Die BKA-Handouts vom 01.12.2011 zeigen Uwe Böhnhardt (l-r), Uwe Mundlos und Beate Zschäpe (Fotos von 2007,2009 und 2011; Bildkombo), Silhouette mit Fragezeichen

Hatte der NSU mehr als drei Mitglieder?

Stand: 03.04.2017, 16:30 Uhr

Waren es mehr als Drei? Der NSU-Ausschuss des NRW-Landtages stellt in seinem Schlussbericht die Trio-These der Bundesanwaltschaft infrage. Zu Recht, findet Experte Hajo Funke.

2001 explodiert in einem Lebensmittelladen an der Kölner Probsteigasse eine Bombe. Eine Tochter des iranischstämmigen Inhabers wird schwer verletzt. Sie hat eine Dose mit dem darin versteckten Sprengsatz geöffnet, die von einem Mann im Geschäft zurückgelassen worden war.

Der Anschlag wird dem NSU zugerechnet. Doch bis heute ist nicht geklärt, wer dieser Mann war. In seinem am Montag (03.04.2017) veröffentlichten Schlussbericht bezweifelt der NSU-Untersuchungsausschuss des NRW-Landtages, "dass Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt die Sprengfalle abgelegt haben". Es sei nicht auszuschließen, "dass dem NSU noch weitere Personen angehörten".

WDR: Herr Professor Funke, der NRW-Landtagsausschuss hält es für möglich, dass der NSU aus mehr als drei Personen bestand. Die Bundesanwaltschaft hingegen geht von der Trio-These aus. Wie sehen Sie das?

Professor Hajo Funke: Ich teile die Einschätzung des Ausschusses. Es spricht Erhebliches dafür, dass es in der Region Unterstützer oder Mittäter gegeben haben dürfte.

Die These der Bundesanwaltschaft ist schlicht empirisch nicht unterfüttert, sondern folgt einer theoretischen Annahme und ist daher letztlich ideologisch. Wir haben ähnliche Unstimmigkeiten auch beim mutmaßlichen NSU-Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn zu beobachten. Das, was der Untersuchungsausschuss in NRW angedeutet hat, ist deshalb weiter zu klären.

WDR: Was kritisieren Sie an der Bundesanwaltschaft?

Funke: Sie hat sich unnötig früh festgelegt. Sie glaubte, dass sie unter Zeitdruck sei und hat nur sehr begrenzt neue Beweisermittlungen aufgenommen und erst unter größtem öffentlichen Druck.

Auch das Landgericht München war im NSU-Prozess nur mühsam zu überzeugen, dass es ganz andere Spuren gab, die - zum Beispiel im Fall Kiesewetter - ernsthaft vom LKA in Baden-Württemberg geprüft worden waren.

Hajo Funke

Hans-Joachim Funke ist emeritierter Politikprofessor. Er lehrte bis 2010 am Institut für Politische Wissenschaften der FU Berlin. Er gilt als Experte für Rechtsextremismus und war vom NSU-Ausschuss des NRW-Landtages als Sachverständiger geladen.

WDR: Wer könnte denn das Trio unterstützt haben?

Funke: Dazu will ich mich nicht äußern. Das wäre reine Spekulation.

WDR: Verschiedentlich wurde ein Angehöriger der "Kameradschaft Köln", der Vertrauensperson des NRW-Verfassungsschutzes war, verdächtigt, die Bombe in der Kölner Probsteigasse abgelegt zu haben. Der Ausschuss hat dafür keine Belege gefunden. Er ist aber auch der Ansicht, dass diese Spur nicht vollständig bearbeitet wurde.

Funke: Diese Sicht des Ausschusses teile ich ebenfalls. Die Bearbeitung der Spur dieses Verfassungsschutz-Informanten aus der rechten Szene ist unzureichend erfolgt und hätte umfänglicher durchgeführt werden müssen.

WDR: Wie schätzen Sie insgesamt die Arbeit des Ausschusses ein?

Funke: Der Bericht, den ich bisher nur teilweise habe lesen können, ist beeindruckend. Insbesondere die Frage der rechtsextremen Strukturen des Umfelds der Terrorzelle C18 in und um Dortmund.

Das Zweite ist, dass noch einmal nachgezeichnet wurde, wie einseitig im Opferumfeld ermittelt wurde, gerade beim Nagelbombenattentat in Köln, aber auch beim Mord an Mehmet Kubaşık in Dortmund. Das verweist in der Tat auf einen in die Institutionen eingesickerten Rassismus.

Drittens ist es sehr beeindruckend zu sehen, wie stark sich der Untersuchungsausschuss den Opfern gewidmet und ihnen eine Stimme gegeben hat.

Lobenswert ist auch die ausführliche Beschäftigung der V-Leute-Problematik. Der Verfassungsschutz ist ein Schattenreich ohne Kontrolle. Das schwächt die Sicherheit. Deshalb muss man überlegen, ob man das V-Mann-Wesen in der bisherigen Form aufgibt und stattdessen verdeckte Ermittlungen der besser kontrollierbaren Polizei unterstellt.

WDR: Wie ist die Arbeit in NRW im Vergleich zu anderen NSU-Ausschüssen gelaufen?

Funke: Ich habe die Beobachtung gemacht, dass informative Ergebnisse an mehr oder weniger kleinen Gruppen entschiedener Aufklärer quer durch die Parteien hängen. Und daran, dass die Leitung des Untersuchungsausschusses das mitmacht - oder sogar selbst befördert.

Wir haben in NRW das Glück gehabt, dass wir in vielerlei Hinsicht sehr aktive Ausschussmitglieder hatten. Von Anfang an bei den Piraten und den Grünen, aber auch aus anderen Parteien. Und dass offenkundig die Ausschussleitung selber, jedenfalls ein Stück weit, Interesse an intensiven Untersuchungen hatte - auch wenn sie zulassen musste, dass es zu viele Streichungen im Schlussbericht gab. Ein dickes Problem - wiederum des Verfassungsschutzes.

Das Interview führte Dominik Reinle