Interview zum NRW-Trend

"Kraft ist Merkel plus Currywurst"

Stand: 22.04.2012, 18:00 Uhr

Eine stabile Mehrheit für Rot-Grün, die Piraten im ungebrochenen Höhenflug und eine Ministerpräsidentin, die mit ihrem Regierungsstil ankommt: Das sind Ergebnisse des jüngsten NRW-Trends, die Politikwissenschaftler Andreas Blätte für WDR.de analysiert.

Die rot-grüne Landesregierung liegt laut der Umfrage im Auftrag von WESTPOL in der Wählergunst vorn und kann auf eine stabile Mehrheit hoffen, Linke und FDP verpassen den Wiedereinzug in den Landtag, dafür legen die Piraten wieder zu: Wenn am Sonntag (22.04.2012) gewählt worden wäre, sähe der Landtag ganz anders aus als vor zwei Jahren. Politikwissenschaftler Andreas Blätte erklärt, warum die Piraten keine Kompetenzen brauchen, die FDP noch eine Chance hat und was Hannelore Kraft von Merkel gelernt hat.

WDR.de: Die Piraten haben im Vergleich zum letzten NRW-Trend satte vier Prozentpunkte zugelegt. Eine Partei, die von Umfrage zu Umfrage mehr Zustimmung bekommt, und das, obwohl man gar nicht so genau weiß, wofür sie steht - haben Sie dafür eine Erklärung?

Andreas Blätte: Die Piraten sind so stark, weil der Wahlkampf so wenig polarisiert ist. Es gibt keine scharfen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Die CDU schafft es nicht, die SPD in Auseinandersetzungen zu verwickeln, weil sie auf Klimaschutz und Energiepolitik setzt, wo die SPD schlecht angreifbar ist. Die Bildungspolitik ist seit dem Schulkonsens auch kein Thema mehr. Die Wähler haben also wenig Möglichkeiten, sich zu orientieren, das öffnet die Situation für die Piraten als neue, irgendwie frische Partei.

WDR.de: Die Befragten haben aber auch gesagt, dass sie den Piraten nur sehr wenig zutrauen. Wie passt das denn zusammen?

Blätte: Bei den Piraten ist nicht wichtig, welche Kompetenzen man ihnen zuschreibt. Die Piraten stehen für ein Lebensgefühl, das viele Menschen teilen, deren Leben von Digitalem bestimmt wird. Das saugen die Piraten auf. Und sie werden auch als Protestpartei gegen die Verkrustung angesehen, die den alten, etablierten Parteien nachgesagt wird.

WDR.de: Mit dem Anspruch sind auch die Grünen damals groß geworden. Aber jetzt sinken ihre Umfragewerte von Woche zu Woche. In NRW haben sie schon wieder einen Prozentpunkt verloren. Müssen die Grünen sich Sorgen machen?

Politikwissenschaftler Andreas Blätte

Experte für NRW-Politik: Andreas Blätte

Blätte: Die Zeiten mit 20 Prozent oder mehr, die sind vorbei. Aber im Prinzip sind sie jetzt auf das Niveau zurückgefallen, das sie immer hatten, und die Ergebnisse sind ja nicht schlecht. Außerdem ist die Wählerbasis der Grünen ausgesprochen stabil, da wachsen auch grün geprägte Generationen nach. Grund zur Nervosität müssen sie nicht haben. Sie sind natürlich gekränkt, dass sie nicht mehr die jüngste und frischeste Partei im Parteienspekrtrum sind.

WDR.de: Sie wuchern auch nicht unbedingt mit ihren Pfunden. Die Befragten halten sie für ausgesprochen kompetent in der Umweltpolitik, aber das spielt im Wahlkampf keine große Rolle.

Blätte: Es steht jedenfalls nicht im Vordergrund. Stattdessen versuchen die Grünen, von der Popularität der Ministerpräsidentin zu profitieren, zum Beispiel mit diesem Plakat: "Es ist gut, wenn Frauen den Haushalt machen." Erstaunlich finde ich auch, dass die Grünen und Sylvia Löhrmann als Ministerin in der Bildungspolitik sehr aktiv waren, das aber offensichtlich nicht anerkannt wird.

WDR.de: Eine Partei, deren Höhenflug eindeutig beendet zu sein scheint, ist die Linke. Liegt das an den Führungsdebatten? Oder sind die Wähler einfach enttäuscht, weil vom Protest nicht viel geblieben ist?

Blätte: Natürlich spielt es eine Rolle, dass Wolfgang Zimmermann als der profilierteste Politiker wegen Krankheit ausfällt und die personelle Lage auf der Bundesebene es den Linken schwer macht, sich inhaltlich zu positionieren. Aber die Frage ist eher: Wofür muss es die Linke im Westen überhaupt geben? Ist für eine zweite linke Partei neben der SPD Platz?

WDR.de: Und wie ist Ihre Antwort?

Blätte: Die Linke ist im Westen groß geworden, weil die SPD mit der Agenda 2010 als Partei wahrgenommen wurde, die gegen die eigenen Klientel Politik macht. Da konnte die Linke gute Wahlerfolge erzielen. Aber die SPD ist jetzt im Bund in der Opposition und hat sich etwas weiter links positioniert. Da sind die Unterschiede nicht mehr so groß, dass man zwei Parteien bräuchte.

WDR.de: Die Linken ziehen also vermutlich nicht mehr in den Landtag ein. Bei der FDP ist das auch fraglich. Bisher kommt sie jedenfalls nicht aus dem Umfragetief heraus. Dabei wird dem Spitzenkandidaten Lindner doch immer attestiert, er präsentiere sich so gut.

