Innenraum einer Neuapostolischen Kirche

"Hey, wollen wir mal reden?"

Neuapostolische Kirche kontrovers (Teil 2)

Stand: 08.06.2013, 06:00 Uhr

Nach heftigen Leserreaktionen auf einen Bericht über den 150. Jahrestag der Neuapostolischen Kirche folgt in einem zweiten Beitrag bei WDR.de die kritische Einschätzung: Ist die NAK eine Sekte oder wirklich auf dem Weg zu mehr Transparenz?

Von Nina Magoley

"Noch vor etwa zehn Jahren galt die Neuapostolische Kirche als klassische Sekte", sagt Christoph Grotepass von der Landesberatungsstelle "Sekteninfo NRW" in Essen. In seinem Büro saßen ihm damals oft Menschen wie die Bonnerin Birgit Schmoll (siehe Teil 1 bei WDR.de, 07.06.2013) gegenüber, die ein Leben in Repression und Angst beschrieben.

Jahrzehntelang unter kritischer Beobachtung

Baby wird getauft

Die einfache Wassertaufe reicht nicht aus

Auch bei den Sektenbeauftragten der evangelischen und katholischen Kirchen stand die NAK jahrzehntelang unter kritischer Beobachtung und wurde immer wieder als Sekte eingestuft. Begründet war das zum einen durch die auffällige Abschottung der neuapostolischen Gemeinden und ihrer Mitglieder gegen die Außenwelt und die offensichtlich autoritären inneren Strukturen. Verstärkt – aus kirchlicher Sicht besonders gravierend – wurde diese Einordnung der NAK aber durch die Inhalte ihrer Glaubensbekenntnisse, die als Sonderlehre abgelehnt wurden. Neben ihrer Endzeit-Theorie geht die Neuapostolische Kirche davon aus, dass der Gläubige erst durch eine zweite Taufe, die sogenannte "Versiegelung", zum "Gotteskind" werden kann. Das "Entschlafenenwesen" sieht Sakramente für Verstorbene vor.

"Jesus wird erscheinen"

Vor allem ein Ereignis aber brachte die Neuapostolische Kirche auch intern in eine extreme Position: Im Dezember 1951 verkündete der damals amtierende "Stammapostel" Johann Gottfried Bischoff, dass noch zu seinen Lebzeiten Jesus wiedererscheinen würde. Die Anhängerschaft spaltete das in solche, die sich von der Kirche abwandten und andere, die sich nun als umso eingeschworenere Gemeinschaft sahen und den internen Druck, wie auch ihre Abschottung von der Gesellschaft verschärften. Als Bischoff starb, ohne dass das Angekündigte eingetreten war, erklärte sein Nachfolger, Gott habe "seine Meinung geändert". Die interne Krise eskalierte. "Der Kalte Krieg, die reale Bedrohung durch einen dritten Weltkrieg verunsicherte viele zusätzlich", sagt Dirk Gielke, seit 25 Jahren aktives Mitglied der NAK in Wuppertal. "Angesichts der Naherwartung Jesus' verzichtete mancher darauf, sein Haus anzustreichen oder die Kinder aufs Gymnasium zu schicken, weil man dachte, dass es sich nicht mehr lohne." Zudem seien die Funktionsträger der NAK damals sämtlich Laien gewesen, ohne eine fachliche theologische Ausbildung.

NAK demonstriert Willen zur Öffnung

Erst seit etwas mehr als zehn Jahren, nach einigem Personalwechsel innerhalb der Führungsebene, signalisiert die NAK den Willen, sich in Richtung einer Ökumene zu öffnen. In Konferenzen und Arbeitsgruppen mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), an denen auch Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Bistümer teilgenommen haben, wurde ein Prozess in Gang gesetzt, den auch ehemals skeptische Religionswissenschaftler als Reformansatz bezeichnen. Doch während die Vertreter der NAK dabei ihr Interesse an einem Zusammenrücken der Kirchen beteuerten, wiederholten die Vertreter der großen Glaubensgemeinschaften immer wieder ihr Misstrauen gegenüber der diffusen Darstellung der neuapostolischen Glaubenslehre. Irritierende Äußerungen beispielsweise im NAK-Zentralorgan "Unsere Familie" schürten dieses Misstrauen. Im Dezember 2012 legte die NAK schließlich einen Katechismus vor, eine Schrift, in der die Glaubenslehre dieser Kirchengemeinschaft dokumentiert ist.

"Wohin geht die Reise?"

