Politikwissenschaftler Andreas Blätte

Nach der Wahl in Schleswig-Holstein

Lernen für den Endspurt

Stand: 07.05.2012, 15:06 Uhr

Die Wahl in Schleswig-Holstein ist gelaufen, Gewinner und Verlierer stehen fest. NRW hat die Wahl noch vor sich - und die Politiker versuchen, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Politikwissenschaftler Andreas Blätte analysiert, welche Folgen die Wahl vom Sonntag (06.05.2012) hat - für NRW, den Bund und die FDP.

Eine Woche vor NRW-Landtagswahl haben die Schleswig-Holsteiner ein neues Parlament gewählt. Einen klaren Sieger gibt es nicht, und wer die nächste Regierung stellen wird, steht auch noch lange nicht fest. Für die NRW-Parteien zählt jetzt aber vor allem, wie ihre kleinen Schwestern im hohen Norden abgeschnitten haben - und was das für den Wahlkampf-Endspurt bedeutet. Politikwissenschaftler Andreas Blätte erklärt, warum die CDU die FDP fürchtet, die SPD nervös wird und der Höhenflug der Piraten schon beendet scheint.

WDR.de: Herr Blätte, Schleswig-Holstein war auch ein Stimmungstest für die NRW-Wahl. Welche Signale haben die Wähler denn gegeben?

Blätte: Das klare Signal aus Kiel war, dass die FDP trotz deutlicher Verluste wieder den Einzug geschafft hat. Es war zu früh, die FDP abzuschreiben.

WDR.de: Die FDP in NRW hat sich schon über den Rückenwind gefreut, genau wie die Grünen - und sogar die CDU sagt, dass sie bessere Chancen hat, als die Umfragen sagen.

Blätte (lacht): Das ist immer ein großer Deutungskampf. Alle sehen sich als Gewinner und die anderen als Verlierer. Aber alle, und das ist das Wichtige, ziehen die Schlussfolgerung, dass sie mehr mobilisieren müssen. Die Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein war sehr niedrig. Das hat gezeigt, wie offen das Spiel ist, dass Meinungsumfragen keine Wahlergebnisse sind. Das ist ein sehr starkes Signal aus Schleswig-Holstein.

WDR.de: Mit der Mobilisierung hat vor allem die SPD oft große Probleme - sie schafft es nicht, die eigenen Leute an die Urne zu bringen. Müsste sie aggressiver auftreten?

Blätte: Es spricht wenig für Aktionismus, dafür sind die Umfragewerte doch zu gut. Das hat die CDU 2010 so gemacht. Sie wurde im Endspurt sehr nervös und aggressiv, was auch ein Grund für die Wahlniederlage war.

WDR.de: Aber die SPD ist sehr zurückhaltend.

Blätte: Bisher bestand die Wahlkampfstrategie darin, dass Kraft souveräne Gelassenheit ausstrahlt - fast so etwas wie die asymmetrische Immobilisierung von Merkel.

WDR.de: Das müssen Sie erklären.

Hannelore Kraft (SPD) zu Gast in der Wahlarena im WDR Fernsehen

Grund zur Nervosität?

Blätte: Das heißt, die Anhänger des politischen Gegners so durch Profillosigkeit zu langweilen, dass sie zuhause bleiben und es für einen relativen Wahlsieg reicht. Das hat Merkel 2009 gemacht, und es hat geklappt. Kraft hat 2010 mit einem sehr präsidialen Stil aus der Opposition heraus auch ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Deswegen hat man gedacht, dass man mit diesem Kurs auch diese Landtagswahl gewinnen kann. Aber jetzt stellt sich eine gewisse Nervosität ein.

WDR.de: Wieso?

Blätte: Schleswig-Holstein hat gezeigt, dass die SPD stark genug ist, eine schwarz-gelbe Regierungsbildung zu verhindern. Andererseits ist sie nicht stark genug, aus eigener Kraft eine klare Koalition zu führen. In Schleswig-Holstein steht der SSW als dritter Koalitionspartner zur Verfügung, das ist eine Sondersituation. Mit den Grünen zu koalieren ist unproblematisch, aber als Dritten bräuchte die SPD entweder die FDP, wo es inhaltliche Unterschiede gibt, oder die Piraten, wo man nicht weiß, woran man ist.

WDR.de: Mit den Piraten will Kraft nicht zusammenarbeiten, das hat sie klar gesagt. Sie könnte aber auch mit der CDU koalieren. Das hat sie in der Wahlarena nicht explizit ausgeschlossen.

Blätte: Es kommt auf die Wahlergebnisse an. Die Parteien haben ja längst gelernt, dass es unklug ist, irgendwelche Koalitionen auszuschließen. Auf jeden Fall hätte die SPD anders als damals in der Bundesregierung hier nicht das Problem, als Juniorpartner der CDU sozusagen unter Deck zu arbeiten, während die CDU die Erfolge kassiert.

WDR.de: Die CDU selbst hat geht davon aus, dass es eine rot-grün-gelbe Ampelkoalition gibt.