Blätte: Die FDP hätte man nach der Auflösung des Landtags getrost abschreiben können, wenn Lindner nicht die Szene betreten hätte. Aber der große Lindner-Effekt ist noch nicht da.

WDR.de: Kommt der noch? Bis zur Wahl sind es noch drei Wochen, und auf dem Karlsruher Parteitag hat er die Massen im Saal begeistert.

Blätte: Ja, das war ein wichtiges Signal für die FDP in NRW. Da hat er die eigenen Leute angesprochen und nicht nur das sozial-liberale Milieu in der SPD oder bei den Grünen, die ihn ganz spannend finden.

WDR.de: Es gibt ja auch Mutmaßungen, dass CDU-Wähler bewusst die FDP wählen, damit die Partei im Landtag vertreten ist.

Blätte: Umfrageergebnisse knapp unter fünf Prozent können tatsächlich motivierend wirken, weil viele Wähler die FDP im Parteienspektrum halten wollen und sie sich deswegen erbarmen. Die FDP ist noch nicht in der Todeszone.

WDR.de: Aber vorher steht die Schleswig-Holstein-Wahl an.

Blätte: Ja, und da wird die FDP wohl nicht mehr einziehen. Das wird die Stimmung dämpfen. Außerdem wird der Wahlausgang in Frankreich eine Rolle spielen. Wenn Hollande gewinnt, wird es eine große Debatte darüber geben, ob Sparen allein wirklich zum Erfolg führt, wie FDP und CDU glauben.

WDR.de: Dass Wahlen in anderen Bundesländern Einfluss auf das NRW-Ergebnis haben, ist klar. Aber Ereignisse außerhalb Deutschlands?

Blätte: Natürlich, das hatten wir 2010 auch schon. Da gab es die Griechenland-Krise, die eine diffuse Unruhe ausgelöst hat. Rüttgers hat versucht, sich das zunutze zu machen, während die SPD viel Ruhe ausgestrahlt hat. Hannelore Kraft hat aus der Opposition heraus einen sehr präsidentiellen Wahlkampf gemacht, das passte zur Situation. Jetzt macht sie es ähnlich: Sie setzt auf Authentizität, auf Bürgernähe und auf regionale Verbundenheit: "Currywurst ist SPD".

WDR.de: Und sie bietet wenig Angriffsfläche.

Blätte: Ja, das hat sie von Merkel gelernt, wie man scharfen politischen Themen aus dem Weg geht. Beim Haushalt sagt sie: Wir wollen natürlich auch einen ausgeglichenen Haushalt. Zum Klimaschutz bekennt sie sich auch. Kraft ist Merkel plus Currywurst.

WDR.de: Das scheint anzukommen. Wenn sie direkt gewählt werden könnte, würden 58 Prozent der Befragten das tun. Norbert Röttgen dagegen würde nur 30 Prozent bekommen. Könnten solche Werte die Wahl entscheiden?

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft spricht auf Trauerfeier für die Opfer der Loveparade

"Repräsentantin des Landes"

Blätte: Das Image der Kandidaten wird auf jeden Fall eine große Rolle spielen, gerade weil der Wahlkampf nicht viel hergibt. Kraft hat die Möglichkeiten des Amtes auch schon sehr konsequent genutzt, um sich als Repräsentantin des Landes überzeugend zu profilieren. Sie hat zum Beispiel sehr früh bei der Gedenkfeier für die Opfer der Loveparade an Statur gewonnen. Röttgen dagegen gilt als smart und unnahbar, und er hat sich durch sein zweifelhaftes Bekenntnis zu seiner politischen Zukunft nach der Wahl angreifbar gemacht.

WDR.de: Fragt man CDU-Mitglieder, dann sagen die, das spielt doch gar keine Rolle.

Blätte: Aber die Bürger stellen sich die Frage, wie ernst er es mit dem Land meint. Er hat sich ja auch einen schwierigen Wahlkreis ausgesucht, und wenn er den nicht gewinnt und über die Landesliste einzieht, dann ist er gar nicht im Landtag und kann auch nicht Ministerpräsident werden. Aber es ist ohnehin unwahrscheinlich, dass die CDU vor der SPD über die Ziellinie geht.

WDR.de: Und Röttgens Vorsprung in Sachen Wirtschaftskompetenz schlägt gar nicht zu Buche?

Blätte: Da liegt Röttgen eindeutig vor Kraft. Aber bei den Themen Haushalt und Finanzen liegt er wieder dahinter. Und bei der Verschuldung liegt die CDU nur ein bisschen vor der SPD. Dafür, dass sich die CDU das Thema so zu eigen gemacht hat, ist das sehr wenig.

WDR.de: Es sind noch drei Wochen hin bis zur Wahl, erfahrungsgemäß entscheiden sich Wähler erst sehr spät, wem sie ihre Stimme geben. Wagen Sie trotzdem eine Prognose?

Blätte: Es wird keine Regierung gegen die SPD geben, das ist eindeutig. Am wahrscheinlichsten ist eine rot-grüne Regierung, denkbar wäre auch eine Ampel mit der FDP, wenn Linke und Piraten einziehen und es für Rot-Grün nicht reicht. Oder es gibt eine Große Koalition.

WDR.de: Gerade wurde eine Afghanistan-Koalition als Möglichkeit ins Spiel gebracht, also eine Rot-Grün-Schwarze Regierung.

Blätte: Oh nein, das muss man sich gar nicht erst merken. Das werden die Grünen nicht eine Sekunde in Erwägung ziehen.

Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.