Stammapostel Wilhelm Leber

"Stammapostel" Wilhelm Leber

"Das war ein großer Schritt", sagt der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche Andrew Schäfer. Die NAK befinde sich derzeit in einem "beeindruckenden" Wandlungsprozess. Zwar sei "noch nicht klar, wohin die Reise geht", und es gebe noch "erheblichen Diskussionsbedarf", der Wille der NAK, sich den großen Kirchen zu öffnen, sei aber unübersehbar, meint Schäfer. Inwiefern sich die nach außen gezeigte Öffnung auch auf die inneren Strukturen der Kirchengemeinschaft auswirkt, sei schwer einzuschätzen. "Dass es die Zeiten gab, in denen äußerste Rigidität herrschte, unter deren Folgen manches Mitglied heute noch leidet, steht außer Zweifel", sagt Schäfer. Aber auch die NAK habe, wie die großen Kirchen, mit wachsenden Austrittszahlen zu kämpfen. Daher, so vermutet er, ließen sich die ehemals autoritären Vorschriften, mit denen Berufswahl, Freizeitverhalten, Familienplanung oder selbst Kleidung der Mitglieder kontrolliert wurden, heute nicht mehr halten. Als Meilenstein bewertet der Sektenbeauftragte zudem ein Ereignis, das sich in diesem Jahr an Pfingsten zugetragen hat: Kurz bevor er in den Ruhestand ging, entschuldigte sich Stammapostel Wilhelm Leber offiziell für die in NAK-Kreisen berüchtigte sogenannte "Bischoff Botschaft" von 1951. Es sei ihm ein Anliegen, sagte Leber, "jene um Verzeihung zu bitten, die unter der Botschaft des Stammapostels Bischoff gelitten haben", er bedaure "die Gewissensnöte und Zweifel, denen viele ausgesetzt waren".   

Katechismus als Schizophrenie?

So euphorisch wie der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche bewertet der des Landes NRW die Entwicklung der Neuapostolen längst nicht. Im Katechismus von 2012 sehe er weniger ein Zeichen der Öffnung der NAK als vielmehr eine Art Schizophrenie, sagt Christoph Grotepass: "Darin sind doch genau die Eigenartigkeiten dieser Kirche festgeschrieben - diese Vorstellung, als Brautgemeinde Christi einer Elite anzugehören und dass man sich richtig verhalten muss, um mitgenommen zu werden." Einerseits untermauere die NAK damit ihre Sonderstellung – "sonst würde sie sich schließlich selbst die Existenzberechtigung nehmen" – andererseits zeige die Führungsebene gleichzeitig ihr Bemühen, sich in Richtung einer Ökumene zu öffnen.

"Heute mehr Selbstverantwortung"

Neuapostolische Kirche

Neuapostolische Kirche in Lünen

Rein statistisch gesehen beobachtet Grotepass in der Sektenberatungsstelle einen Rückgang der NAK-Thematik. Mittlerweile kämen nur noch selten Betroffene in aktueller Not in die Beratung. Meistens seien es ehemalige Mitglieder, die unter den psychischen Folgen des Drucks leiden, den sie erlebt haben. "Offenbar ist das Privatleben innerhalb der Gemeinden nicht mehr so streng reglementiert wie früher", vermutet Grotepass. Das sei es auch früher nur in Einzelfällen gewesen, beharrt Frank Schuldt, Sprecher der Neuapostolischen Kirche NRW. Zwar komme immer noch auf 19 Mitglieder ein Seelsorger, doch klingelten die längst nicht mehr unangekündigt bei den Familien zu Hause an. "Heute machen das eher die Jugendbetreuer, die dann sagen 'hey, wollen wir mal reden?'", sagt Schuldt. Die Selbstverantwortung des Einzelnen stehe heute viel mehr im Vordergrund.

Rolle der Frau in der NAK ungeklärt

Dass es trotz des Katechismus weiterhin viel Klärungsbedarf gebe, findet allerdings auch der evangelische Sektenbeauftragte Andrew Schäfer: "Das Entschlafenenwesen, die Versiegelung – all das sind Sachen, mit denen ich nicht viel anfangen kann." Auch die Rolle der Frauen sei in der NAK bis heute eine untergeordnete. Als Sekte will er die NAK aber heute nicht mehr bezeichnen – obwohl sie in der letzten Ausgabe des "Handbuchs Religiöser Gemeinschaften und Weltanschauungen" der evangelischen Kirche noch als Sekte geführt ist. Die heutige "innere Pluralität" spreche dagegen. "Die NAK befindet sich in einem Entsektierungsprozess", meint Schäfer.

"Nur die Taktik ist heute geschickter"

Für die vielen ehemaligen oder Noch-Mitglieder der Neuapostolischen Kirche, die sich bitter über Unterdrückung und Gängelung durch ihre Gemeinde beklagen, ist das ein schwacher Trost. Nicht wenige unterstellen den heute Verantwortlichen auch eine geschicktere Taktik, nach außen offen zu kommunizieren, während intern genauso Druck auf die Mitglieder ausgeübt würde wie eh und je: "Der Druck wird subtil ausgeübt, oft stellt man ihn gar nicht fest und leistet ihm aber doch Folge", schreibt eine Frau, "selbst die Sprache scheint unauffällig, doch für den, der den Slang kennt, zeigt es deutlich seine Wirkung". Ein Leser, der sich als 73-jährig und schon in die NAK hineingeboren vorstellt, schreibt von seinem Leben als "Achterbahn der Gefühle, mit "unsinnigsten Verboten und Geboten". "Das ist mein Menschenleben", schreibt er, "verbogen in einer Weise, wie ich es nicht gewollt habe". Er habe erkennen müssen, "dass die Angst machende Lehre der NAK eigentlich nicht integriert sondern ausgrenzt".

Lesen Sie in Teil 1: Wie ehemalige NAK-Mitglieder in Angst und Schrecken lebten