Blätte: Man kann das nicht ausschließen, und sie wäre eigentlich wahrscheinlicher als eine Große Koalition. Die FDP hat natürlich 2010 und danach in der Opposition einen sehr klaren Kurs gegen Rot-Grün gefahren. Aber es hat auch eine Annäherung gegeben. Der Stärkungspakt Kommunalfinanzen ist ja von Rot-Grün mit den Stimmen der FDP beschlossen worden.

WDR.de: Aber die Grünen verstehen sich nicht mit der FDP.

Blätte: Das stimmt, da hat es gewaltige Spannungen gegeben, die sind auch nicht geringer geworden. Lindner hat signalisiert, dass es Möglichkeiten zur Zusammenarbeit gibt, aber die inhaltlichen Differenzen sind beträchtlich. Und es gibt erhebliche Verwerfungen noch aus der Möllemann-Zeit.

WDR.de: Warum schießt die CDU jetzt so gegen die FDP? Sie unterstellt ihr, sie werde "Steigbügelhalter" für die Ampelkoaltion, wie der SSW in Schleswig-Holstein.

Blätte: Das ist Teil der Wahlauseinandersetzung zwischen FDP und CDU, die ungewöhnlich hart geführt wird, und der Versuch, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren und die Abwanderung zur FDP zu stoppen: 'Wer die FDP wählt, wird keinen klaren Oppositionskurs ernten. Den gibt es nur mit der CDU'.

WDR.de: Die FDP kann der CDU gefährlich werden?

Blätte: Die FDP profitiert von einem frischen Kandidaten, der Lindner-Eeffekt hat sich eingestellt, und sie hat gute Aussichten, in den Landtag einzuziehen. Die CDU dagegen leidet unter den Zweideutigkeiten ihres Spitzenkandidaten, der nicht sagt, ob er es mit seiner politischen Zukunft in NRW ernst meint.

WDR.de: Und die CDU hat mit 30 Prozent bei den Umfragen einen historischen Tiefstand erreicht.

Blätte: Das hat eben stark mit der Wahlkampfaufstellung zu tun. Die CDU hat gleich am Tag nach der Landtagsauflösung Kampagnenfähigkeit signalisiert, aber personell gibt es einfach zu viele Fragezeichen. Da weiß der Wähler nicht, was er bekommt.

WDR.de: Könnte das auch das Problem der Piraten sein? In Schleswig-Holstein haben sie zwar den Einzug geschafft. Aber hier in NRW sind sie in den Umfragen schon abgerutscht - von 10 Prozent vor der Wahlarena auf 7,5 Prozent danach.

Blätte: Je näher der Wahltag rückt, desto genauer schaut man hin. Die Piraten sind begeistert von sich selbst, weil sie offen und ohne Ergebnis diskutieren. Aber gerade die Wahlarena hat gezeigt, dass die Piraten auf viele drängende Fragen keine Antwort haben. Die Diskussion wird sich noch zuspitzen, denn wir haben immer noch eine europäische Schulden- und Wirtschaftskrise. Die Piraten haben darauf keine Antworten, und da kann ihr Boot schnell sinken, wenn die Blitzeinschläge näher kommen.

WDR.de: Bei der Bundes-FDP braut sich offensichtlich auch etwas zusammen. Es heißt, die Tage von Philipp Rösler sind gezählt, auch wenn die FDP in Schleswig-Holstein und NRW in den Landtag einzieht - oder vielleicht gerade deswegen.

Blätte: Am Tag nach der Wahl wird es mit Sicherheit eine Debatte über Röslers Rolle geben. Aber einen Königsmord wird es nicht geben. Kubicki hat ein Signal der Unterstützung für Rösler abgegeben. Wie Lindner sich verhalten wrid, bleibt abzuwarten. Aber er wird nicht gleich ins nächste Level springen und Bundesvorsitzender werden können. Seinen politische Biografie war so wechselhaft, er hat Berlin auch so schnell verlassen - er wird erst mal kontinuierliche Arbeit in NRW leisten.

WDR.de: Insgesamt wird die FDP sich aber wieder stark genug fühlen, um sich von der CDU stärker abzugrenzen. Das tut der Koalition in Berlin aber nicht gut, oder?

Blätte: Da baut sich gerade etwas auf, das gewaltigen Sprengstoff birgt. Hollandes Sieg in Frankreich bedeutet, dass es Gespräche um den Fiskalpakt geben wird, denen sich die Bundekanzlerin nicht verweigern kann. Wenn die SPD und der französische Präsident sie in die Zwickmühle nehmen und sie auf diese Forderungen eingeht, könnte es bedeuten, dass die FDP lieber die Koalition platzen lässt als einem Wachstumspakt zuzustimmen.

WDR.de: Und dann gäbe es vorgezogene Neuwahlen?

Blätte: Oder eine Große Koalition auf Zeit - aber es ist die Frage, ob die SPD das will.

WDR.de: Nächsten Sonntag wird erstmal in NRW gewählt. Was ist für Sie da die wirklich spannende Frage?

Blätte: Ob es für eine eigene rot-grüne Mehrheit reicht. Noch sagen die Wahlprognosen, dass es reichen könnte.

Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.