"Transparenz gehört bei uns dazu"
150 Jahre Neuapostolische Kirche
Stand: 03.06.2013, 12:00 Uhr
Neuapostolisch? Was dahinter steckt, wissen nur wenige. Vor dem Kirchentag in Dortmund, bei dem die Neuapostolische Kirche mit etwa 15.000 erwarteten Besuchern am Wochenende (01./02.06.2013) ihr 150-jähriges Bestehen feiert, hat WDR.de eine Gemeinde in Lünen besucht.
Von Andreas Sträter
Die Kirche der neuapostolischen Gemeinde in Lünen im Kreis Unna ist noch ganz neu. Ende März wurde das Gotteshaus eingeweiht. Im Kirchensaal mit 256 Plätzen blinzelt die Sonne durch die Fenster, die so hoch wie das Gebäude sind. "Transparenz gehört bei uns dazu, nicht nur als architektonisches Mittel. Das viele Glas ist ein Statement", sagt der stellvertretende Leiter der Gemeinde, Jörg Lohrmann. Das war nicht immer so, weil sich die Neuapostolische Kirche über Jahre nicht nach außen artikuliert habe, sagt Katja Rakow, Religionswissenschaftlerin an der Universität Heidelberg: "In den vergangenen Jahren hat sich die Kirche geöffnet. Da ist viel passiert."
Es existiert viel Nicht-Wissen
Hohe Fenster lassen viel Licht in die Lüner Kirche
Katja Rakow gehört zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich in Deutschland mit der Neuapostolischen Kirche beschäftigen. Die Religionswissenschaftlerin findet, dass es sehr viel Nicht-Wissen über diese christliche Gemeinschaft gebe. Dabei ist sie eigenen Angaben zufolge mit etwa 360.000 Mitgliedern die viertstärkste christliche Konfession im Land - nach den katholischen, evangelischen und orthodoxen Christen.
In den 1990er Jahren wurde die christliche Gemeinschaft im Privatfernsehen noch als "Deutschlands unbekannteste Sekte" oder "Großsekte" bezeichnet. Doch das sei Vergangenheit, findet Rakow. "Das ist eine ganz normale Kirche, die für die Mitglieder eine enorme Bedeutung in ihrem Leben hat. Vielen mag es komisch vorkommen, dass neuapostolische Christen mehrmals in der Woche in die Kirche, zum Chor oder zu Gemeindeaktivitäten gehen." Das erscheine deshalb schon vielen Menschen ungewöhnlich, da der Durchschnittsdeutsche nur noch an Feiertagen in die Kirche gehe – sonst aber nicht, so die Religionswissenschaftlerin.
"Erst war ich ein Außenseiter"
Jürgen Krumm, Birgit Burchardt mit Sohn Tino und Jörg Lohrmann (v.l.)
Früher mussten sich die Gemeindemitglieder der Neuapostolischen Kirche in Lünen noch häufiger mit Vorurteilen auseinandersetzen. "Als ich Kind war, hab ich immer gesagt, ich gehe zum Geburtstag", erinnert sich Jürgen Krumm. Irgendwann habe er sich zu seinem Glauben bekannt: "Erst war ich ein Außenseiter, aber irgendwann war das kein Problem mehr." Sonntags und mittwochs bindet sich der Lüner zum Gottesdienst den Schlips für die Kirche. "Für die Gottesdienste mache ich mich schick, ja klar", sagt er. Birgit Burchardt nickt. Sie kommt mit ihrem einjährigen Sohn Tino regelmäßig in die Kirche – zum Singen, zum gemeinsamen Gebet oder zur Kinderbetreuung. "Wir sind eine ganz normale Gemeinde", sagt sie.
Neuapostolisch ist weder katholisch noch evangelisch
Die Neuapostolische Kirche kann weder der katholischen noch der evangelischen Kirche zugeordnet werden. "Es handelt sich vielmehr um eine eigenständige Entwicklung aus dem 19. Jahrhundert mit sehr schlichten Kirchen, die eher im protestantischen Spektrum zu verorten ist, während die hierarchischen Strukturen eher mit dem Katholischen zu vergleichen sind", sagt Rakow. Die neuapostolischen Gemeinden haben ihren Ursprung in der schottischen Erweckungsbewegung, welche die Kirche nach urchristlichem Vorbild erneuern wollte. Deutlichster Unterschied zu anderen Konfessionen: Neuapostolische Christen erwarten die Wiederkunft Jesu in naher Zukunft.
Im Ruhrgebiet besonders stark
Im Schmelztiegel Ruhrpott sei die Neuapostolische Kirche in NRW besonders stark, sagt Frank Schuldt, Sprecher der neuapostolischen Kirche. Die Gemeinschaft ist aber flächendeckend in ganz Deutschland vertreten. "Wir sind eben ein freies und pluralistisches Land, in dem es viele Glaubensrichtungen gibt", erklärt die Religionswissenschaftlerin aus Heidelberg. Die Menschen hätten ganz viele unterschiedliche Lebensentwürfe. Der von Jürgen Krumm orientiert sich am neuapostolischen Glauben - nicht ohne Folgen: "Das, was ich hier in der Kirche erlebe, macht mich zu einem ausgeglichenen Menschen", sagt das Gemeindemitglied.
Hinweis der Redaktion: Wegen der regen Diskussion in den Kommentaren zu diesem Text werden wir uns in einem weiteren Beitrag nochmals mit der Neuapostolischen Kirche befassen. Dabei soll es auch um "Aussteiger" gehen. Wer dazu vertraulich Kontakt zur Redaktion aufnehmen will, kann sich an user@wdr.de wenden.