Loveparade - es bleiben viele Fragen offen
Stand: 06.04.2016, 15:44 Uhr
- Landgericht Duisburg sieht Gutachten als zentrales Beweismittel
- Anwalt der Nebenkläger wirft dem Landgericht vor, sich dem Prozess nicht gewachsen zu fühlen
- Bleibt es bei der Ablehnung, müssten Angehörige der Opfer Anwaltskosten selbst tragen, Angeklagte nicht
Warum hat das Landgericht Duisburg keinen zweiten Gutachter bestellt?
Das Landgericht begründet seine Entscheidung damit, dass das Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still ein "zentrales Beweismittel" sei. Ein zentrales Beweismittel könne durch das Gericht nicht ausgetauscht werden.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg sieht das anders: Für sie gibt es neben dem Gutachten noch eine Vielzahl weiterer Beweismittel. Darum hätte das Gericht, so die Ankläger, problemlos ein zweites Gutachten beauftragen können, wenn es nicht ausräumbare Mängel am Gutachten von Keith Still feststellt.
Ein Anwalt der Opfer wirft dem Gericht sogar vor, bewusst keinen zweiten Gutachter eingesetzt zu haben und vermutet, dass das Gericht sich der Herausforderung des komplizierten Prozesses unter Umständen nicht gewachsen fühlt.
Der Düsseldorfer Strafrechtler Udo Vetter sieht aber auch Fehler bei der Arbeit der Staatsanwaltschaft. Denn auch sie hätte frühzeitig einen zweiten Gutachter beauftragen können. In seinem "Lawblog" schreibt er: "Angesichts der deutlichen Worte des Gerichts in Richtung des Gutachters stellt sich die Frage, wieso die Staatsanwaltschaft Duisburg nicht bereits frühzeitig in Alternativen gedacht hat." Es sei in großen Fällen durchaus möglich und auch üblich, mehrere Sachverständige zu beauftragen.
Wie geht es jetzt weiter?
Nach der Ablehnung der Klage durch das Landgericht Duisburg muss jetzt das Oberlandesgericht Düsseldorf entscheiden, ob ein Prozess stattfinden kann oder nicht. Die Staatsanwaltschaft ist zuversichtlich, dass das OLG Düsseldorf die Entscheidung des Landgerichts revidieren wird. Das Oberlandesgericht kündigte an, dass die Bearbeitung des Falles angesichts des Umfangs der dazu gehörenden Unterlagen (460 Seiten Nichteröffnungsbeschluss, 556 Seiten Anklageschrift, 45.000 Blatt Ermittlungsakten, 625 DIN A-4-Ordner Sonderbände und 963 Stunden Videosequenzen) mehrere Monate dauern wird.
Welche Folgen hat die Ablehnung der Klage für die Angehörigen?
Psychische Folgen: Das Scheitern des Loveparade-Verfahrens könnte bei Opfern und Angehörigen zu einer weiteren Traumatisierung führen. "Die Betroffenen erleben das als einen erneuten Kontrollverlust, wie schon das traumatisierende Ereignis selbst", schätzt der leitende Notfallpsychotherapeut der LWL-Klinik in Dortmund, Ulrich Zielke, die Situation ein. Diejenigen, denen es bis jetzt nicht gelungen sei, ausreichend Abstand zu dem Unglück zu gewinnen, könnten die Gefühle von Wut und Ohnmacht auch als Retraumatisierung erleben. Der Psychotherapeut Steffen Fliegel von der Gesellschaft für Klinische Psychologie in Münster spricht von einer großen Enttäuschung für Opfer und Angehörige. Die Betroffenen würden sich vom Rechtssystem im Stich gelassen fühlen. Ein Prozess würde hingegen bedeuten, dass der Rechtsstaat und die Gesellschaft ihren Schmerz und die Trauer anerkennen.
Was das konkret bedeutet, zeigt der Brief der Eltern von zwei Opfern aus Spanien, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Darin beklagten sie, die Entscheidung sei für sie "eine Ohrfeige, als wären unsere Töchter noch mal getötet worden". Sie seien "tiefst enttäuscht" von den deutschen Gesetzen, heißt es weiter, gekoppelt mit dem Vorwurf, das Landgericht habe Angst vor den Mächtigen gehabt. "Wir werden gegen diese Entscheidung Beschwerde einreichen. Bis Straßburg, wenn nötig."
Finanzielle Folgen: 21 Menschen kamen am 24. Juli 2010 in Duisburg ums Leben, mindestens 652 wurden zum Teil schwer verletzt. Bliebe es bei einer Ablehnung der Klage, hätte das nicht nur emotionale Folgen für die Opfer und Angehörigen. Auch finanziell wäre es für die Nebenkläger fatal. Denn sie müssten die Kosten für ihre Anwälte selbst bezahlen. Die Kosten der Angeklagten aufseiten der Stadt und des Veranstalters würden dann von der Staatskasse getragen.
Warum gibt es keinen Landtags-Untersuchungsausschuss zur Loveparade?
Schon lange wird ein Untersuchungsausschuss zur Klärung der Ereignisse um die Loveparade-Katastrophe gefordert. Bisher wurde die Einsetzung mit der Begründung abgelehnt, dass die Staatsanwaltschaft bereits ermittle. Jetzt, nach der Entscheidung des Landgerichts, eine Klage nicht zuzulassen, könnte ein Ausschuss im Prinzip eingesetzt werden. Das hat auch Opferanwalt Gerhart Baum sofort gefordert. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat aber am Mittwoch (06.04.2016) darauf hingewiesen, dass im Mai 2017 die Landtagswahl stattfindet. Das heißt: Ein Untersuchungsausschuss, der jetzt eingesetzt würde, hätte nur einige Monate für seine Arbeit, weil er vor der Wahl aufgelöst würde. Eine Etablierung wäre aber nach der Wahl denkbar - also frühestens im Sommer 2017.