sagt das Forschungszentrum zu möglichen Veränderungen der Antwort?

Die Sprecherin bestätigt "erhebliche Veränderungen" gegenüber der Version, die das Forschungszentrum am 10. März 2011 an das Wissenschaftsministerium gemailt habe. Darin sei nicht die Rede davon gewesen, dass man über 2.285 Kugeln keine abschließenden Aussagen treffen könne.

Am 10. März haben sich das Ministerium und das Forschungszentrum auf eine Antwortversion für die Kleine Anfrage verständigt, sagt die Sprecherin. Es habe "einigen Mail- und Faxverkehr" gegeben, bis man dem Ministerium schließlich am Nachmittag den Entwurf gemailt habe. Darin ist der Verbleib sämtlicher Brennelementekugeln "lückenlos" dokumentiert, so die Sprecherin. Nach dieser Mail habe man nichts mehr aus dem Wissenschaftsministerium gehört. Die abschließende Antwort sei nicht mehr mit dem Forschungszentrum abgestimmt worden. In die politische Debatte will sich das Zentrum nicht einmischen. Hintergrund ist, dass das Zentrum eine öffentlich finanzierte Einrichtung ist: Gesellschafter sind zu 90 Prozent der Bund und zu zehn Prozent das Land NRW.

Das Wissenschaftsministerium wiederum sagt, eine abgestimmte Antwort und Mails am Nachmittag mit Jülich habe es nicht gegeben. Der Sprecher betont, die Antwort habe man geändert, weil die genaue Anzahl der Kugeln nach den widersprüchlichen Informationen aus Jülich und vom Bundesforschungsministerium nicht eindeutig zu ermitteln war. Die CDU hat nun nach dem Informationsfreiheitsgesetz Einsicht in die gesamte Korrespondenz des NRW-Wissenschaftsministeriums zur Beantwortung der Kleinen Anfrage, insbesondere mit dem Forschungszentrum, beantragt.